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Leben mit einem Kriegsverbrecher
nut Kommentaren von
Werner Maser
VERLAG V. LUDWIG
SC6S Pfaffenhofen
© 1976 Verlag W. Ludwig (Ilmgau Verlag) Pfaffenhofen/Ilm
Satz und Druck: Ilmgaudruckerci, Pfaffenhofen/Ilm
Umschlagentwurf: Verlag W, Ludwig
Printed in Germany
Nachdruck, audi auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
ISBN 3-7787-1025-7
Titelfoto: Hochzeitsfoto von Lina und Reinhard Heydrhfc
wir umarmen uns nocn einmal, ich Begleite meinen Mann, Rein¬
hard Heydridi, vor das Portal des Schlosses Jungfern-Breschan, in
dem wir wohnen. Reinhard steigt in den offenen Mercedes, der
sofort anfährt. Ich winke. Mein Mann winkt zurück.
Der Chef der Gestapo, General der Polizei und Stellvertretende
proteKtor von ßonmen und Mahren, begibt sich turnus
ierlin, wo er zwei Tage bleiben will,
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midi mit weinerlicher Stimme, „Oh, welch ein Abschied“, sagt sie
stockend.
Der Tag, es ist der 27 . Mai 1942, nimmt seinen Lauf. Gegen 15 Uhr
wird mir gemeldet, daß Dr. Horst Böhme midi zu sprechen wün¬
sche. Ich bin erstaunt. Was will er hier? Ist etwas mit seiner
Frau ... ? Was ist geschehen? Und dann höre ich es auch schon:
Doch in der Nacht vom 3, zum 4, Juni werde ich jäh aus dem
Schlaf gerissen. Ich soll sofort ins Krankenhaus kommen. Eine
schlimme Wendung ist eingetreten. Die Nacht ist kalt; ich friere.
Meine Zähne klappern. Mir zittern die Hände. Meine Tasche fällt
auf dien Boden des Fonds, wo ich sie einfach liegen lasse. Alles
kommt mir nun so unwichtig vor. Dann stehe ich vor dem Bett
meines Mannes, der bereits im Koma liegt. Man führt midi fort
und gibt mir eine Betäubungsspritze. Als ich wieder er wache, ist
Reinhard tot. - —
Es ist der 4. Juni 1942, 10 Uhr früh, als der Rundfunk melden
Der Obergruppenführer und General der Polizei, Chef
der Geheimen Staatspolizei und des Reichssidierheitsdien-
stes, der Stellvertretende Reiehsprotektor von Böhmen und
Mähren, Reinhard Heydridi, ist heute seinen Verletzungen
erlegen.
Staatstrauer wird angeordnet, für die Trauirfeierlidikeiteii in Prag
und Berlin ein bislang nicht gekannter Aufwand in die Wege ge¬
leitet. Der Staat trägt einen treuen Diener zu Grabe, Auf dem
„Invalidenfriedhof“ in Berlin erhält er ein einfaches Soldatengrab
mit einem Holzkreuz, auf das sein Stahlhelm gestülpt wird. Als
Soldat hat er sieh immer gefühlt, und so ist er auch gestorben. Da
ich mich krank und elend fühle und meiner Niederkunft entgegen¬
sehe, nehmen an meiner Stelle unsere beiden Söhne Klaus und
Heider an der Trauerfeier in der Reichskanzlei teil.
Es ist ein offizieller Staatsakt. Auf Burg Jungfern-Bresehan hatte
Reinhard auf dem Katafalk zunächst in der „Reinhard Heydridi
Halle" gelegen, bevor er auf denn für die Bevölkerung geschlosse¬
nen Burghof aufgebahrt worden war. $$-Gmppenführer, General¬
leutnante der Polizei, Generale der Wehrmacht, Generalmajore der
Waffen-SS, zwei SS-Rrigadeführer und zwei führende Vertreter
der NSDAP, hatten die Ehrenwache gehalten, der Staatspräsident
Dr. Emil Hicha sich vor dem Katafalk verneigt. Für Berlin hatte
Dr. Goebbels einen Einsatzstab gebildet, der das Staatsbegräbnis
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arrangierte. Nach dem Eintreffen des Sarges auf dem Anhalter
Bahnhof war er zunächst in das Prinz-Albreeht-Palais und von
dort in die neue Reichskanzlei überführt worden, wo im Mosaik¬
saal ein Staatsaht stattgefunden hatte. Auf dem Invalidenfriedhof
war Hitler in Begleitung Heinrich Himmlers eingetroffen, der nach
der Trauermusik aus Richard Wagners „Götterdämmerung*' sprach.
Hitler hatte einen Kranz niedergelegt und meinen Söhnen und
unseren Verwandten das Beileid ausgesprochen. Dann svar er wie¬
der gegangen.
Zehn Tage nach dem Tode meines Mannes habe ich Geburtstag,
32 Jahre sind es her, seit ich in Avendorf auf der Insel Fehmarn
als Tochter des Lehrers Jürgen von Osten zur Welt gekommen bin.
Eine junge Witwe — und „kinderreich“ dazu, wie es damals hieß.
Mein Vater kommentierte meine Geburt, bei der weder ein Arzt
noch eine Hebamme zugegen waren, wie meine Mutter mir später
erzählte, mit dem, Satz: „Sie ist ohne Hilfe zur Welt gekommen;
sie wird auch ohne Hilfe durch die Welt kommen.“ Den Menschen
aus unserer Gegend sagt man nach, daß sie manchmal das „zweite
Gesicht“ hätten und in die Zukunft sehen könnten. Daran, und
an die Bemerkung mein«. Vaters, habe ich gedacht, als ich im
Herbst 1945 nach; einer halbjährigen Flucht mit drei Kindern, halb
nackt und. aller Mittel bloß, als Frau eines „Knegsverbrethers"
wieder an die Tür mein« Elternhauses klopfte..
Fünfzehn Jahre vor diesem Ende bin ich Reinhard Hevdridh zum
erstenmal begegnet. 1927 hatte ich die Schule in Oldenburg mit
Freund:
Tage vor dem Fest sagt Wulf ab. Er muß auf Hof und Vieh auf¬
passen.
Unter diesen Umständen will ich mich 2urückziehen. Doch die an¬
deren jungen Damen appellieren an mein Wort, und so bleibt mir
sdbließlidi nichts ander« übrig, als doch mitzueehen. Als wir an
Am nächsten Tag wollen wir ins Theater gehen. Dazu brauche ich
einen Haustürschlüssel; denn bis 22 Uhr werde ich nicht zu Hause
sein, und danach ist die Tür verschlossen. Ich muß also bitten, muß
erklären ... „Sehr geehrtes Fräulein Pommerenk", stelle ich mir
zunächst vor, werde ich brav beginnen und dann fortfahren: „Wür¬
den Sie die Liebenswürdigkeit haben, mir für heute abend einen
Haustürschlüssel auszuhändigen. JA muß nämliA unbedingt ins
Theater, weil da jemand ist, der.. .** Nein, so kann man es niAt
sagen. IA weiß sAon niAt mehr, was iA sagen und was iA tun
soll. PlötzliA stehe iA vor der Tür, klopfe an — und darf ein tre¬
ten* Fräulein Pommerenk, unser Vorsteherin, sitzt hinter ihrem
SAreibtisA, das grau gesAeitelte Haar über dem alten, etwas brei¬
ten GesiAt mit dem gutmütigen Doppelkinn glänzt unter der alt-
seiner Anwesenbeit stumm bin; aber er,.. Und dann, ich fühle,
daß er etwas sagen will, und er tut es. Ganz ruhig fragt er midi:
„Wollen Sie meine Frau werden?“
Ich bin Schülerin. In wenigen Monaten soll i<h mein Abitur machen.
sie keines mehr. Die Marine aber verlangte traditionsgemäß Re¬
putation im alten Stil. Der Ausweg: die ReiAskieiderkasse mit der
Aussicht, einmal Admiral zu werden.
Zu Beginn meiner Weihnachtsferien fahren wir gemeinsam zu mei¬
nen Eltern nach Lütjenbrode. Ich muß eine neue Erfahrung machen.
Die Absicht, alles geheim zu halten, ist schwerer als ich dachte.
Nicht nur, daß Geheimnisse auf der Zunge brennen. Meine Ka¬
meraden aus allen möglichen Instituten und Schulen, mit denen ich
bislang in der 4. Klasse der Reichsbahn gefahren bin, unter „Rei¬
senden mit Traglasten“, haben Augen und Ohren. Daß ich dereinst
mit Geheimnissen, staatspolitischen und anderen, werde leben müs¬
sen, ahne ich natürlich nicht. Ich hoffe auf ein Leben an der Seite
dieses Offiziers zur See.
Im Schul haus aus rotem Backstein in Lütjenbrode an gekommen,
beginnt bald ein Frage- und Antwortspiel, wie Eiteriges in solchen
Situationen ganz allgemein für unvermeidlich halten. Meine Eltern
erfahren: Reinhard wurde am 7. März 1904 in Halle an der Saale
geboren. Sein Vater, Bruno HeydriA, war im Laufe seines Lebens
Sänger, Komponist und Schauspieler gewesen, bevor er Direktor
des Halleschen Konservatoriums geworden war, das er selbst ge¬
gründet hatte. Frau HeydriA, die „Frau Direktor", wie die Thea¬
terleute sie respektvoll nannten, war eine geborene Krantz.
Reinhards „Report“ ist sachlich und knapp. „Er paßt in unsere
Landschaft“, meint mein Vater, als ich ihn frage, ob er mit ihm
„zufrieden“ sei.
Der Mann aus Halle, der wie die meisten Leute bei uns auch, wort¬
karg ist und nicht viel fragt, hört nun von meinem Vater, dem
sehr selbstbewußten Dorfschulmeister, in welche Familie er „hin¬
eingeraten“ sei. Vater erzählt ihm, daß er, der zweite Sohn eines
norddeutschen Großbauern mit insgesamt acht Kindern, sechs Söh¬
nen und zwei Töchtern, im Jahre 1896 als SeAsundzwanzigj ähr igcr
von Eckemförde, wo er ausgebildet worden war, nach Fehmarn
versitzt wurde. Seinen WunsA, Bauer und Nachfolger des Vaters
auf dem Hof zu werden, hat er, naAdem sein ältester Bruder mit
dm Studium in Hannover begonnen hatte, den Brüdern zuliebe
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schiffe aufeinander geschossen hatten, erzählten sie sich (wie alle
Männer) ihre Kriegstaten, und immer wieder sollen sie einander
gesagt haben: „Mensch, wat hebt je sdhaten. Ju harn ja benäh
drapen!“ (Mensch, was habt ihr geschossen. Ihr hättet ja beinahe
getroffen). Fehmarn, die Insel, war nach allen Seiten offen, immer
ein bißchen international, nicht nur wegen der Feriengäste aus aller
Herren Länder.
Nadi dem Ersten Weltkrieg, den Reinhard als Kind erlebt hatte,
waren meine einst wohlhabenden Eltern durch die Inflation arme
Leute geworden. Zuvor hatte Vater noch — gegen den Willen der
Mutter — erwogen, mit beider Erbteil Land zu kaufen und Bauer
zu werden, wie sein Vater es gewesen war. Doch daraus war nichts
geworden. Sie zogen aufs Festland nach Lütjenbrode, nur wenige
Kilometer „über den Sund“.
Für midi war das ein Einschnitt in meinem Leben. Von Lütjen¬
brode aus besuchten mein Bruder und ich die höhere Schule in Ol¬
denburg in Holstein. Als Fahrschüler erlebten, wir eine 'turbulente
Zeit mit Streiks und Kohlenknappheit bei der Eisenbahn. Als die
Eltern am 1 ®. Oktober 1923 ihre silberne Hochzeit feierten, kaufte
Mutter, wenn ich mich recht erinnere, für die letzte' Billion Mark
ein Pfund Butter.
Das Gespräch der beiden! Männer zeigt: mir, wie .sehr Vater unter
dem Verlust seines Vermögens gelitten haben muß. Er, der zu dem
gemeinsam Ererbten Groschen zu GrosAen gelegt hatte, wollte,
daß wir, seine Kinder, etwas Ordentliches lernen sollten.
Im Gespräch nimmt Vater kein Blatt vor den Mund. Der Seeoffi¬
zier aus Sachsen-Anhalt soll wissen, mit wem er zu tun, hat, und
so erzählt er ihm auch, daß er die Kirche als weltliche Macht ab¬
lehnt. Seine frühen Erfahrungen, mit ihr als „Oberaufsicht“ über
die Schule haben, diese Vorstellung bewirkt. Ich erinnere mich noch
an. die elterlichen Debatten, als es im Herbst 1926 darum ging,
meinen Bruder und midi in Großenbrode konfirmieren zu l assen,
woraus ohne Mutten Unterstützung mit Sicherheit nichts geworden
wäre.
Reinhards Eltern lernte ich in einer Zeit kennen, in der die Not,
14
tcn Kindern war sie 186t plötzlich allein zuriid
für sie sorgen müssen — und dann einen sehr ’
geheiratet. Vor dieser Heirat waren die beiden
Söhne Richard und Bruno von Kinnes zu Ki
Aii einem
Kanzlei d
nant zur
len. „Sie haben midi gerührt, Sie können gehen", war der Dank.
Und das einen ganzen Winter lang. Seitdem konnte Reinhard die
Toselliserenade nicht mehr hören.
So blieb Min Verhältnis in dieser Zeit — und überhaupt zu seiner
Crew — nur formell kameradschaftlich, kühl. Zu fremd war ihm
diese neue Welt.
Von April bis Juni 1923 war er Kadett auf dem Segelschulschilf
„Niobe", das 1932 in der Nähe meiner Heimat in den Fluten der
Ostsee unterging. Von Juli 1923 bis März 1924 diente er auf dem
Kreuzer „Berlin". Am 1. April wurde er Fähnrich und kam mit
seiner Crew auf die Marineschule Mürwick, wo er bis März 1925
blieb.
Bereits in Halle hatte er begonnen, Fechtunterricht zu nehmen.
Während der Mürwieker Zeit focht er eifrig; weiter und gewann
wonach er sich sehnte und was er Keinem Menschen sagen zu kön¬
nen meinte, vertraute er seiner Geige an. Sie war sein bester Ka¬
merad, wie er es nannte; manchmal war sie sein einziger Freund
Und sie war ihm immer auch eine Erinnerung an sein, Elternhaus.
roeister*'
von
Cu Dl.
Leben.
gewesen, die ich immer an mich
eilt habe. Da wird es mir nicht
zu tun und wir können, ohne den
Klatsch der lieben Mitmenschen be¬
achten zu müssen, oft zusammen
sein und uns immer besser kennen
lernen. — Und nun zum Hochzeits-
Liebe S<
Nun bin i
hier,
hat
ein Bild
gestern
ReichsfC
Ressort:
Sturmfü
ab 1. St
meine ß
ich kann
diese 31
Hausstj
ja meim
Ich wei
bei angemessener Einschränkung meiner Lebens¬
führung monatlich durch möglichst hohe
Beträge meine Schulden zu tilgen. —
Ich habe in sehr guter Gegend bei einer
ordentlichen alten Dame ein billiges, ganz
einfaches Zimmer gemietet. Der Arbeitstag
hat zunächst natürlich eine erhebliche An¬
zahl Stunden, so daß ich auch abends fast
stets noch am Schreibtisch hocke, wenn
mich nicht der Reichsführer, Prinz Waldeck
oder v, Ebersteins aus dem Bau holen. Ich
werde voraussichtlich im Laufe der nächsten
Zeit eine größere Dienstreise als Beauftragter
des Reichsführers durch Deutschland machen
u. hoffe dann auch nach Lütjenbrode zu
kommen. Bis dahin auf Wiedersehen. Nehmt
herzliche Grüße von
Euerm
Reinhard
München, d. 22.8.31.
Liebe Mutter!
Lina schrieb mir, daß Du sowohl das
Schwedenpaket, als auch meine Bücherkiste
eingelöst hast. Nimm herzlichen Dank
dafür. Da Ihr ja durch die Notverordnungen
Euch sehr einengen müßt, erlaube mir
bitte, daß ich bei meinem nächsten Besuch
Dir den Betrag zurückgeben darf. Du hast
schon so oft für mich gesorgt und aus
Deiner unerschöpflichen ,.Gehetm"-Kasse
mir geholfen, daß sieh diese Beträge all¬
mählich summieren würden, wenn das
so weiter ginge. Ich habe hier sehr viel
zu tun, gehöre jetzt schon zum engsten
Stab des Reichsführers der Schutzstaffeln
und sitze fast Abend für Abend und
Sonntag mit Arbeit daheim. Ich baue
nach meinen Entwürfen eine große Organisation
auf, die meine volle Arbeitskraft beansprucht.
Da ich mir natürlich möglichst garnichts leiste,
nur notdürftigste Ausgaben für Essen und
Wohnen mache, weil ich Euch ja Anfang Sept.
eine möglichst hohe Sparsumme nachweisen
will, so kannst Du Dir den Gang meines
Tagewerks gut vorstellen. Daß meine Gedanken
wohl jede freie Minute nach Lütjenbrode
wandern, brauche ich wohl nicht zu betonen.
Eine große Freude wurde mir heute: Herr Himmler,
der Reichsführer S.S., hat mir zugesichert, daß
ich mit der Verheiratung monatlich 290,— RM
erhalte. — Ich sehne mich an stillen Abenden
so manches Mal nach der See und dem
Norden. Nun grüße bitte Vater, Lina u.
Hans und nimm selbst die herzlichsten
Grüße von
Deinem dankbaren
Schwiegersohn
Reinhard
Lochhausen, d. 6.1. 32.
Liebe Ellern!
Nun ist der Haupttrubel der (unleserliches Wort)
arbeit vorbei, die Müdigkeit der durch¬
wachten und durchfeierten Hochzeitsnacht
mit der anschließenden Bahnfahrt ist
schöne Hochzeitsfeier in Großenbrode und
an das schöne Hochzeitsfest in Linas
Elternhaus. Wir danken Euch von Herzen
für all Eure Liebe, Muhe und Sorge.
Wir waren froh, c'aß meine Eltern roch etwas
in L. blieben, damit es nach allem
Trubel nicht gleich zu einsam um Euch
wurde. — Nun erwarten wir sehn¬
süchtig die Geschirrkisten, auch Telegramme
(die Festblätter) sind liegengeblieben. An!.
Linas Bescheinigung. Bitte Vater besorge uns
doch noch eine Heiratsurkunde, die Kosten
zahle ich, wir brauchen eine zum Einsenden
bei der Marineversorgung. Nun nehmt
viele herzliche Grüße von
Euerm dankbaren
Reinhard
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ADOLF HITLER
Ich 'befördere den
ff-Gruppenführer Reinhard i
( II-Nr. Io 12o
zum
H-Obergruppen
und ernenne 1
zun
General der P
ab ihr Verkaufserlös. Es beginnt ein großer Schweinemord; überall
gärt es. Reinhard fährt zu einer Dienstreise in den Norden. Die
Lage hat sich so zugespitzt, daß wir, die Frauen, von der Partei¬
leitung der NSDAP mit unbekanntem Ziel verschickt werden. Wir
verleben einige Wochen beim „Dachsenwirt" in Unterwössen. Für
midi ist es ein wunderbares Erlebnis. Schließlich kommt Reinhard
wieder zurück und bringt mir viele Grüße von meinen Eltern, die
er kurz besuchen konnte. Zusammen fahren wir nach München-
Lodihausen zurück, wo wir mit der Suche nach einer neuen Woh¬
nung beginnen. Wir finden ein Haus in München-Nymphenburg.
Es ist das vorletzte Haus einer Sackgasse, die nur einseitig bebaut
ist und parallel zur Parkmauer des Nymphenburger SAloßgartens
verläuft.
Heute, 1976, bewohnt die Schauspielerin Ruth Leuwertk dieses
Haus. Ich weiß nicht, ob ihr die Geschichte ihres Domizils bekannt
ist.
Wir treten 1932 als Mieter dt» Hauses auf. Alles wird auf privat
frisiert. Das Haus, ein wenig in den Garten gerückt, gibt uns bei
unerwarteten Besuchern die Möglichkeit, alles 'Belastende rechtzei¬
tig verschwinden zu lassen. Unser Hund warnt uns rechtzeitig.
Alles wird auf Sicherheit abgestellt, mein Bett zu einer Art „Fe¬
stung“ um funktioniert. Von unten her kann mir so leicht nichts
passieren. Diese VorsiAtsnnaßnahmen sind notwendig geworden,
vor allem seit das Tragen der Partei-Uniformen niAt erlaubt ist
und im April 1932 die SÄ und SS vollständig verboten worden
war. Wir waren gezwungenermaßen in die Illegalität gegangen.
Nach Aufhebung des Verbots nennt Reinhard seine Or ga nisation
„PI-Dienst“. Das heißt Presseinformation, und ich werde „die
PI-Frau“, was zu manchen Anzüglichkeiten Anlaß gibt („PT 1 *, das
ist im deutschen Volksmund niAt unbedingt eine mathematische
Formel, sondern eher „Pissen“ — oder wie ähnliA immer diese
Abkürzung gedeutet werden kann).
Am 1. Oktober 1932 haben wir uns in der MünAener Zuccali-
strale eingenistet. Für miA bedeutet das, daß IA künftig nicht
34
Geld
idiholzcr , die ich kurz zuvor sch
lölzern vertauscht hatte, die unsere
eßcn, waren „explodiert“. Ich haste <
Tür auf. Alles starrt entsetzt auf t
3T Q-
jpeaoai mcm langer warten, sonaern aie „fest
Preußen aus erobern. Er beschließt, mit seinem
überzusiedcln. Am Branitzer Platz, Ecke Eidien;
lin eine geeignete Behausung gefunden, in der au
yern
von
erlin
Ber-
rüsten und teilweise
?rn ein nationalsozia
zwar ein Wagnis.
meinen titern scnrici
Wahrheit zu genügen
tern!
Um 1
n die
geben, sofort auf die SA zu schieden, falls diese auf Befehl
des Reichskanzlers etwas gegen sie unternehme.
Darauf fahren Rohm, Himmler und Reinhard zum Minister¬
präsidenten Held und haben wohl eine ganze Stunde mit
ihm verhandelt.
Rohm stellte die Forderung, die Regierung hier sollte aus sich
heraus den Epp zum Kommissar wählen. Sie versprach es bis
3 Uhr zu tun. Sie wollte mit dem Versprechen Zeit gewin¬
nen und setzten sich inzwischen mit Berlin in Verbindung.
Die Uhr schlug 3. Keine Antwort. Ein Telefongespräch von
Rohm an. Hitler bewirkt das. Telegramm. General Epp wird
von der Reichsregierung als Kommissar eingesetzt. Auf noch
ungeklärte Art und Weise kommt das Telegramm nicht an.
Ein Zweites wird abgesandt. Reinhard fahrt zum Telegra¬
phenamt und in einer halben, Stunde hat er das denkwürdige
m
fährt er auch nach Berlin und überni mm t wieder sein Amt.
Himmler will auch wieder weg.
Also das war die Polizeiaktion. Zur gleichen Zeit wurden
die anderen öffentlichen Gebäude besetzt. All« verlief nach
Wunsch, ohne das ein Schuß fiel. Amüsant war die Räumung
der Münchner Post (eine Zeitung). Das ist die Zeitung der
Münchner SPD. Standartenführer Höflich rückte mit SA und
SS Leuten ein. Das ganze Haus war wie ausgestorben. Erst
in einem größeren Saal treffen sie etwa 300 Reichsbanner.
Ein nettes Bild bietet sich ihnen. Alle 300 halten beide Hän¬
de in die Höhe. Höflich kommandiert: Hände runter» links
um, marsch, marsch. Abends hatten die SA und SS ihr be¬
sonderes Vergnügen,. Sie hatten die Aufgabe, alle politischen
Gegner» soweit sie bekannt waren zu verhaften, und ins
Braune Haus zu bringen. Das war was, für die Jungs. End¬
lich einmal Radie nehmen dürfen für all das; Unrecht, was
man. ihnen zufügte, für all die Schläge und Verwundungen
und Radie nehmen zu dürfen, für ihre gefallenen Kamera¬
den. Über 200 sitzen jetzt, KPD, SPD», Juden und Baye¬
rische Volkspartd. Einige interessante Begebenheiten dieses
Abends sind mir bekannt. Höflich bekommt den Auftrag,
mit einigen SS-Leuten, den Innenminister Stiitrd zu verhaf-
ten. Erst: nimmt der Verhaftete einen, rührseligen Abschied
von Frau und Kind, dann weigert er sich, sein Bett zu ver¬
lassen» um mitzugehen. Als er bei der dritten Aufforderung
nicht mitgeht, nehmen sie ihn so wie er ist und setzen ihn
ins Auto — und auf ins Braune Haus. Die Gaudi könnt Ihr
Euch vorstellen. In Socken und Nachthemd steht der Herr
Innen minister in der Halle, umgeben von einer Menge SA
und SS, die vor lachen nicht wissen wohin. Dann kommen
sie und treten dam weinenden, Innenminister . mit ihren
schweren Stiefeln auf die große Zehe» dal er zwischen ihnen
hopst von einem Bein aufs andere. Ihr könnt: Euch das Bild
wohl vorstellen. Als nächster wird der Jude Lewy ange¬
führt. Mit dem manchen sie kurzen Prozeß. Sie hauen ihn
Berlin, ti. 1.9.39
01 30.
Meine geliebte Lina!
Meine geliebten Kinder!
Hoffentlich braucht mein Panzerst ramk
nie diesen Brief hergeben. Als Soldat
des Führers jedoch und als guter
Mann und Vater muß ich: alles bedenken.
In dieser Stunde hat Adolf Hit'er. der
Führer unseres größten Deutschlands, cossa
Händedruck von heute Abend noch :n
meiner Hand brennt, die g r oßo Entscheidung
wirst es
gut unc gerecht
für Dich
und c'ie Kince- hüt
em Ge'di re
Regelun
Q e n. V 0 r s ; ch 0 r u r c 0 "
. Pe~s : cns- u"d
Witwe er
0 n 1 0 n u sv,. 1 ?. 0 i: ■ * 1 0
O ... ■ V.” - V. . tr
und Eirr
ers .. . . 1 unloser' c" 1
-egeh':. W s de'
lebt, mit
durch mn. — L ece
- - --
glaube, daß so u~er,c:
gegen alle Feinde in Inland
und Ausland, zur Verpflichtung den
Ahnen und Enkeln gegenüber. Liebste
Lina, ich mag Fehler haben, ich
habe Fehler gemacht, dienstlich, menschlich,
gedanklich und in der Tat. ich habe
Dich unendlich lieb und ebenso
übersehr liebe ich meine Kinder.
Denke bitte in Achtung und Liebe
an unser gemeinsames Leben zurück,
gib. wenn die Zeit geheilt, den Kindern
wieder einen Vater, nur. ein Kerl muß
es sein, wie ich einer sein wollte,
ln unendlicher Liebe
Heil Hitler Euer
Reinhard
N.B. Neumann hat Notizen über meine Arbeit, kennt
die schlechten Zeiten und auch manche schöne Anekdote
unserer Tätigkeit.
mit Hundepeitschen durch,, ziehen ihm Schuh und Strümpfl
aus und so muß er barfuß in Begleitung von SS seiner hau
liehen Behausung zuwandern. Sem Haus war unterdessen gi
ausgeräuchert. Er war nämlich der Leiter der München.
Juden. _ , ... , T
Das mag auch ein Bild sein, wie man hier vorgeht, idc J
suiten und luden sind hier gctlüduct. Keiner ist tot. kein
lebensgefährlich verletzt, aber Angst. Angst kann ich Eu
sauen . .
Heute würde ich diesen Brief, zumindest in der Form und Art r
•türlidi nicht sdireiben. Damals war ich ganze 2: Jahre alt. und
meine, ich habe seinerzeit alles wie eine Art Gestern angosc
und den Ernst des Umbruchs überhaupt nicht erlaßt. Daher hat
mich die Ereignisse, die dieser Machtübernahme folgten, mir
wieder überrascht. Immer bin ich sozusagen hinter ihnen hergel
fen. Sobald ich einen Teil begriffen hatte, war octeits wieder
viel Neues auf midi cingestürmt, das ich wiederum erst nach t
nach verarbeiten mußte.
Natürlich habe ich eine Menge gar nicht begriffen. Wies ist
erst verständlich erschienen, wenn ich Reinhards Kommen 1
kannte, die midi von der Richtigkeit des Handelns und Ges
hens überzeugten. Nur auf das überraschende Erlebnis von
vember 1938, das als ..Kristallnacht“ m die Geschichte emgq
e en ist, wußte auch, er keine positive Antwort. Dieses Ereignis
auch ihm zunächst unverständlich. Lange hat er gebraucht, e 1
m ir eine Erklärung geben konnte, ln zahlreichen Gesprächen
klärte er mir. daß der Antisemitismus kein Politikum, senden
. medizinisches Problem“ sei. Wir haben uns gemeinsam der
schlägigen Momente unseres Lebens erinnert und versucht, aus
Ergebnis eine Erklärung zu finden. Reinhard hat in Halle J
alteingesessene und sehr renommierte Juden kennengelernt, du
von den christlichen Honoratioren der Stadt nicht unterschi
und sich vollständig ..eingegliedert“ hatten.
Meine Erinnerungen und Vorstellungen sahen ganz anders au
Dach, ist mir unbehaglich. Ich erblicke im Moment meine „Haupt¬
aufgabe“ darin, eine Wiege zu kaufen, die mir das Monstrum von
Haus schließlich ein wenig behaglicher madien soll. Reinhard sehe
ich in dieser Zeit wenig. Er ist nach München zurückgefahren. Daß
er Sorgen hat, kann er — vor mir — mdtit verbergen. Ich will ihn
mit meinem seligen Gedanken, bald ein Kind zu bekommen, nicht
stören. Eines Tages sagt er, er habe eine JyjnJadung von einem
Herrn Diels, dem Leiter der Gestapo in Preußen. Er frage, ob ich
mich wohl genug fühle, einen Familienausflug in die märkische
Heide zu unternehmen. Ich wollte, und so trafen wir uns mit Diels
und dessen Frau zu einem Picknick im Freien. Es gibt nur wenige
ken für Klaus und midi; es ist irgendetwas aus Wolle und —
Rosen. Wir reden über Kinder, die Frau Diels zu ihrem Bedauern
nicht hat. Plötzlich, so ganz nebenbei, erkundigt sie sich nach Rein¬
hard und dessen augenblicklichem Aufenthaltsort. „Mein Mann ist
nach München gefahren. Es war dringend*', lüge ich vereinbarungs¬
gemäß, wahrend Reinhard nebenan mithört, was wir sprechen.
Am gleichen Tag fährt er jedoch nach München. Was dahinter
steckte, erfuhr ich erst später. Der Kampf um die Polizei Preu¬
ßens hatte begonnen und Göring einen Haftbefehl gegen Reinhard
erlassen. Mehr erfahre ich erst später. Kurz bevor wir MünAen
verlassen hatten, war die amtierende bayerische Regierung von Ber¬
lin aus telegrafisch aufgefordert worden, zurückzutreten und einer
nationalsozialistischen Regierung Platz zu machen. Das Münchener
Telegrafenamt hatte das Telegramm zurückgehalten. Erst na Adern
Reinhard dort ersAienen war, seine Pistole gezogen und die Her¬
ausgabe des Telegramms erzwungen hatte, hatte MünAen „kapi¬
tuliert“. Himmler war Polizeipräsident, Reinhard Chef der Ab¬
teilung 6 der Bayerischen Polizei geworden.
Für Himmler muß es deprimierend gewesen sein, skh mit einer so
kleinen Rolle im Spiel um die MaAt abgefunden zu sehen, Rein¬
hard dagegen begreift seine Aufgabe niAt als Staatsfunktion. Er
ist mit seiner Funktion in der SS zufrieden und sieht große MÖg-
liAkeiten, skh nun aus staatliAer SiAt detaillierte Einblicke zu
versAaffen. DoA Himmlers Stellung wird wenige Tage später
aufgewertet. Er wird PolitisAer Polizeikommandeur Bayerns. Die
Bayer isAe Politische Polizei (BPP) wird gegründet und Reinhard
ihr Leiter.
Das alles ist gesAeheti, während tA in Berlin sieze und immer
mehr den Kontakt zum Amt und zu den Geschehnissen verliere.
Reinhard besucht mich. Allerdings geschieht dies heimliA- Er will
es zu keinem Eklat kommen lassen. Wir bedenken unsere Situa¬
tion und glauben, daß eine Rückkehr naA MünAen für die Fami¬
lie die beste Lösung sei, zumal auA dort Ae Ver hä ltnisse in un¬
serem Sinne 1 geklart sind. Das Haus wird vom SiAerheitsdi enst der
SS (SD) geräumt. Wir mieten es aussAließliA zur familiären Ver-
Wendung. In der Leopoldstraße wird für den SD eine neue Bleibe
gefunden. Während die Möbel transportiert werden, fahre ich mit
meinem Sohn nach München und kann einige Tage in der kleinen
Wohnung Reinhards in der Leopoldstraße bleiben. In der ersten
Nacht erwache ich vor Schmerzen in der Brust. Am Morgen wird
der Arzt Dr, von Redwitz geholt. TA werde mit einer Brustent¬
zündung ins Krankenhaus eingeliefert. Meinen Sohn darf iA ins
Krankenhaus mitnehmen.
Erst naA WoAen kann iA wieder naA Hause. Reinhard nimmt
Urlaub, und wir fahren zu dritt zu der Familie Wülfert an den
Ammersee naA Riederau. Ein wundersAönes, holzgetäfeltes Zim¬
mer, nimmt uns auf. Reinhard freut siA auf das Segeln mit dem
Hauptmann a, D. Wülfert. DoA in der NaAt muß iA ihn wek-
ken. Hohes Fieber sAüttelt miA. Im Morgengrauen fahren wir zu-
rück naA MünAen — und stehen erneut vor dem Eingang des
Krankenhauses, dessen Ärzte miA kurz zuvor erst behandelt hat¬
ten.
Eine neue Leidenszeit beginnt. MaAdetn iA sie überwunden habe,
können wir endliA Ferien maAen und unseren ersten Urlaub als
Eheleute verleben.
NaA MünAen zurüAgekehrt, beginnt wieder der Alltag. Rein¬
hard fährt früh morgens zum Dienst. IA versorge den Haushalt.
UnmerkliA wandelt siA der Lebensstil bei uns. Die Sorge um das
tägliAe Brot ist versAwunden, dafür aber das Problem der einsa¬
men Frau gewaAsen, deren Mann siA der Politik versArieben
hat. Nur das WoAenende gehört uns noA uneingesArankt. Kon¬
takte mit den Kameraden, mit der einheimisAen Bevölkerung,
pflegen wir niAt. Jeder ist zu sehr mit seinen eigenen SAwierig-
keiten besAäftigt.
NaA MünAen-Waldtradering sind wir niAt wieder gef ähren.
Himmler hat das Grundstück (seine ,,Hühnerfarm“) inzwisAen
aufgegeben und ist an den Tegernsee gezogen. In seinem Bemü¬
hen, im ganzen ReiA die Polizei zu einer Einheit zu versAmel-
zen, ist er inzwisAen reAt weil gekommen. Ihm ist gelungen, Gö-
ring davon zu überzeugen, daß es am besten sei, ihm, Himmler,
46
mir, mim mit unserem einjanrigen ^onn, aem sich im jjezemoer
ein Bruder oder eine Schwester hinzugesellen soll, aus München ab¬
zuholen. Ich habe alle Möbel ■verpackt und bin in unser dienst¬
liches Ausweichquartier in die Münchener Leopoldstraße gezogen.
Dort ruft Reinhard midi plötzlich an und sagt, daß er auf keinen
Fall kommen könne, da sehr ernste und für ihn nicht vorausgese¬
hene Ereignisse eingetroffen seien. Er werde Herrn Oberg bitten,
midi mit unserem Sohne nach Berlin zu bringen. Dort werde ich
in die Prinz Albrechtstraße gefahren, wo die Geheime Staatspoli¬
zei ihren Sitz hat. Reinhard hat sich da eine kleine Wohnung ein¬
gerichtet.
Drei Tage bleibe ich dort, solange, bis unsere Möbel angfkommen
sind. Dann beginne ich damit, unser Haus einzurichten. Unser
Hausmädchen hilft mir. Reinhard kommt nicht nach Hause. Teie-
fonisch berichtet er mir von einer „Röhm-Revolte“, allerdings
ganz anders, als sie später von Leuten geschildert wird, die nicht
dabei waren. Rohm hat seiner SA eine staatliche Basis geben wol¬
len, wie Himmler es für die SS auf dem Wege über eine Einglie¬
derung seiner „Truppe“ in die Polizei auch getan hat. Nadi der
Machtübernahme Hitlers waren beide Organisationen ihrer eigent¬
lichen Aufgaben beraubt worden. Es gab — für sie — nichts mehr
zu schützen, nichts mehr zu verteidigen. Partei und Staat standen
unter einer Leitung. Emst Rohm sah seine SA plötzlich zu einem
„sterilen Haufen von Veteranen“ herabsinken. Nachdem Himm-
abhold, wegen einer angeblichen homosexuellen Veranlagung nicht
so ganz zuverlässig) hatte einen groben Fehler begangen. Er hatte,
was Hitler nicht gutheißen Konnte, sich auf eigene Faust durchzu¬
setzen versucht. Sein '/ersuch, sich Hitler nicht unterwerfen zu
wollen, sich dem Machtspruch des Führers nicht beugen zu wollen,
zeugte nicht nur von Mangel an politischer Einsicht. So jedenfalls
sah Reinhard es 1 ).
Später haben Reinhard und ich oft über das Schicksal Röhms ge¬
sprochen. Sicherlich hat es zuweilen so geschienen, als sei Reinhard
sein Henker gewesen. Für uns waren es schwere Tage, zu sehen,
wie ein Mensch, den wir gut kannten, in sein Unglück lief, Rohm
ist nicht der Mann gewesen, der allen ein Leitbild hätte geben
können. Er war egozentrisch und dachte mehr an sich selbst als an
andere, war jedoch auch zu Opfern bereit, wenn er überzeugt war,
daß sie angebracht seien, Wäre die Machtübernahme Hitlers 1933
anders verlaufen, mit Blutvergießen, das aus falsch verstandener
Humanität unterblieb, hätte die NSDAP später nicht als immer¬
währende Mörderin dagestanden. Hätte es damals eine „Nacht der
langen Messer" gegeben, wonach die SA und alle Parteigenossen
riefen, hätten wir Ruhe gehabt. So mußten wir immerfort Repa¬
raturen vornehmen, die mit der Verhaftung und KZ endeten. Von
Reinhard wurde dann verlangt, daß er die versäumte blutige Re¬
volution in kleinen Prisen nachvollziehen sollte. Merkwürdig ist,
daß er sich seiner Henkersarbeit völlig bewußt war und für sie
sogar eine positive Rechtfertigung zur Hand hatte. Er erblickte in
seiner Tätigkeit so etsvas wie eine mit großen persönlichen Opfern
verbundene Tat, die er um der Sache willen vollbringen zu müssen
meinte. Und wenn ich ihn in Stunden der Verzweiflung bat, doch
aufzugeben, sagte er, daß er dies weder wollte noch könnte, „Ich
fühle mich frei von aller Schuld. Ich kann mich zur Verfügung
stellen; andere könnten egoistische Ziele verfolgen", höre ich ihn
noch heute sagen.
Reinhard, der auf eine blutige Revolution hoffte, wußte keine
Lösung, Hitler hatte sie parat, Er ließ die Massen marschieren,
mit Fackeln und Gesang, ließ sie „Heil" und „Heil" und immer
48
Reinhard und Lina Heydrich in der Prager Oper. Die letzte Aufnahme Hey
drächs mit seiner Frau, einen Tag vor dem Attentat.
wieder „Heil“ rufen, bis sie heiser waren. Ihm war gelungen, einen
Bürgerkrieg zu vermeiden. Viele Gegner wanderten ins Gefäng¬
nis; aber die Volksseele wurde nicht befriedigt. Zweimal versuch¬
ten sich Aggressionen Luft zu machen: im Röhm-Putscb und in
den Nürnberger Gesetzen. Uns erschien es zu billig, diese Aktio¬
nen den Rachegelüsten einiger weniger Verantwortlicher zuzu¬
schreiben. Mit brutaler Gewalt hatte das nichts zu tun, eher etwas
mit Seelenkunde.
Reinhard haßte Goebbels, dessen diabolische Menschenführung er
jedoch bewunderte. Daß die absolute Katastrophe abgewendet
wurde, war sein Verdienst. Hätten die SA und SS 1933 zu geschla¬
gen, wäre es sicherlich nicht an einem Tage erledigt gewesen. Auf
beiden Seiten wäre viel Blut geflossen und die dritte Macht im
Staate, die Reichswehr, hätte dem Ringen um die Macht ein Ende
bereitet. Schleicher 'wäre Reichskanzler geworden, und es hätte
eine Militärdiktatur geben können. Mit der Erdrosselung des Grif¬
fes der SA nach der Macht durch die Niederschlagung des Rohm-
Putsches war die Gefahr eines Aufstandes der Unzufriedenen in
der SA gebannt, und daß sozusagen in einem „Abwasch“ zugleich
auch Kurt von Schleicher noch miterschossen wurde, war nur als
Warnschuß an alle Unbefriedigten in der Reichswehr gedacht, die
eventuell Röhm-Gedanken hätten haben können. Und sie haben
es wohl alle verstanden.
Kurz nach der Röhm-Revolte bin ich mit* unserem Sohn Klaus zu
meinen Eltern nach Fehmarn gefahren. Ich hatte Sehnsucht nach
dem einfachen ländlichen Leben auf der Insel, Es war eine schöne
Zeit. Doch irgendwie ist mir diesmal die alte Heimat als zu eng
erschienen. Das Leben an Reinhards Seite hat meinen Horizont
geweitet. Ich war da nicht mehr das harmlose blonde Lehrerstckh-
terchen, das so „eingesperrt“ leben konnte.. Alles, die Gedanken,
die Räume und. Gegenstände, ja selbst die Natur erschienen mir
nun ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte.
Dennoch liege ich meinem Mann nacht meiner Rückkehr in den
Ohren, sobald wie möglich ein Haus auf Fehmarn zu kaufen. Er
kann dort, wie ich ihm. in leuchtenden Farben ausmale, jederzeit
49
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segeln. Er freut sich, fragt aber, wie wir das wohl ohne Geld be¬
werkstelligen sollten. Ein guter Engel ist in dieser Stunde jedoch
mit uns, der Konsul Willy Sachs, damals „Bayernwilli“ genannt.
Er gewährt uns einen Kredit, Eigentlich tut er es nur mir zuliebe,
weil er sieht, wie wichtig es für mich ist, mit allem zurechtzukom¬
men. Im Grundbuch der Stadt Burg auf Fehmarn stehen noch |
heute die Schulden, die wir als Hypotheken aufgenommen haben.
Ein Freund unserer Familie, der Baurat Rail, entwirft das Haus. ;
Natürlich soll es schön, aber einfach sein, dem Stil der Insel ange-
paßt. Wir wünschen ein einfaches Leben. Und als das „kleine“ '
Haus dann fertig ist, stehen wir vor einem großen Haus. Es ist
auch sehr viel teuerer geworden, als wir es geplant hatten. Eine
zweite Hypothek muß aufgenommen werden. Ein Abzahlungsplan
wird entworfen. Bis 1952, so ist vorgesehen, soll alles bezahlt sein,
mit Zins und Zinseszins. 42 000 Mark müssen auf den Tisch gelegt
werden. Im Frühjahr 1935 beginnen die Handwerker mit dem j
Bau. Das Richtfest ist ein großes Ereignis. Heinrich Himmler tritt
als Schirmherr auf. Einer seiner SAiniede hat ein großes handge¬
schmiedetes Türschloß gemacht, das unser Haus auch symbolhaft
vor ungebetenen Gästen schützen soll. Heute verschließt es im Bun¬
galow eines namhaften Historikers die handgeschmiedete Wand,
die die Diele vom Wohnzimmer trennt.
Reinhard hat seinen Urlaub mit dem Einzug ins eigene Haus ge¬
koppelt. Doch die erhoffte Ruhe findet er nicht. In Nürnberg fin¬
det der Reichsparteitag statt, auf dem die „Nürnberger Gesetze“
verkündet werden sollen. Heydrich muß zugegen sein. Ihn ärgert,
daß er nicht früher über Einzelheiten informiert worden ist, die !
er nach seiner Meinung als einer der ersten hätte erfahren müssen. j
S chli eßlich ist er ja so ganz nebenbei auch noch Abgeordneter des j
Deutschen Reichstages. Inzwischen längst nicht mehr der Anfänger j
in dem Metier, für das er nicht erst nach 1945 Symbolfigur gewor¬
den ist, sieht er sich plötzlich vor Tatsachen gestellt, von denen er
keine Ahnung hat. In Paris hat der Jude Hersdael Grynspao in der
deutschen Botschaft auf den deutschen Gesandtschaftsrat Ernst j
vom Rath geschossen und ihn tödlich verletzt. Allen denen, die
50
eine „Lösung des jüdischen Problems" auf rasche, radikale Art
wünschten, kam dieses Attentat offenbar zur rechten Stunde. Vor
allem Goebbels schien einen solchen Anlaß zu „brauchen". Im Rah¬
men des Reichsparteitages mit seinen von Albert Speer arrangier¬
ten gigantischen Dekorationen, den Fahnen, der Musik, den Schein-
werferilluminationen, die Licht-Dome an den Himmel „malten",
war es nicht schwer, die psychologisch raffiniert ein gestimmte Masse
mit einem neuen Gesetz zu konfrontieren 2 ). Ich hatte den Verdacht,
daß der Umweg über das Gesetz Reinhard ausschließen sollte, auch
wenn er als des
und den SD verfügen konnte, wenn es Ihm paßte, erklärte Rein¬
hard mir in dieser Stunde erneut. Ich glaube, in dieser Nacht, hat
sich bei Reinhard ein Gefühl der Verachtung gegenüber Goebbels
gebildet 3 ). Und ich bin überzeugt, damals sind Reinhards erste Zwei¬
fel auch an Hitler wach geworden. Wir haben später einmal über
den inszenierten Abschied von Werner von Blomberg gesprochen.
Sie haben seine Heirat mit der „Lebedame" nur benutzt, um ihn
loszuwerden, und Reinhard, der ebenfalls wegen einer Frau aus
der Marine hatte ausscheiden müssen, mußte dazu Hilfestellung
leisten.
Mit den Nürnberger Gesetzen begann eine bürokratische, systema¬
tische Erfassung aller in DeutsAlamd lebenden Juden. Wer der Er¬
finder des Judensterns ist, weiß ich nicht 4 ). Es stritten Goebbels
und Canaris um das Urheberrecht. Goebbels aus werbeteAnisAen
Gründen, Canaris aus der Perspektive seiner Abwehr, sozusagen
als Markierung. Mit den Nürnberger Gesetzen wurden alle die¬
jenigen befriedet, die Aktionen und Pogrome statt Worte und Pro¬
gramme gegen die Juden sehen wollten. Der Tod des Legations¬
rats war für sie ein willkommener Anlai, endlich in Aktion treten
zu können. Reinhard und der von ihm repräsentierten „Müllab¬
fuhr" aber blieb die Arbeit... eine Arbeit, die sozusagen eine
körperlose Hingabe war, sobald man sich ihr einmal ganz und
gar verschrieben hatte und an ihre Notwendigkeit glaubte.
„Raus mit den Juden", lautete zuletzt die Devise. „Juden haben
keinen Zutritt", war im Schaufenster eines Geschäftes zu lesen 5 ).
Jeder mußte seinen Stammbaum durchforsten und den Nachweis
der arischen Abstammung erbringen. Wehe dem, der eine jüdische
Großmutter hatte.
Wir, Reinhard und iA, haben uns oft über den Antisemitismus
unterhalten. Er, für den die Juden zu den ältesten Kulturvölkern
der Welt gehörten, was heute ganz sicherlich mit Erstaunen zur
Kenntnis genommen wird, erklärte mir, daß die Juden, wo im¬
mer sie aufgetauAt seien, sich mit der geistigen Schicht ihrer Gast¬
völker verbanden —■ oder deren unerbittliche Feinde wurden. So
hielt er das jüdische Problem erst in dem Augenblick für eine Sache
52
gemeinen Volkes, in dem dessen Erwerbsinteressen durch
: Konkurrenz berührt wurden. Mit dem Auftreten der ga-
len nach dem Ersten Weltkrieg, so sah Reinha
durchdrangen die Juden die Mittelschichten des Gastlandes und
wurden automatisch deren Erwerbskonkurrenten. Mit der Ver¬
schlechterung der Lebensbedingungen, mit dem bedrohlichen An¬
stieg der Arbeitslosigkeit, empfand der einheimische Handwerker
und Händler die Konkurrenz immer härter. Sehr viele Juden
haben den blanken Haß kennengelernt, sobald sie in den Bereich
derer gerieten, die ihre Existenz durch luden bedroht sahen. Und
mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage stieg die Zahl
der Hasser immer mehr. Der Antisemitismus, bislang eine Rand¬
erscheinung, wurde zu einer entscheidenden politischen Waffe. Und
sie nutzte Hitler.
Reinhard und ich eine Mittclmeerreise unternommen. Wir waren,
als Bernd Rosemeyer sein großes Rennen fuhr, in Tripolis und in
Tunis, in der Nähe des einstigen Karthago, Was einstmals blühen¬
des fruchtbares Land gewesen sein muß, war nun öde Steppe, von
Sand überweht, einer völligen Klimaverwandlung zum Opfer ge¬
fallen. Die Sehrsucht der Juden, in ihr altes Land zurückzukeh¬
ren, erschien Reinhard als ein Versuch, die harte Wirklichkeit
durch große Geschichte zu verklären. Er suchte nach einer anderen
Lösung. Ins Gespräch kam die französische Kolonie Madagaskar®).
Wegen ihrer Unwirtlichkeit wurde sie als Verschickungsort für
hoffnungslose Strafgefangene benutzt. Dort, in dem fruchtbaren,
an Bodenschätzen reichen Gebiet, hätten viele Menschen Platz und
Lebenschancen*). Es wurden Fühler nach Frankreich ausgestreckt.
Doch Frankreich lehnte ab. Reinhard konnte den Juden nichts
bieten. Sie mußten sich alleine helfen — und viele taten es auch.
Ein Teil von ihnen emigrierte nach Amerika. Als der Krieg aus-
brach, erklärte der Leiter der Zionisten „dem deutschen Reich den
Krieg“, obwohl er nur der Leiter einer innerjüdischen Bewegung
war und audi bei den Juden Kritik auslöste. Bei Ausbruch des
Krieges war jeder Jude ein Feind, gleichgültig, ob er der Erklärung
der Zionisten zustimmte oder nicht.
Während des Krieges vernichte Reinhard noch einmal, eine gra¬
vierende Lösung des jüdischen Problems auf seine Weise zu errei¬
chen. Die Tatsache, daß er im September 194! Stellvertretender
Reichsprotektor in Böhmen und Mähren geworden war und damit
endlich auch das direkte Vortragsrecht bei Hitler bekommen hatte,
erschien ihm als wesentliche Zäsur und Hilfestellung in dieser
Sache. Er brauchte nun nicht mehr den Umweg über den immer
zögernden, beim Führer nach „gut Wetter“ Ausschau haltenden
Heinrich Himmler zu wählen. Er wollte die Zeit nützen. Daß sie in
Böhmen nicht immer währen würde, erschien ihm selbstverständ¬
lich. Er glaubte an eine nur vorübergehende, kriegsbedingte Ab¬
kommandierung nach Prag. Eines Tages erzählte er mir, daß in
Hitlers Führerhauptquartier beschlossen worden sei, ein großes
Reservat für die Juden in Rußland zu errichten, das zu einem jü-
54
dischen Staat entwickelt werden solle. Im Zeichen des gewaltigen
Vormarsches der deutschen Truppen in Rußland hat damals alles
sehr positiv ausgesehen. Eine Umsiedlung in so großem Rahmen
erschien absolut möglich. Reinhard erhielt den Auftrag, die Vorbe¬
reitungen für diese Umsiedlung zu treffen. Er organisierte eine
Konferenz, an der alle diejenigen teilnahmen, die mit dem jüdi¬
schen Problem zu tun hatten. Diese Konferenz fand am 20. Januar
1942 im Gästehaus des Reichssicherheitshauptamtes der SS in
Wannsee statt.
127 Tage nach der Wannsee-Konferenz wurde auf Reinhard in
Prag das Attentat verübt, an dessen Folgen er starb. Er konnte das
(Wannsee-) Vorhaben nicht mehr ausführen 7 ).
Rund 6 Wochen nach Reinhards Tod erscheint der SS-Gruppen-
führer Bruno Streckenbach bei mir und erzählt mir von seinem
Kummer im Amt, zu dem ich den Kontakt nach und nach mehr
verloren habe. Dabei spricht er von der völligen Unfähigkeit
Himmlers, Reinhard zu ersetzen. Auch sei er mit Maßnahmen, die
Reinhard nie und nimmer gebilligt haben würde, nicht einverstan¬
den. Kurzum, er wolle aus dem Amt ausscheiden und zur Truppe
gehen. Der Chefadjutant Reinhards, Dr. Achim Plötz, hatte be¬
reits seine Fahrt zur Truppe an die Ostfront angetreten. Es müs¬
sen unerträgliche Zustände geherrscht haben, und erst jetzt merkte
auch Himmler, welche Lücke der Tod Reinhards gerissen hatte.
Nach dem Tode Reinhards bitte ich meine mütterliche Freundin,
Frau Rail, die Frau des Architekten, der unser Haus auf Fehmarn
entworfen hatte, mir in der ersten schweren Zeit beizustehen. Im
August 1942 kommt ihr als Baurat in Frontnähe eingesetzter
Mann auf einen kurzen Besuch zu uns. Und er erzählt mir, was
er gesehen und was er erlebt hat. Er spricht von Massenerschießun¬
gen, von systematischer Austilgung von Massengräbern, an denen
er voribergekommen ist. Und immer wieder sagt er dazwischen
diesen einen Satz: „Wenn das der Chef wüßte“. Während ich
überlege, wen er im Moment wohl mit „Chef* 11 meine, höre ich ihn
sagen: „Man nennt es Aktion Reinhard!“ ... In mir steigt ein
furchtbarer Verdacht auf.
55
Oft bin ich nach 1945 gefragt worden, wie Reinhard und ich es
■mit der Kirche gehalten haben und wie es in dieser Hinsicht in
unseren Elternhäusern bestellt gewesen sei. Reinhards Vater war
evangelisch, seine Mutter katholisch getauft. Ich kann mir nicht
vorsteilen, daß das Glaubensbekenntnis im Elternhaus des Vaters
eine besondere Rolle gespielt hat. Die Sorge um das tägliche Brot
ist dort wahrscheinlich wichtiger gewesen. Im Elternhaus der Mut¬
ter hingegen scheint die besondere Beachtung der katholischen
Konfession eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein. Von An¬
fang an hat die Mutter in jeder Hinsicht in der Ehe der Eltern
Reinhards dominiert. Reinhards Vater konvertierte und wurde
katholisch. Sicherlich war es kein religiöses Urgefühl, das ihn zu
diesem Schritt bewog, sondern eine rein praktische Überlegung.
Später erzählte er mir, daß er von der Liturgie der katholischen
Kirche beeindruckt und inspiriert worden sei.
Reinhard wurde katholisch getauft und gefirmt und war einige
Zeit hindurch sogar Messknabe. Eine innerliche Einstellung zur
Kirche oder zum Glauben hat er nicht gefunden. In der Marine,
wo der sonntägliche Kirchgang obligatorisch war, weigerte er sich
einmal, einem befohlenen Gottesdienst beizuwohnen. Aufsässig er¬
klärte er, daß er am Sonntag lieber in den Wald ginge, wo er sei¬
nem Herrgott nach seiner Meinung näher sei.
Mein Vater war als junger Lehrer einer kirchlichen Oberaufsicht
unterworfen gewesen. Der dicke Propst Midhler hatte einen schwe¬
ren Schatten auf seine erste Lehramtszeit geworfen, nicht nur we¬
gen seiner körperlichen Fülle, sondern wegen seiner völligen Unfä¬
higkeit, eine gerechte Erziehung der Kinder zu bewerkstelligen.
Ihm erschienen die Zehn Gebote und der große und der kleine
Katechismus wichtiger als das Einmaleins. Mein Vater war da¬
mals — durch den Propst — zu einem richtigen ,,Revoluzzer" ge¬
worden. Und wenn wir, seine Kinder, später im üblichen Rahmen
die Kirche und den Konfirmandenunterricht besuchten, versuchte
er immer wieder, uns von den anderen Kindern abzusondern. „Ihr
bekommt nur kalte Füße", meinte er zuweilen. Für mich hatte es
zur Folge, daß ich erst recht zur Kirche ging.
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Während meiner Schulzeit in Kiel war ich regelmäßiger Besucher
der Lutherkirche, deren Pastor Paulsen mir als gewaltiger Predi¬
ger erschien. In dieser Zeit wurde ich bibelfest. Es gibt kein Bi¬
bel-Kapitel, das mir aus der Zeit nicht im Gedächtnis haften ge¬
blieben ist. Da ich zur katholischen Kirche keine Verbindung hatte,
außerdem familienmäßig zu stark beansprucht war, besuchte ich in
Bayern die Kirche nicht.
Einmal waren Reinhard und ich auf einer Parteiversammlung ir¬
gendwo in einer kleinen bayerischen Gemeinde. Als ich, die in
jungen Jahren leider nie den Mund halten konnte, eine Antwort
auf eine Frage zu geben versuchte, wies ein hochwohllöblicher
Gottesmann, ein Monsignore, mich mit der sarkastischen Bemer¬
kung ab: „Halten Sie den Mund, Sie sind Preuße!". Mit diesem
Satz wurde mir schlagartig klar, daß hier unter „Kirche" keine
Glaubensangelegenheit, sondern politisches Engagement verstan¬
den wurde. Während unserer Berliner Zeit bin ich regelmäßig in
die Kirche gegangen, Niemals habe ich jedoch so etwas wie Chri¬
stentum in ihr finden können. Ich fand, daß sie sich in Liturgie,
in Oberflächlichkeit verbrauchte, so daß ich beschloß, aus der
Kirche auszutreten. Meinem Mann durfte ich davon nichts sagen.
Das war 1935. 1936 überraschte er mich mit dem Bekenntnis, aus
der Kirche ausgetreten zu sein. Und in diesem Augenblick beichtete
ich ihm auch meine Sünde. Er war jedoch aus einem ganz anderen
Grund als ich aus der Kirche ausgetreten. Trotz unserer evangeli¬
schen Hochzeit war er immer noch Katholik geblieben. In seiner
Dienst- oder Arbeitszeit wurde er mit dem politischen Katholizis¬
mus bekanntgemacht. Er erlebte die politische Macht der katholi¬
schen Kirche. Die Predigten von der Kanzel, die Einwirkung auf
die Gläubigen, sah er nun als eine Gefahr für den Staat an. Und
bevor er gegen die Kirche vorging, trat er aus ihr aus. Ich war
über den Weg des Glaubens, er über die politische Erfahrung, zur
Erkenntnis gekommen, daß die Kirche für uns. keine Heimstatt
sein konnte.
Das Jahr 1936, es ist das Jahr der Olympischen Spiele in Berlin,
besdhert uns viele Überraschungen, Reinhard wird dank seiner
57
fechterischen Erfolge, er ist 1935 mit seiner Mannschaft Deutscher
Meister im Degenfechten geworden, in das Olympische Kommitee
gewählt. Das hat auch für mich Folgen, Ich bekomme eine Karte
für einen ständigen Platz im Olympiastadion. Die Auszeichnung
besteht darin, daß ich mitten unter den Frauen der Teilnehmer
und Verantwortlichen sitzen kann. Dabei muß ich feststellen, daß
ich einen besseren Platz als Frau Himmler habe. „Oh weh", denke
ich sofort, „wenn das man gut geht".
Nun, es geht nicht gut. Ich möchte zur Segelregatta nach Kiel, wo
ich drei Jahre gelebt und Reinhard kennengelernt habe. Die Frau
des Chefadjutanten von Himmler, Frau Frieda Wo!ff, bittet mich,
sie mitzunehmen. Ich freue mich, will ihr meine alte Heimat zei¬
gen und sie auch nach Fehmarn mitnehmen. Unterwegs erfahre ich,
daß (fieses „Mitfahren“ programmiert worden ist. Frieda Wolff ist
ausersehen worden, mich zu informieren, daß gegen uns eine Ak¬
tion nach dem Motto „Wer seine eigene Rotte nicht führen kann,
kann auch keinen Haufen führen", ins Rollen gekommen ist.
„Man" ist mit mir nicht zufrieden. Ich mucke gegen alles auf, was
meine eigene Bewegungsfreiheit einengt. Ich lasse mich nicht kom¬
mandieren, solange es sich um private Angelegenheiten handelt.
Mit wem ich mich anfreunde, mit wem ich mich unterhalte, was
immer ich auch unternehme, solange es nicht in dienstliche Bereiche
meines Mannes fällt, will ich allein entscheiden. Wenn ich es nicht
als schicklich betrachte, Heinrich Himmler als „Mein Reichsfüh¬
rer“ anzusprechen oder Hofdienste für seine Frau Marga zu lei¬
sten, denke ich, ist dies meine rein private Angelegenheit. Ärger
aber gibt es schon, als mein Chauffeur sich während der Olympi¬
schen Spiele einmal „erdreistet", das vor uns fahrende Auto der
Frau Himmler zu überholen.
Die „Hofintrige“ läuft auf vollen Touren. Daß ich nur eine Art
Vorhut bin, ist schnell erkennbar; denn ich selbst kann ja nicht
wichtig sein. Daß es einen Menschen geben könnte, der so hirn¬
verbrannt wäre, diesen scheußlichsten aller scheußlichen „Berufe“,
den Rei nh ard ausibt, für sich ergaunern zu wollen, will mir an¬
fangs nic ht in den Sinn; aber dann erfahre ich, welch eine Schlüs-
selstellung in dieser Tätigkeit liegt. Und zum ersten Mal begreife
ich Reinhards Bekenntnis: „IA muß es tun. Jeder andere könnte
eigennützige Interessen vertreten oder den Apparat mißbrauAen".
Herr Wolff hätte ihn siAerliA mißbrauAt. Als im Jahre 1945 die
Südarmee kapitulierte, hatte er, der inzwisAen Oberkommandie¬
render der Südarmee geworden war, siA zuvor mit Alan Dulles
in der SAweiz geeinigt. Damals, 1936, war Karl, „Peter Wolff"
genannt, lange sAon von seiner Frau Frieda gesAieden. Eine Grä¬
fin hatte es ihm angetan. DennoA, und das reAne iA ihm heute
noA hoA an, hat er seine erste Frau niAt vergessen. Und als es
bei uns in Böhmen neun Jahre naA den OlympisAen Spielen so
weit war, als der Feind vor den Toren stand, ist er in letzter Mi¬
nute noA mit dem Flugzeug ersAienen und hat mir empfohlen,
rasA die SaAen zu paAen.
Ende Februar 1937, eine WcAe vor Reinhards Geburtstag, mu߬
ten wir umziehen. IA bat Reinhard, eine Dienstreise zu unter¬
nehmen, um die ganze SaAe allein arrangieren zu können. Er
würde mir, das wußte iA aus Erfahrung, doA nur im Wege sein.
IA zog um, in die Augustastraße 14 in Berlin-SAIaAtensee. Ein
Palast war es niAt, der unser neues Heim sein sollte, sondern eher
eine Art vergrößertes Siedlungshaus im Rahmen einer neu ersAlos-
senen Siedlung. Für uns, die keine Repräsentationssorgen hatten,
genügte es. Für meine Freunde — Reinhard hatte keine — und für
Verwandte, war genug Platz. Immerhin gab es ein Herrenzimmer,
ein Damenzimmer, ein Eßzimmer mit ansAIießender Freiterrasse,
eine KüAe und einen Keller. Im Obergeschoß waren ein SAlaf-
zimmer für uns, eins für die Kinder und zwei SAlafräume für Be-
suAer vorhanden. Und ganz oben hatten die Hausangestellten
auA noA jeweils ein Zimmer. Von nun an hatte Reinhard mir
eine zweite Hilfe zu gesagt, Ae er auA bezahlte»
Als Reinhard am 7. März 1937 morgens zu seinem Geburtstag an¬
kommt, herrsAt große Neugier. Besonders bewundert er den Stand
seines NähtisAes, und iA habe eine OberrasAung für ihn. Das
HallesAe Konservatorium seines Vaters ist aufgelöst worden. IA
habe daraus ein Klavier erstanden. DoA auA er hat eine Ober-
59
rasAung für midi: zwei Karten für eine Mittelmeerreise, Es ist wie
Weihnachten. „Weißt Du“, sagt er, „ich bin Dir noch die Hoch¬
zeitsreise schuldig. Wir könnten sie jetzt endlich nachholen“. Es ist
wunderschön, zumal auch die Finanzierung des Hauses gesichert
erscheint. Der Bauunternehmer, von dem wir das Anwesen gekauft
haben, läßt als erste Hypothek 25 000 RM auf das Haus eintragen.
10 000 Mark werden auf unser Haus auf Fehmarn eingetragen. Für
die von Himmler geliehenen 10 000 Mark gibt es einen Schuld¬
schein. Die 49 000 Mart, die das Haus gekostet hat, sind auf die¬
se Weise zusammengetragen worden. An Zinsen haben wir 121,—
Mark aufzubringen, an Amortisation noch einmal so viel. Hätten
wir uns eine Etagenwohnung gemietet, wären monatlich 400,—
Mark zu zahlen gewesen. Wir, Reinhard und ich, sind zufrieden.
Er ist froh, daß ich alle häuslichen Probleme von ihm fernhalte.
Kommt er abends müde und erschöpft nach Hause, bin ich für ihn
da. Den ganzen Tag hat er für andere da zu sein, immer bereit,
immer gegenwärtig und immer Entscheidungen, oft sehr schwere
Entscheidungen, zu fällen. Dieses kleine Zuhause genießt er. Das
ganze Grundstück mißt 700 qm, nicht gerade ein Park, aber doch
Platz für Sandkasten und Rasen für die Kinder. Am Ende zäune
ich einen kleinen Teil ab. Es wird ein Hühnerhaus darin gebaut.
Die Kinder sollen auch hier in der Stadt zusammen mit Tieren
aufwachsen können. Mein „Protestgarten“ gegen die Stadt ist fer¬
tig, nachdem auch Obstbäume gesetzt sind und eine Quittenhecke
den Abschluß zum NaAbargarten bildet. Nun können wir unsere
Mittelmeer-Reise antreten. Und wir tun es.
Mit dem Einzug in unser Haus in SAlaAtensae erhoffen wir eine
Stetigkeit, eine Beständigkeit für unser Leben. In sieben Jahren
sind wir siebenmal umgezogen, von Mietshaus zu Mietshaus. Auf
Grund der Stellung, die Reinhard bekleidet, hat er AnspruA auf
eine Dienstwohnung. IA weigere miA jedoA strikt, in eine
Dienstwohnung zu ziehen. Als Lehrer hat mein Vater stets in
Dienstwohnungen gelebt, die zum Teil sehr geräumig und gut ein«
gerichtet warm. IA habe gesehen, wie Beamte naA ihrer Pensio¬
nierung lebten. Hatten sie keine ausreiAenden Rücklagen, standen
60
sie dürftig da, und mit dem Verlassen ihrer Dienstwohnung be¬
gann ihr sozialer Abstieg, Oft lebt eine Familie jahrzehntelang in
dieser Dienstwohnung, Die Kinder werden darin geboren, und
ihre ganze Kindheit ist mit dieser Wohnung verbunden. Und
dann, eines Tages, heißt es, „raus mit euch“; andere Leute ziehen
ein. Man kann dann höchstens noch einmal kommen und höflich
neinsdiauen
wild ein Taschengeld sogar dort arbeiten. Da kein Etat vorhan¬
den war, mußten alle Angehörigen der SS und des Reichstages
bestimmte Beträge zahlen. Und diejenigen, die keine Reichstagsab¬
geordneten waren, wurden nach einem besonderen System gerupft.
Es wurde eine Tabelle verfaßt, von der man über Dienstgrad und
Kinderzahl ablesen konnte, was der Einzelne einzuzahlen hatte.
Zu zahlen hatten nur Offiziere. Mannschaften waren nicht betrof¬
fen. Junge, kinderreiche-Familien, waren befreit.
Viel, viel später, wird auch uns Lästermäulern klar, wie segens¬
reich diese Einrichtung ist, zumal SS-Angehörige, die selbst keine
Kinder haben, hier Kinder adoptieren können und dabei genaue
Auskünfte über Herkunft und Veranlagung des Babys erhalten
können, was sie weitgehendst vor Überraschungen schützt. Als sich
die Sache eingelaufen hat, können auch verheiratete Frauen im
„Lebensborn** entbinden und damit sozusagen im Wochenbett be¬
reits den unehelichen Kindern den Makel nehmen. Die ledigen
Mütter werden mit „Frau“ angesprochen und niemand erfährt,
daß sie nicht verheiratet sind. Asoziale oder berufsmäßige Dirnen
werden nicht aulgenommen. Soweit mir bekannt geworden ist,
sind es meistens junge Mäddien vom Lande gewesen, die „in
Dienst" nach Berlin gegangen sind, oftmals ihren Freunden aus
der Leibstandarte nach dort folgten und dann eben dieses Mal¬
heur hatten 8 ).
Himmler hat immer Gedanken verfolgt, die ganz und gar vom
Herkömmlichen abwichen, und es war nicht leicht, sich mit seinen
Vorstellungen zu identifizieren. Zu seinen okkulten Ideen hat Rein¬
hard niemals einen Zugang gefunden. Immer wieder mußte er
feststellen, daß sich zwielichtige Gestalten auf diese Weise bei
Himmler einschlichen, ihn ausnutzten und ihren Profit daraus zo¬
gen. Als einen der gefährlichsten Männer dieser Art bezeichnete
Reinhard den Masseur Kersten, der später als Himmlers Leibarzt
von StA reden machte.
Heinrich Himmler hat in Reinhards Leben eine entscheidende Rol¬
le gespielt. Ähnlich schicksalhaft war nur noch Wilhelm Canaris,
der Chef der deutschen militärischen Abwehr, mit Reinhards Le-
62
ben verknüpft. Erstmalig sind sie sich auf dem Kriegsschiff
„Braunschweig“ begegnet, auf dem Canaris Kapitän zur See war.
1934 sind wir nach Berlin Südende gezogen, wo wir bis 1937
wohnten. Im Frühjahr 1935, während ein« Sonntagsspaziergan¬
ges, trafen wir ein Ehepaar, das Reinhard überrascht und freudig
begrüßte. Es waren Canaris und seine Frau. Sie wohnten in der
gleichen Straße wie wir. Es wurde in den Kinderwagen geguckt
und ein Treffen vereinbart. Bald gab es ein Hin und Her von Fa¬
milie zu Familie. Das Ehepaar Canaris hat zwei Töchter, aller¬
dings wesentlich älter als unsere Söhne. Doch sie selbst waren ja
Ich kann mich nur auf Tatsachen stützen, die IÄ zu übersehe n ver-
63
mag. Canaris und dessen Frau waren noch eine Woche vor dem
Attentat auf Reinhard unsere Gäste in Prag, in Breschan, wo zwi¬
schen den beiden Nachrichtendiensten, zwischen Reinhard und Ca¬
naris, noch die sogenannten „Zehn Gebote“ ausgehandelt wurden.
Eine präzise Regelung war lange überfällig. Immer wieder hat es
Kompetenzsdiwierigkeiten gegeben, insbesondere in den Augen¬
blicken, in denen es um Probleme im Ausland ging. Ich entsinne
midi einer Diskussion, die Reinhard mit Canaris anläßlich eines
Aufenthalts in Spanien hatte. Reinhard vertrat immer den Stand¬
punkt, daß alles, was zu tun sei, auf dem Wege der Organisation
durch die
Schuld schob er Mussolinis Außenminister und Schwiegersohn zu,
dem Grafen Ciano, der nach Reinhards Meinung mehr aus Eitel¬
keit als aus politischer Klugheit handelte.
Die Neutralität Spaniens machte es notwendig, daß sowohl der
Sicherheitsdienst der SS als auch die Abwehr ihre wachen Augen
auf die Geschehnisse in Spanien lenken mußten. Jedes neutrale
Land ist im Kriege normalerweise der beste Tummelplatz für die
„heimliche Front“. Spanien war durch den englischen Stützpunkt
Gibraltar besonders geeignet, dem Reich Fallstricke dieser Art zu
präparieren.
In diesen Tagen reden wir natürlich besonders viel über Gibraltar,
über die kleinste britische Kronkolonie. Einmal ist sogar die Rede
davon, daß die Festung von deutschen Truppen besetzt werden
solle. Canaris will wissen, wie das gegebenenfalls am schnellsten
und besten militärisch bewerkstelligt werden könnte. Einzelheiten
interessieren ihn. Das mag auch ein Grund dafür gewesen sein, daß
er glaubte, die für derartige Aktionen notwendigen, geheimen
Voraussetzungen, selbst und sofort bis ins Detail hinein erkunden
und arrangieren zu müssen. Er ist auf Erkundungstour gegangen.
Nach einem dieser „Ausflüge" ist er, wie er uns erzählt, auf dem
Heimweg in einen Schneesturm geraten und hat sich in Deutsch¬
land mit dem Wagen verirrt. Zu Fuß sind er und sein Fahrer los¬
gewandert. Auf einem Bauerngehöft, dessen Bewohner ihn natür¬
lich unerkannt auf nehmen, kann er sich orientieren. Sie erhalten
Quartier und Essen, dazu ein Fußbad für die nassen, kalten Füße.
Canaris schildert diese Begebenheit so plastisch und lebendig, daß
ich ihn noch heute mit aufgekrempelten Hosen auf einem Bauern¬
stuhl hocken sehe, die kalten Füße in einer Emailschüssel. Und
dann fragt Reinhard ihn augenzwinkernd: „Sagen Sie mal, Herr
Admiral, wie lange haben Sie denn da gehockt?“. Ich weiß nicht
mehr genau, wie die Antwort lautete; aber die von Canaris ge¬
nannte Zeit kann nicht kurz gewesen sein; denn Reinhard gibt zu
bedenken: „Und so lange sind Sie nicht im Amt gewesen?"
Reinhard will mit dieser Frage nur andeuten, daß man mit einer
soldien Methode kein so wichtiges Amt leiten kann.
65
Mein Mann führte die vielen Pannen der deutschen Abwehr eben
auf diese unzureichende Führungsmethode zurück. Lange nach dem
Tode Reinhards erfuhr ich, daß Canaris zu dem Kreis der Männer
des 20. Juli gehört hatte. Dabei fiel mir diese Fußbadgeschichte
wieder ein, und ich dachte mir: „Da mußte er doch wieder selbst
dabei sein, und nun hat es ihn erwischt* 1 . Vier Wodien nach Ca¬
naris’ Tod informierte Himmler mich über die Hinrichtung des
Admirals. Ich hatte den Eindruck, er hat es mir sehr ungern gesagt.
Schließlich wußte er von unseren familiären Bindungen. Nach dem
Tode Reinhards erhielt ich von Canaris ein handschriftliches Dank¬
schreiben für genossene Gastfreundschaft zugleich auch einen Kon¬
dolenzbrief geschickt. Der letzte Satz lautet: „Seien Sic gewiß, ich
habe einen guten Freund verloren“.
Niemals habe ich nach 1945 von Frau Canaris oder von den Ca-
naris-Töditern selbst etwas gehört. Einmal hat es geheißen, sie
seien in Spanien, dann wieder, Frau Canaris wäre gestorben. Ich
hätte sie gern so einiges fragen mögen, so zum Beispiel, ob es
stimme, daß Wilhelm Canaris beizeiten Gold, das für die Abwehr
bestimmt gewesen ist, zum persönlichen Gebrauch nach Spanien ge¬
schafft hat und Frau Canaris sidt deshalb nach dem Kriege lange
Zeit in Spanien aufgehalten habe. Ohne Belege möchte ich all’ dies
nicht glauben.
Eines Tages, es muß im März oder April 1941 gewesen sein, waren
wir wieder einmal bei Canaris eingeladen. Zu unserer Überra¬
schung wurden wir von einem Araber bedient, der auf den Na¬
men „Mohamed“ hörte. Natürlich fragte jeder Gast sofort: „Wo
haben Sie, Herr Admiral, denn den her?“, und jeder hörte aus
dem Munde des Admirals: „Den habe ich mir in Bordeaux ge¬
kauft. Er hat zwanzig Mark gekostet.“ Zuhause angekommen,
sagte Reinhard: „Ich möchte bloß wissen, was sich der listige
Fuchs damit ausgedacht hat. Daß der Araber weder Deutsch spre¬
chen noch verstehen kann, glaube ich nicht. Ich fürchte, der soll an
der Tafelrunde alle Gespräche, die Canaris nicht selbst mithören
kann, ,abhören‘ und sie ihm dann mitteilen.“
Am nässten Tag ruft Reinhard Canaris an und sagt ihm, welche
Vermutungen er habe. Reinhard möchte nicht gern ein nach seiner
Meinung so primitives Versteckspiel mitspielen. Canaris beteuert
jedoch, daß er uns die Wahrheit gesagt habe. Wenige Tage nach
diesem Gespräch, als Reinhard am frühen Morgen zum Dienst fah¬
ren will, bittet ihn der Kriminalbeamte Schmidt, der nachts unser
Haus bewacht, ihm eine Mitteilung machen zu dürfen. Er müsse
ihn, so bedeutet er, über eine wichtige Beobachtung informieren.
Nachts, gegen 2 Uhr, habe unser Schäferhund, der auf einer Poli¬
zeischule ausgebildet ist, angeschlagen. Das bedeutete: „Draußen
ist etwas nicht in Ordnung.“ Der Beamte schlich sich, wie er mei¬
nem Mann berichtete, leise und ohne Licht, nach draußen in die
naris verbinden. Er berichtet ihm von dem nächtlichen Liebeser-
lebnis seines der „deutschen Sprache unkundigen“ Spitzels und
meint, Canaris möge derartige Kindereien in Zukunft unterlassen.
Idi habe die Art, wie Reinhard die Sache an packte, sehr bewun¬
dert. Er liebte Ränkespiele nicht, sondern wollte immer klare Ent¬
scheidungen und klare Handlungen.
Im Hause Canaris hat es stets Dackel gegeben, die Canaris dem
Gerede zufolge mehr als Frau und Kinder geliebt haben soll. Wer
ihn genauer kannte, wußte jedoch, daß die Dackel für ihn Immer
nur Mittel zum Zweck waren. Wie die Engländer immer vom
Wetter reden, wenn sie ein Gespräch einleiten oder eine Bekannt¬
schaft machen wollen, so redete Canaris in solchen Situationen
über Dackel. Was dem Engländer das Wetter, war für Canaris der
Dackel.*) Mit Reinhard hat er nie über Dackel gesprochen. Die
Triebfeder sein« Handelns war nicht die Politik, nicht Pflichtbe-
67
wußtsein oder sonst etwas, was Männer gewöhnlich als Leitbild
ihres Tuns ansehen. Canaris war ganz einfach außergewöhnlich
neugierig. In ihm steckte ein Urtrieb, alles erforschen, alles er¬
spähen zu wollen, und darum wollte er auch immer alles selbst
tun. Nicht die Skepsis, daß ein anderer es womöglich nicht gut ge¬
nug machen könnte, trieb ihn an, sondern die Neugier, die Span¬
nung, das Erlebnis. Und so ist denn auch nach meiner Ansicht nicht
verwunderlich, daß Ränkespiele hinter seinem Rücken aufkeimten,
von denen er nicht immer eine Ahnung hatte und — über die er
eines Tages selber fallen sollte.
Eines Tages erlebeich durch eine seiner Töchter, daß ich ihn durch¬
schaut haben muß. Sie ist am Nachmittag zu uns gekommen und
hat uns ausgerichtet, Vater und Mutter ließen bitten, sie zu besu¬
chen. Ausnahmsweise ist Reinhard im Hause. Er ist im Oberge¬
schoß und zieht sich um. Ich bitte die etwa 13 Jahre alte Canaris-
Tochter, in Reinhards Zimmer zu warten. Dann gehe ich nach
oben und spreche mit Reinhard. Danach komme ich wieder ins
Erdgeschoß zurück. Da zwisdien Reinhards Zimmer und dem E߬
zimmer nur eine dicke Portiere angebradit worden ist, die mei¬
stens halb offen steht, kann man sehen und hören, was jeweils im
anderen Zimmer geschieht. Als ich nun, verdeckt durch die Por¬
tiere, durch das Eßzimmer gehe, entdecke ich, daß das Canaris-
Pflänzchen die Schreibtischschublade meines Mannes durchstöbert
... So etwas nennt man, glaube ich, Vererbung. Ich verhalte midi
ruhig und warte den weiteren Hergang ab. Als Reinhard plötzlich
das Zimmer durch die andere Tür betritt, gelingt es dem Mädchen
nicht, die Schublade schnell genug zu schließen. Reinhard tritt hin¬
zu, schließt ganz ruhig das Fach und meint so nebenbei: „Du, das
tut man nicht!“. Es ist kein Wort mehr darüber gefallen, 10 ) Viel spä¬
ter hat Reinhard mir gesagt, daß er mit Frau Canaris darüber ge¬
sprochen habt, mehr aus Erziehungsgründen. Die Canaris-Kinder
galten in der Schule als schwererziehbar.
Reinhard hatte keine Freunde. Kein Mann kann sagen, er sei Hey«
drichs Freund gewesen. Er wollte keine Freunde. Er glaubte, keine
Freundschaften schließen zu dürfen. Ich bedauerte dies sehr; denn
68
wieviel Freude geht verloren, wenn man allein sein muß. Und wie
einsam kann ein Mensch werden, wenn er keine Freunde hat.
Wahrscheinlich war er durch persönliche Erlebnisse vorprogram¬
miert. Die Entlassung aus der Marine, bei der seine Kameraden so
energisch mitgewirkt haben und das Erlebnis mit Ernst Rohm,
dem er sich so zugeneigt fühlte, daß er ihn zum Paten seines Soh¬
nes machte, um dann später einem dienstlichen Befehl gehorchend,
auf der Seite des Führers zu stehen, haben sicher ihr Teil dazu
beigetragen. Ich glaube, diese Erfahrungen haben in ihm die Er¬
kenntnis reifen lassen, daß es in seinem so negativen Beruf einfach
keine Freundschaft geben durfte. Er ging soweit, daß er sich eines
Tages bei Himmler melden ließ und ihn in einer sehr persönlichen
L*
Sein erster Weg führt in die Turnhalle seines Amtes, wo Dr.
Hoops, sein Fechtlehrer, bereits auf ihn wartet. Täglich absolviert
er einige Waffengänge auf der Matte. Seit seiner Schulzeit ist der
Fechtsaal sozusagen seine zweite Heimat gewesen; er ficht Degen
und Säbel. Sein Ziel, Deutscher Meister zu werden, hat er in der
Mannschaft erreicht. Ihn hat nicht gereizt, den Titel zu verteidigen
und zu behalten. Es war ihm seitdem mehr ein Vergnügen, eine
Bestätigung, auch körperlich fit zTTsein. Das primäre Interesse am
Fechtsport erlosch und wurde durch ein Routinefechten zur Erhal¬
tung der Spannkraft abgelöst.
Als die Polizei im Jahre 1936 unter die zentrale Führung Himm¬
lers gestellt wird und Reinhards Befugnisse sich damit über das ge¬
samte Reichsgebiet erstrecken, erhält er für seine Dienstreisen ein
viersitziges Flugzeug. Kapitän Leopold ist sein Pilot. Reinhard
und er hecken einen Plan aus. Reinhard soll fliegen lernen. Ich er¬
fahre es erst, als bereits alles „läuft“. Sehr lange können wir ein¬
ander nichts verheimlichen. Jetzt wird eine Stunde früher aufge¬
standen und in regelmäßigen Abständen geübt. Für die Kunstflug¬
übungen bekommt Reinhard einen Doppeldecker. Damit kann er
die tollsten Kapriolen fliegen, Loopings, Rollen und künstliches
Trudeln üben — und natürlich auch auf dem Rücken fliegen ler¬
nen. Diese Ausbildungszeit benutzt Reinhard dazu, mich an Wo¬
chenenden im Sommer mit dem Flugzeug zu besuchen. Wir finden
eine Wiese, auf der er nicht nur landen, sondern auch ein Häuschen
erriditen darf. Sehr bald beweist Reinhard mir, daß er rasch und
viel gelernt hat. Wenn der Doppeldecker am Himmel rattert, weiß
ich: Er kommt. Dann schaue ich hinauf und sehe Luftakrobatik,
die mich immer wieder ängstigt. Bis die Maschine auf der Wiese
landet, habe ich immer noch Zeit genug, die Bratkartoffeln aufzu¬
setzen und den Tisch für „Krum und Milch“, ein altes Gericht von
der Insel Fehmarn, vorzubereiten. Der Mann, der nun etwas ge¬
worden ist, ein Flugzeug besitzt, Macht hat, gefürchtet, gemieden
und beneidet wird, liebt privat ein einfaches Leben: Bratkartof¬
feln, „Krum und Milch“ — und das Fahrrad als Verkehrsmittel
für den Weg zu den Verwandten.
70
„Flieg' dodi einmal mit. Ich habe einen zweiten Sitz in der Sdiul-
maschine, einen für den Lehrer — und einen für den Schüler", sagt
Reinhard, nachdem er mir seinen Flugschein gezeigt hat. Ich muß
auf den Schülersitz klettern. Vorsichtshalber habe ich einige Ta¬
schentücher eingesteckt. Ich kenne mich — und meinen Magen, und
dann geht es aufwärts. Die Insel wird immer kleiner. Wir haben
einen wunderbaren, sonnigen Tag. Als wir am Himmel kleben,
ruft Reinhard mir zu: „Schau mal, dort unten ist Albertsdorf“,
und ehe ich noch alles erfassen kann, sind wir schon darüber hin¬
weggehuscht. Der Sund, die nasse Unterbrechung zum Festland,
liegt unten bereits schräg neben uns. Ich verliere jegliche Orientie¬
rung und suche nach meinen Taschentüchern ... Irgendwie hat al¬
les dann ein Ende gefunden, und erst als es unter uns poltert und
die Maschine wackelt, weiß ich: Die Erde hat uns wieder. Mein Be¬
darf an Luftfahrt ist gedeckt.
Reinhard, der dabei bleibt, steigt auf ein anderes Flugzeug um.
Heimlich fährt er, wenn er Zeit hat, nach Staaken. Dort auf dem
Militärflughafen in der Nähe von Berlin, übt er mit größeren
Flugzeugen. Und eines Tages landet er in Werneuchen, einem Flie¬
gerhorst für Jagdflieger. Immer mehr um die Verheimlichung sei¬
ner Tätigkeit bemüht, müssen Akten nach dort geschleppt werden.
Sitzungen werden in primitiven Unterständen anberaumt. Für die
Familie gibt es keine Sonntage mehr, und Überraschungen blieben
mir niemals erspart.
Einmal, das Unternehmen „Barbarossa", der Rußlandfeldzug, ist
angelaufen, kommt Reinhard verschmutzt, unrasiert und sehr ver¬
stört nach Hause. Er hat — an der Bernina — „heimlich" einen
seiner ersten Feindeinsätze geflogen und ist dabei von den Russen
abgeschossen worden. Hinter den Feindlinien gelandet, hat er sich
zwei Tage und zwei Nächte verborgen und ist im Fußmarsch wie¬
der zu den deutschen Einheiten gelangt. „Mein Gott", denke ich,
„wenn Himmler das erfährt — oder gar Hitler ,..". Doch nie¬
mand erfährt es. Was wäre das für ein Fressen für die Russen ge¬
wesen, über Nacht verbreiten zu können: „Wir haben Reinhard
HeydriA" — vom Himmel heruntergeholt.
71
Es vergehen Monate. Plötzlich höre ich von Reinhard: „Ich fliege
mit der Me 109 einen Einsatz am Kanal“. Er hat alles abgesichert.
Niemand soll etwas erfahren. Und während er am Kanal „sitzt ,
seine Flüge absolviert, entschließt Rudolf Hess sich, nach England
zu starten. Hess ist ein guter und erfahrener Pilot. Er kommt un¬
gehindert nach England und springt dort mit dem Fallschirm ab.
Reinhard, zu dessen Aufgaben natürlich auch die Aufklärung die¬
ses Falles gehört, erfährt von diesem Hess-Coup, während er am
Kanal „residiert“ und die Me 109 ebenfalls gen England steuert-
Eine heikle Situation. Die Suchaktionen bleiben erfolglos. Hess ist
weg. Auch Heydrich und sein Apparat haben ihn nicht zurückbrin¬
gen können.
In Norwegen läßt Reinhard sich als Erkundungsflieger einsetzen.
Er wird zum Major befördert. Mag sein, daß Vor- oder Nachteile
bei ihm im Spiele waren, weil er die Kriegs fl ieger ei unter Geheim¬
haltung seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit vollzog. Den Wil¬
len, sein Leben nicht zu schonen, kann ihm niemand abspredien. In
Norwegen hat er besonderes Pech. Bei einer ganz gewöhnlichen
Landung mit einer Me 109 überfliegt er eine zerschossene Maschi¬
ne, macht „Bruch“ und handelt sich einen Armbruch ein. Mit Mull
und Gips hat er wenige Tage danach wieder den Dienst in der
Prinz-Albrecht-Straße angetreten und sich einen gehörigen Rüffel
eingehandelt. Das ist das Ende seiner Fliegerkarriere.
Im Sommer 1936, nach handfesten Querelen um die Zusammen¬
fassung der deutschen Polizei, die bis dahin den Hindern unter¬
standen hat, wird die gesamte Polizei Heinrich Himmler unter¬
stellt. Nicht nur Hitler verspricht sich dadurch größere Erfolge als
bisher. Dies gilt besonders für die Kriminalpolizei und für die
politische Polizei. Der SS-Gruppenführer Kurt Daluege wird Chef
der Ordnungspolizei, zu der auch die ländliche Gendarmerie ge¬
hört. Reinhard erhält die Staatspolizei und die Kriminalpolizei.
Darüber hinaus bleibt er Chef des SD. Da die politische Polizei
und der SD von Reinhard bereits seit 1933 geführt und nach sei¬
nen Ideen ausgerichtet worden ist, braucht er sich im Grunde nur
der neu hinzugekommenen Kriminalpolizei zu widmen. Zu ihrem
1.. Norwegen läßt Reinhard vd 5 ^1« i:^i.. * . v
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standen hat. *ird die gesamte Polizei Heinrich Himmler untcr-
Nicht nur Hitler versprich: sich dadurch größere Erfolge als
h::her. Din »: 1 1: besonders für die Kriminalpolizei und für die
p.ichr Poll.*ei. Der SS-( iruppen führt r Kur: Daluege wird Chef
d:r Ordrvjrropnli.'ci. zu der auch die ländliche Gendarmerie ge¬
hör:. Reinhard erhält dir Staatspolizei und die Kriminalpolizei.
Darüber hin au i bleib: er C.hrf des SD. Da die politische Polizei
un I drr SD *.on Reinhard bereits sc;: 1 °33 geführt und nach sei-
: [dreri aui/rnchte: wo
i hm.'u gekommenen K
irr. :st. brauch: er sich im Grunde nu
inalpoürei ru widmen. Zu ihren
Reinhard Hcydrich neben Adolf Hitler, seinem obersten Chef, dessen Hände-
(J r ud< nach seinem Tcstamenr vom 1. September 1939 noch Stunden später, wie
cT formulierte ..in seiner Hand brannte“. Kein Wunder: Heydrtch. eine der
3rkant cstcn Schl üssclfi puren Hitlers hatte kurz: zuvor die berüchtigte „Sender
enlci^'itz-Affäre“ arrancicn, die im Rahmen der offiziellen deutschen Erklä¬
rungen ?um Angriff auf Polen eine wesentliche Rolle spielte. Von diesem Foto
b es überdies auch eine Postkarte.
Es vergehen Monate. Plötzlich höre ich von Reinhard: , Jch fliege
mit der Me 109 einen Einsatz am Kanal“. Er hat alles abgesichert.
Niemand soll etwas erfahren. Und während er am Kanal ..sitzt",
seine Flüge absolviert, entschließt Rudolf Hess sich, nach England
zu starten, Hess ist ein guter und erfahrener Pilot. Er kommt un¬
gehindert nach England und springt dort mit dem Fallschirm ab.
Reinhard, zu dessen Aufgaben natürlich auch die Aufklärung die¬
ses Falles gehört, erfahrt von diesem Hess-Coup, während er am
Kanal „residiert“ und die Me 109 ebenfalls gen England steuert.
Eine heikle Situation. Die Suchaktionen bleiben erfolglos. Hess ist
weg. Auch Heydrich und sein Apparat haben ihn nicht zurückbrin¬
gen können.
In Norwegen läßt Reinhard sich als Erkundungsflieger cinsetzen.
Er wird zum Major befördert. Mag sein, daß \ or- oder Nachteile
bei ihm im Spiele waren, weil er die Knegsfhcgerci unter Geheim¬
haltung seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit vollzog. Den Wil¬
len, sein Leben nicht zu schonen, kann ihm niemand absprechen. In
Norwegen hat er besonderes Pech. Bei einer ganz, gewöhnlichen
Landung mit einer Me 109 überfliegt er eine zerschossene Maschi¬
ne, macht „Bruch und handelt sidi einen Armbruch cm. Mit Mull
und Gips hat er wenige Tage danach wieder den Dienst in der
Prinz-Älbrecht-Straße angetreten und sich einen gehörigen Rüffel
eingehandelt. Das ist das Ende seiner Fliegerkarriere.
Im Sommer 1936, nach handfesten Querelen um die Zusammen¬
fassung der deutschen Polizei, die bis dahin den Landern unter¬
standen hat, wird ^die gesamte Polizei Heinrich Himmler unter¬
stellt. Nicht nur Hitler verspricht sich dadurch größere Erfolge als
bisher. Dies gilt besonders für die Kriminalpolizei und für die
politische Polizei. Der SS-Gruppenführer Kurt Daluege wird Chef
der Ordnungspolizei, zu der auch die ländliche Gendarmerie ge¬
hört. Reinhard erhält die Staatspolizei und die Kriminalpolizei.
Darüber hinaus bleibt er Chef des SD. Da die politische Polizei
und der SD von Reinhard bereits seit 1933 geführt und nach sei¬
nen Ideen ausgerichtet worden ist, braucht er sich im Grunde nur
der neu hinzugekommenen Kriminalpolizei zu widmen. Zu ihrem
72
Symbolhaft. Heinrich Himmler über Reinhard Heydrich, der von Himmler
1931 mit maßgeblichen Funktionen betraut wurde, obwohl er noch nicht ein¬
mal Mitglied der NSDAP war.
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Leiter wird der SS-Gruppenführer Arthur Nebe eingesetzt, der
den Titel „Reichskriminaldirektor“ erhält.
Nebe verfügt über ein ausgefeiltes Sachwissen. Er führt Reinhard
Polizei ein. Reinhard gelangt rasch zu der Überzeugung, daß die
Kriminalpolizei, bislang von Beamten nach traditionelle
zen geführt, sich mehr nach Erfahrungen als nach den Ei
der wissenschaftlichen Forschung richtet. Er glaubt, daß
uenzen. Laboratorien, die sich der Chemie bedienen und alle ve
enübermittlung heranziehen, wer
von nun an in Anspracn genommen. Für Schul unesz wecke
auch für ein Archiv, wird das „Reidjskriminali
Jet. Aus aller Welt kommen Fachleute, die sich
wir uperzeuj
er Welt. Sie
: nun.
Interessenten die Mö
73
Reinhard erfahren, interessierten sich besonders für diese Art von
„Beleuchtung", da die Bandenzeichen auch für sie von Interesse
waren.
Für die gesamte Kriminalpolizei, die eine hohe Erfolgsquote auf¬
weisen kann, bleibt die Anerkennung nicht aus. Es wird eine inter¬
nationale Kriminalkommissioft-gebildet. Ihr Leiter heißt Reinhard
Heydrich. Interpol ist ins Leben gerufen. Im Herbst 1939 soll in
Berlin die erste Tagung dieser Kommission stattfinden. Auch ich,
die Frau Heydriehs, und das ist ein Novum in der deutschen Diplo¬
matie, habe einen Auftrag in diesem Rahmen zu erfüllen. Außer¬
halb des Reiches war üblich, daß auch die Ehefrauen der Männer
des öffentlichen Lebens, sozusagen als liebliche Dekoration, an Ver¬
anstaltungen teilnehmen. Sie begleiteten ihre Männer auf offiziel¬
len Reisen, erhielten offiziell Spesen und waren sozusagen diplo¬
matisch eingeplant. Das alles kannten wir, soweit es meine Kreise
und meinen Status betraf, nicht. Als Reinhard es für erforderlich
hielt, dem internationalen Brauchtum Rechnung zu tragen und mich
mit der Wahrnehmung und Betreuung der mitanreisenden Damen
zu verpflichten, war kein entsprechender Etat vorhanden. Im Au¬
gust 1939, unmittelbar vor Kriegsbeginn, wurde ich von Fehmarn
nach Berlin gebeten, wo ich mit einer versierten Kriminalrätin den
gesamten Veranstaltungsplan durchsprach. Mir hat diese Planung
sehr viel Freude bereitet, zumal ich hoffte, auf die Weise im Aus¬
land zeigen zu können, daß die Deutschen nicht immer mit dem
Messer im Mund herumlaufen — und nicht immer mit grimmigem
Antlitz ihrem Dasein frönen.
Aus dieser geplanten Zusammenkunft ist nichts geworden. Der
Krieg kam dazwischen. Für mich war das nachträglich ein abso¬
luter Beweis dafür, daß mein Mann nicht in die Vorbereitung des
Krieges eingeweiht worden ist. Er hat, davon bin ich auch noch
heute überzeugt, überhaupt keine Ahnung davon gehabt. Man
kann Untergebene und Bekannte, Institute und Behörden täuschen,
nicht aber die eigene Frau, die auf ihren Mann absolut eingesdiwo-
ren ist.
Während des Ausbaus des Kriminalmuseums in Berlin haben sich
74
fast alle Kriminalinstitute der Welt für die neue Institution inter¬
essiert und ihre Experten nach dort geschickt. Gleichzeitig hat sich
das Ausland aber auch für die gesamte Organisation interessiert
und unter dem Vorwand, kriminalistische Interessen zu befrieden,
auch andere Personen mobil gemacht. Eine bessere Möglichkeit, die
Nase in die Machenschaften der Diplomatie der Gestapo, des SD
und der Abwehr zu stecken, schien sich dem Ausland zu der Zeit
kaum zu bieten. Seine „Dienste“ konnten sich unverfänglich Ein¬
blicke und Erkenntnisse über die Organisation der Polizei und Ab¬
wehr verschaffen, ohne gleich als Agenten verdächtigt zu werden.
Und so kamen sie denn auch. Unter dem Deckmantel, sich für
Kriminalistik zu interessieren, erschienen die sonderbarsten Typen.
An den Abenden wurden die echten und unechten Kommissionen
in das Nachtleben von Berlin eingeführt. Anfangs stellten sich
Junggesellen zur Führung und Begleitung zur Verfügung. Kosten¬
los Berlin bei Nacht zu erleben, war für viele eine Sache, die ihren
Reiz hatte. Die Begierde, die „Exoten" ausführen zu dürfen, er¬
lahmte jedoch bald, da die „Fremdenführer“ anderntags stets ihre
Arbeiten pünktlidi zu leisten hatten.
Wer auf die Idee gekommen ist, einen „Salon Kitty“ aufzumachen,
weiß ich nicht. Ich vermute, daß es Walter Schellenberg war. 11 ) Es
wurde ein Etablissement auf höchster Ebene für Diplomaten ein¬
gerichtet und die Elite der Berliner Damen des leichten Gewerbes
auf geboten. Bei gelegentlichem Geldausfall erhielten sie ihr Hono¬
rar aus der Staatskasse. Eine Nachrichtenzentrale entstand, die
mit traditionellen, bürgerlichen Mitteln gar nicht hätte auf gebaut
werden können. Auch hier ist modernste Techni k angewandt wor¬
den — in den Wanden und Möbeln.
Von einem Familienleben kann bald (schon vor Beginn des Krieges)
keine Rede mehr sein. Die Erziehung der Kinder, die Verbindung
zu den Eltern und Geschwistern, ja selbst die wenigen Einladun¬
gen, die wir geben, altes das muß ich allein bewältigen und ver¬
antworten. Und dann beginne kh Reinhard Vorwürfe zu machen
und ihn zu bedrängen, doch wenigstens übers Wochenende bei uns
zu sein, bei der Familie. Das geht eine Weile gut. Doch bald gibt
75
es Ausreden aller Art, und Reinhard nennt immer wieder Gründe,
die das Zusammensein unmöglich machen.
Eines Tages stehe ich zwangsläufig vor der Frage ob es lohne, durch
mein Verhaken die Ehe aufs Spiel zu setzen. Doch zur immer nur
wartenden Hausfrau habe ich kein Talent. Es muckt und rumort
in mir... Ein Zufall kommt mir plötzlich zu Hilfe. In Reinhards
Amt gibt es einen jungen Assessor, Walter Schellenberg. Er hat
soeben geheiratet und kommt mit seiner Frau nicht zurecht. Er ver¬
traut sich mir an und bittet midi, ihm zu helfen. Ich möge doch,
so drückt er sich aus, seiner Frau „den Kopf zureditsctzcn”. Ich
bin gern dazu bereit und lade Frau Schellenberg ein, mit mir zu
unserer Jagdhütte zu fahren. Im Wald, bei einem Spaziergang,
wird sie, wie ich hoffe, sich alles von der Seele reden können. Sie,
eine ehemalige Schneiderin, ist viel älter als ihr Mann, dem sie —
im Hinblick auf eine spätere Ehe — das Studium finanziert hat.
Inzwisdien haben beide jedoch einen Wandlungsprozeß durchge¬
macht; nun stimmt es vorn und hinten nidit mehr. Es kommt zu
heftigen Auseinandersetzungen. Ich soll also schlichten. Ich ver¬
suche Frau Schellenberg klarzumaehen, daß Großzügigkeit die ein¬
zige Möglichkeit sei, diesen Anpassungsprozeß zu bewältigen. Den
Ehemann bitte ich einige Tage später zu mir und berichte ihm von
der Unterhaltung von „Frau zu Frau", Dabei erfahre ich, daß das
größte Verständigungshindernis die ungewöhnliche Eifersucht der
älteren Frau darstellt... Eifersucht? Bei mir fällt der Groschen.
Reinhard ist ebenfalls sehr eifersüchtig. Damit müßte ich etwas
beginnen können, und ich beschließe, den in Ehenot befindlichen
Schellenberg „zwecks Regulierung seiner Ehe“ häufiger — und be¬
tont ostentativ einzuladen.
Schellenbergs Ehe war nicht mehr zu retten, unsere dagegen über¬
lebte und wurde wieder gut. Als Frau Schellenberg ihrem Mann
eines Tages beim Betreten der Wohnung Salzsäure ins Gesidit
spritzt, ist das Ende da. Die Ehe wird geschieden. Bei uns ist die
Familie, für Reinhard lange nur so etwas wie ein „Refugium“, wie¬
der zu einem fest umrissenen Bestandteil des gemeinsamen Lebens
geworden. Am Sonnabend mittag (Reinhard arbeitete an Wochen-
76
enden mindestens bis 12 Uhr mittags im Amt) kommt seitdem
immer zuerst die „Vorhut“ des Gestapo-Chefs mit riesigen Akten¬
bündeln und dickleibigen Taschen, und dann erscheint auch Rein¬
hard selbst — und ist Familienvater. Zusammen mit den Kindern
wird gegessen. Zwischendurch fällt jetzt stets auch eine Spielstunde
für Vater und Söhne ab. Erst jetzt bekommt Reinhard ein „nor¬
males“ Verhältnis zu unseren Söhnen, und erst jetzt erkennt er
auch die Schwierigkeiten, die er bis dahin mir allein zur Lösung
überlassen hat. Doch ich erlebe noch einmal einen ganz anderen
Vater Heydrich. Es ist, nachdem am Ostersonntag 1939 unsere
Tochter Silke zur Welt gekommen ist. Reinhard hatte sich immer
nur Söhne gewünscht. Vielleicht hat er durch sie eine Unterstützung
seiner
>ippenVorstellungen im opieie gewesen sein
ter, für uns eine „Sonderausführung von
nt, kenne ich meinen Mann gar nicht wied<
ich herum, gibt ihr später, als es so weit ist,
zeigt sie mit überquellender Bewunderung
will oder nicht. Keiner kann sich dem em
nehmen, die wie ich, ein einsames Leben führen müssen. Reinhard
ist einverstanden.
Ich gründe einen Turnverein. Reinhard stellt spontan sowohl eine
Halle als auch einen Sportlehrer seines Amtes zur Verfügung, in
dem Sport infolge einer seiner Anweisungen längst dienstliche
Pflicht ist. Zuerst kommen die Frauen zögernd — und eigentlich
nur, weü sie meinen, sie könnten sich diesem „Angebot“ nicht ent¬
ziehen. Alle sind verlegen, steif und unsicher. Hartnagel, der
Sportlehrer, muß seine ganze Kraft aufbieten, um die Damen
„aufzulockern 0 . Nach der ■Sportstunde gehe ich zum Duschraum
und fordere die Frauen auf, es ebenfalls zu tun. Es gab keine
Kabinen. Die rund 30 Duschen waren durch Rohrleitung verbun¬
den, Keine der Damen rührte sich. So, als täte ich es täglich vor
aller Augen, streifte ich meine Turnkleidung ab, ging nackt auf
eine Dusche zu und zog die Schnur. Ich blieb allein. Niemand
wagte zunächst, mir zu folgen. Doch plötzlich stand eine kleine
Berlinerin neben mir. „Ach watt, de« kann ick och“, berlinerte
sie — und der Bann war gebrochen. Acht dieser Frauen haben er¬
folgreich die Prüfungen für das goldene, zwanzig für das silberne
Sportabzeichen absolviert. So habe ich versucht, ein „gesellschaft¬
liches Problem“ zu lösen. Natürlich ist alles das nicht ohne Gerede
vor sich gegangen. Man hat mir nicht nur Geltungssucht, sondern
auch schlimmeres vorgeworfen.
Bei den Sportabzeichen der „Gestapo-Frauen" bleibt es nicht. Im
Verein haben wir eine ehemalige Tänzerin, die Frau eines Beam¬
ten, die uns den Vorschlag unterbreitet, uns tanzen zu lehren. Alles
ist begeistert. Sie sucht sich zunächst geeignete Frauen aus. Daß
ich dabei war, muß nicht unbedingt für meine körperliche Eignung
gesprochen haben. Wir versteigen uns bald darauf, einen großen
Kameradschaftsabend zu veranstalten. Die Ehefrauen, Bräute und
Freundinnen der Männer der Geheimen Staatspolizei und des SD
geben sich die Ehre, ihre Männer und Freunde zu einem geselligen
Abend in die Berliner Krolloper einzuladen. Die Gestaltung des
Abends haben die Frauen übernommen. Ich fahre nach Fehmarn
und organisiere dort eine Folkloregmppe von 15 oder 20 Mädchen.
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Sie singen alte, plattdeutsche Lieder und zeigen Tanze, die halb
vergessen sind. Zum Dank wird ihnen Berlin „zu Füßen gelegt“.
Wir produzieren uns als Revuegirls und tanzen Cancan, Noch
heute sehe ich mich im „Froufrou“ mit schwarzen Strümpfen und
hohen Lackstiefeln. Die Männer, Beamte der Gestapo und des
Sicherheitsdienstes, produzieren sich ebenfalls ganz besonders. Sie
sind unter sich — und sehen ihren hohen Chef.
Der Sport als gesellschaftliches Bindeglied hat für mich einen
besonderen Reiz gehabt. Ich ging mit Reinhard mit, kam mit Leu¬
ten zusammen, die nicht nur im Rahmen des Himmler-Imperiums
maßgeblich fungierten und mir als Frau des Gestapo-Chefs so
eine besondere Abwechslung toten. So kam ich beispielsweise auch
zur Reiterei, und sie begann im Kreise der Ärzte Ferdinand Sau¬
erbruch und Max de Crinis und dessen Frau Lilli, die neben Rein¬
hard und Walter Schellenberg im Reitstall des ehemaligen Kaval¬
lerie-Hauptmanns Rose in Berlin ritten. Kein Mensch, der auf
Reputation hielt, hätte hier ein Pferd bestiegen. Die Stallungen
waren krumm und schief, die Türen hingen in den Angeln und
das „Büro“ konnte nur über eine wacklige Stiege erreicht werden.
Der Reitstallbesitzer und seine Pferde hatten gemeinsame Eigen¬
schaften: alt, treu und absolut zuverlässig. Rose war zudem fast
blind; in jeder Hinsicht ging es ihm schlecht. Aber niemals zeigte
er seine inneren und äußeren Gebrechen. Immer war er der ver¬
bindliche Kavallerist und Kavaliier der alten Schule. Da ich am
Beginn keine Ahnung von diesem Sport hatte, bekam ich ein
Pferd, das wie für den Zirkus dressiert war. Es kümmerte sich
überhaupt nicht um midi, absolvierte auftragsgemäß sein Pro¬
gramm, und so habe ich das Retten von diesem Pferd gelernt.
Der Grazer Apothekersohn de Crinis, der sich betont großdeutsdh
gab, hatte nie die Absicht, reiten zu lernen. Für ihn war das Pferd
ein reines Transportmittel, mit dessen Hilfe er am Sonntaginorgen
ohne eigene Mühe als „Herrenreiter“ durch den Grunewald streifen
konnte. Wenn dann die abgegrenzte Galoppstrecke vor 'uns lag
und auch sein Pferd vorschriftsmäßig angaloppierte, war ihm
sehr lästig» Reinhard entwickelte auch hier sehr viel
immer
Ehrgeiz, Da er der einzige war, auf den die Bezeichnung „Reiter“
zutraf, machte er immer Extratouren. Schellenberg war — wie
ich — ein Neuling. Lilli de Crinis bekam, ihrer zierlichen Figur
entsprechend, stets das kleinste Pferd des Stalles, das sich der
„AU gemeinheit“ anpaßte.
Ferdinand Sauerbruch, der mir anläßlich einer großen Einladung
vor aller Augen spontan einen . Kuß auf den Mund gab, besaß
fünf Pferde, von denen einige infolge der „Reitkunst“ ihres Be¬
sitzers meistens lahmten. In den Monaten, in denen ich dort ritt,
habe ich nur von zerschundenen Pferden gehört. Sauerbrudi ent¬
wickelte beim Reiten — oder was er dafür hielt — ein unge¬
heures Temperament, Für ihn gab es nur die Gangart Galopp,
besonders in unbekannten Gegenden. Erich Brandstätter, der bei
ihm als Assistenzarzt arbeitete, bevor er als Dozent nach Prag
ging, antwortete mir damals auf die Frage, ob er sich freiwillig
von seinem Chef operieren lassen würde: „Um Gotteswillen nie,
niemals“. Meinen Wissensdurst löschte er mit der Ergänzung:
„Weißt Du, der Ferdinand ist ein Genialer, einmal operiert er
wie ein Gott und einmal wie eine Sau, und den Tag mödit ich
nicht gern erwischen“.
Zusammengehalten hat unsere seltsame Schar eigentlich nur das
Sektfrühstück, das Lilli de Crinis stets anschließend in ihrem
Haus in Wannsee bereitete. Oft hatte sie noch andere Gäste, mei¬
stens Künstler, zu diesem Frühstück eingeladen. Auch Herbert
von Karajan haben wir dort getroffen. Einmal, als wir bei
de Crinis eingeladen waren, war Sauerbruch mein Tischherr, Rein¬
hard der von Frau Sauerbruch, der zweiten Frau des Chirurgen,
die als Ärztin auch an der Charite arbeitete. Uber sie kann ich
nur wenig sagen. Meine Cousine Hilde Krantz dagegen, die sei¬
nerzeit in der Charite als Assistentin tätig war, kannte Frau
Sauerbruth recht gut. Als ich sie einmal fragte, wie Frau Sauer¬
bruch denn so eigentlich sei, meinte sie, das könne sie mir nicht
so genau sagen; denn eigentlich spräche sie nicht viel über Anato¬
mie, sondern meist nur über Aktien. Max de Crinis und Ferdinand
Sauerbrudi sah ich im Februar 1945 zum letzten Male. Beide nah-
80
men dienstlich an einer Tagung des Roten Kreuzes in Prag teil,
wo sie bei mir wohnten. Max de Crinis und seine Frau Lilli nah¬
men sich das Leben. Sauerbruch hat die Nachkriegszeit noch einige
Jahre überlebt, nicht selten gedemütigt.,,
Einige Wochen nach dem Anschluß Österreichs erreicht midi eine
Einladung aus Linz. Frau Kaltenbrunner bittet midi, ihr Gast zu
Sein. Reinhard ist bereits einige Wochen in Wien, und so nehme
ich diese Einladung mit großer Freude an. In Linz empfängt mich
eine fröhliche, mit Charme und Schönheit ausgezeichnete Frau,
die mich sogleich ins Haus ihrer Eltern fuhrt. Mir ist, als führe
man mich ins Mittelalter. Zumindest deuten die Häuser auf jene
Zeit. Frau Kaltenbrunners Eltern sind Inhaber einer großen „Spe¬
zereienhandlung“. Sie haben das alte Haus in seiner ursprünglichen
Art erhalten, und ich komme aus dem Staunen, aus dem Sich wun¬
dern, aus dem Sidifreuen, nicht heraus. Wände hat das Haus, fast
nieterdick. Ein unbeschreiblicher Duft liegt in dem Gemäuer, nicht
nur in der „Spezereienhandlung“, sondern auch auf den Treppen¬
stiegen und überall. Er muß seit Jahrhunderten in den Wänden
haften. Anders kann ich es mir nicht erklären. Hier, bei der
Familie Kaltenbrunner, habe ich midi sofort wie zuhause gefühlt.
Hier spürte ich nicht nur, Mer sah ich edire Tradition, wirkliches
Patriziertum.
Frau Kaltenbrunner und ich fahren gemeinsam zu unseren Män¬
nern nach Wien. Sie wohnen in getrennten Hotels, leben sozusa¬
gen von der Hand in den Mund. Reinhards Unterkunft, ich weiß
nicht mehr, wie das Hotel hieß, gleicht einem Heerlager aus dem
Dreißigjährigen Krieg. Alles ist Improvisation. In allem spürt
man die Überrumpelung der Hotelleirung. Sie, die bislang auf die
Betreuung ganz anders gearteter Gäste eingetrimmc ist, schwimmt
sozusagen im Raum. Die Leute fuchteln mit den Armen, laufen
hemm und wissen schier nicht, wo ihnen, der Kopf steht. Wir
beschließen, mit unseren Männern am Abend ins Theater zu gehen.
Es wird so etwas wie „Tirol, du mein lieb Heimatland“ gespielt.
Die Sdtauspieler _ agieren in Trachten. Einige jodeln. Alles ist
irgendwie traurig. Tränen fließen sogar. Zum Schluß wird eine
§1
Hakenkreuzfahne auf die Bühne getragen. Alle erheben sich von
den Plätzen, heben die Hände zum „deutschen Gruß“ und singen
das „Horst-Wessel-Lied“: „Die Fahne hoch. Die Reihen fest ge¬
schlossen. SA marschiert...“ Es ist zum Kotzen.
Ich finde, daß es nun Zeit ist, Reinhard zu überreden, nach Berlin
zurückzukehren. Sollen die „Ostmärker“ doch mit ihrem „An¬
schluß“ nun alleine fertig werden .. . Sie sind damit fertig gewor¬
den, und ich habe prächtige Menschen aus Graz und Umgebung
kennengelemt.
An Emst Kaltenbrunner, der im Oktober 1946 in Nürnberg als
Hauptkriegsverbrecher gehenkt wurde, habe ich keine gute Erin¬
nerung. Er war dem äußeren Typ nach Reinhard verwandt, ein
dinarischer Typ. Nur all das, was bei Reinhard ausgesprochen
feingliedrig war, wirkte bei Kaltenbrunner, der in Linz Rechtsan¬
walt gewesen war, grob und ungeschlacht. Seine Hände waren
Pranken, groß und breit, und sein Gesicht wies grobe Poren auf.
Als ich abfahre, bringt Ernst Kaltenbrunner mich an die Bahn.
Er macht mein Schlafabteil ausfindig und versucht mich beim
Abschied an sich zu drücken. Ich weiche aus — und remple unge¬
wollt einen anderen Schlafwagengast an. Es ist Hans Moser, der
Schauspieler. Nuschelnd tastet er sich im Gang weiter... Auch er
ist betrunken.
Ernst Kaltenbrunner und dessen Frau habe ich nur noch einmal
gesehen. Während eines vorübergehenden Aufenthalts in Berlin
stattete das Ehepaar mir seinen Besuch ab. Ich hatte das Gefühl,
daß sie mir gegenüber diesmal feindselig eingestellt seien. Irgend¬
welche Klatschereien mögen auch hier mitgespielt haben* Möglich
ist allerdings auch, daß das Verhalten der engsten Mitarbeiter
Reinhards zu Kaltenbrunner nicht gerade herzgewinnend gewesen
ist.
Als Chef der Sicherheitspolizei und der Geheimen Staatspolizei
hat Reinhard den Rang eines Staatssekretärs. Dennoch steht ihm
kein Vortragsrecht bei Hitler zu. Himmler erhält von ihm jede
Woche eine dicke Vortragsmappe. Nicht immer ist es Himmler
möglich, Hitler die darin auf gezeichneten Vorgänge vorzutragen.
82
stand im Vestibül. Wir gingen auf ihn zu. Er reichte uns beide
Hände und sagte spontan: „Welch ein schönes Paar. Ich bin sehr
beeindruckt!“ Reinhard schmunzelte. Dann wurden wir uns selbst
überlassen. Wir fanden einen Tisch, an dem ein Ehepaar Todt
saß. Reinhard machte uns bekannt, und ehe ich mich versah, war
ein lebhaftes Gespräch im Gange. Es wurde ein sehr positiver und
befriedigender Abend. Reinhard erzählte mir später vom Wirken
und Können Todts. Zum ersten Male erlebte ich, daß er einen
Mensdien rückhaltlos anerkannte, sein Können, seine Zurückhal¬
tung, seine Bescheidenheit. Dr. Fritz Todt war für ihn ganz und
gar ein Mensch, wie er sidi einen Nationalsozialisten vorstellte.
Anfang 1942 stürzte Todt mit dem Flugzeug tödlich ab. Er erhielt
nach seinem Tode, für ihn geschaffen, den höchsten deutschen
Orden. Reinhard folgte ihm ein halbes Jahr später. Nur Fritz
Todt und Reinhard, die Adolf Hitler offenbar auf eine Stufe
stellte, haben diesen Orden verliehen bekommen.
Albert Speer wird Fritz Todts Nachfolger. Reinhard hält diese
Ernennung für die schwerste Fehlentscheidung Adolf Hitlers und
zeichnet in einem Gespräch eine Entwicklung auf, die, wie ich
meine, tatsächlich auch eingetreten ist. Hitler scheut Persönlich¬
keiten, die über ein exaktes Fachwissen verfügen und genügend
innere Kraft besitzen, dieses Wissen, wenn es sein muß, auch gegen
ihn selbst durchzusetzen. Speer gehört zu den „Obersalzbergern“,
die täglich um Hitler herumagieren, immer bereit sind, „ja“ und
„Amen“ zu sagen. Persönlich hatte Reinhard nichts gegen Speer
einzuwenden. Der Architekt Speer jedoch, der noch nicht einmal
einen eigenen Stil gefunden hatte, bevor Hitler ihn zu sich holte,
schien ihm weder vom Wissen noch von der Härte her, die diese
Schlüsselstellung erforderte, als Todt-Nachfolger geeignet. Rein¬
hard erkannte an, daß Speer aus einer schaffensträchtigen Familie
stammte und daß er. Albert Speer, charakterlich sauber war; aber
das war für ihn auch alles, was er auf der Seite dieser Positivbilanz
für Speer buchen zu können meinte.
Reinhard Heydrich erscheint Speer heute nicht erwähnenswert.
Und das ist gut so; denn unmittelbare Kontakte zwischen Speer
84
Einmal ist Speer bei uns in Prag gewesen. Er hat sich die Stadt
angesehen, und ich glaube, daß es damals auch irgendwelche Stadt-
plane gegeben hat, die die Architektur Prags umwandeln sollten.
Albert Speer zeichnet in seinen „Erinnerungen“ ein Bild, nachdem
Hitler so etwas wie einen menschlichen Sperrgürtel um sich errich¬
tet habe, sozusagen eine vielschichtige, menschliche Abschirmmauer.
Wir, Reinhard und ich, haben geglaubt, diese Abschirmmauer habe
sich gebildet, um Hitler von der Außenwelt abzusondern, um
jeweils selbst eine größtmögliche Madit zu entwickeln und behalten
zu können. Nicht nur Martin Bormanns Verhalten bestätigte unsere
Auffassung exemplarisdi.
Ich habe Speers Buch nur gelesen, weil ich hoffte, eine Ausleuch¬
tung Himmlers aus „oberster“ Schau zu erleben. Mir ist unerklär¬
lich, wieso Himmler am Gedächtnis von Speer sozusagen vor¬
übergeglitten ist. Für uns ist Himmler immer unser schwerstes und
größtes Problem gewesen. Im Gegensatz zu Speers Meinung habe
ich Himmler als einen außerordentlich intelligenten, ungeheuer be¬
lesenen Mann kennengelernt, der das, was er gelesen hatte, unbe¬
dingt in die Wirklichkeit überseaen wollte und dabei die Realität
nicht nüchtern genug erkannte. Daher die Skurrilitäten. Wir haben
über seine Hobbys mehr gelacht als sie gefürchtet. Nur hat es uns
eben viel Mühe bereitet, sie ihm wieder auszureden. Wir sind mit
zu den Exsternsteinen gewandert, haben die Irminsul von allen
Seiten besehen und auch ohne Emotionen seine Theorien über
heidnische Steine, Heldenhaine und dergleichen angehört. Das hat
niemandem geschadet. Im Gegenteil! Er hat uns viele Denkan¬
stöße gegeben; aber als eine gute „Stellenbesetzung“ haben wir ihn
nicht angesehen. Nach unserer Änsidtt war Hi mml er, den wir ja
nun wirklich gut kannten, der falsche Mann an dem ihm von
Hitler angewiesenen Platz. Er war weder Soldat noch Politiker,
weder Sportler noch Organisator, Er war ein verhaßter „Intellek¬
tueller“, und niemand erkannte dies besser als diejenigen, die mit
ihm Zusammenarbeiten mußten. Er, der uns viele sowohl brauch¬
bare als auch unbrauchbare Denkanstöße gegeben hat und dank
seiner Stellung in der Parteihierarchie durchaus auch nachgeben
konnte, ist niemals der tatsächliche Führer der SS gewesen. Die SS
hat ihn vor sich hergetragen, ihn beschützt, ihn unterstützt. Sie
hat das beste aus dem, was er zu bieten hatte, auch aus ihm ge¬
macht. Die führenden Leute wie Reinhard sind nie seine blinden
Gefolgsleute gewesen. Sie haben sich niemals das Heft aus der
Hand nehmen lassen. Er war ja nicht einmal in der Lage, seinen
Verantwortungsbereich.und die sich in ihm vollziehenden Ereig¬
nisse denen gegenüber plausibel zu erklären, die infolge ihrer
Positionen wußten, was vorging. So antwortete er mir, als ich
ihn einmal fragte, was denn in den Konzentrationslagern geschehe,
sie seien weitgehend zu Rüstungsbetrieben umfunktioniert wor¬
den.
Nach dem Polenfeldzug, als sich der Nachrichtendienst speziell
auf den Westen konzentrierte, um in der Atempause zwischen den
Kriegsphasen besondere Vorarbeiten zu leisten, schaltete Reinhard
auch de Crinis ein. Er, Schellenberg und ein Mann, den ich, da er
noch lebt, Ch nennen möchte, wurden beauftragt, mit den Briten
Best und Stevenson ins Gespräch zu kommen, die als Leiter des
englischen und des niederländischen Geheimdienstes fungierten.
Unseren Leuten gelang es, mit den Engländern ins Gespräch zu
kommen. Nach mehreren Treffs verabredeten sie sich in Venlo,
nahe der Grenze. Ein SS-„Überfallkommando“ hielt sich verbor¬
gen, und während de Crinis, Schellenberg und Ch im Wartesaal
des Bahnhofs von Venlo mit Best und Stevenson zusammentrafen,
wurde zugegriffen. Die leitenden Köpfe des englischen Nachrich¬
tendienstes wurden „hopp genommen“ und traten den Weg in die
deutsche Kriegsgefangenschaft an. Max de Crinis, Walter Schellen¬
berg und Ch erhielten im Westfeldzug als erste Deutsche das Eiser¬
ne Kreuz Erster Klasse. Daß dieser Feldzug so erfolgreich werden
konnte und daß dabei so wenig Blut vergossen wurde, war diesen
drei Männern und der Sorgfaltspflicht der geheimen Front zu
verdanken. 18 ) Nebenbei gesagt: beide Engländer kamen nach dem
Kriege wieder wohlbehalten zu Hause an.
Zu den wenigen Menschen, die Reinhards uneingeschränkte Auer-
16
sondern auch ein ausgesprochener Schutzschild. Auf diese Weise
hat er sich das Recht zur Kritik erworben, von der er auch aus¬
giebig Gebrauch macht. Mein Gott, haben Reinhard und Backe
geschimpft, karikiert und analysiert. Sie sahen die Schwächen des
NS-Systems, der Menschen, und sie sahen auch die Grenzen Adolf
Hitlers. Audi Backe hatte kein Vortragsrecht bei Hitler. Auch
er war, wie Reinhard, auf seinen Chef angewiesen. Sowohl Himm¬
ler als auch Darre neigten zu Kompromissen. Ihre Staatssekretäre,
die junge Generation, zu der auch Dr. Stuckart, der Staatssekretär
im Innenministerium, gehörte, lehnten eine Politik der Kompro¬
misse ab. Sie glaubten, daß jeder Kompromiß immer so etwas wie
eine Feigheit vor der Entscheidung darstelle.
An einem Sonntag sind wir, wie man so sagt, »mit Kind und
Kegel“ bei Familie Backe zu Gast, Es bleibt nicht aus, daß die
Männer fachsimpeln. Backe erzählt Reinhard dabei von der
guten — nach der Wetterlage gar nicht erwarteten — Ernte,
die das Problem der Vol ksernährung vom Tisch wischt. »Haben
Sie es schon Goebbels mitgeteilt?“ fragt Reinhard. Und Backe
reagiert! „Um Gottes Willen. Ich denke nicht daran, der macht
ja sofort das Dreifache daraus.“ Das war für beide typisch, ihr
beider „Geheimnis“. Sie ließen ihre Probleme und Erfolge nicht
durch die Maschinerie der Propaganda laufen,
Backe, im Kriege Nachfolger Darrls geworden, machte 1945 seinem
Leben ein Ende, als er erkannte, daß auch das Wort der Sieger
nichts wert war. Den einzigen „Vorteil®, den er vor seinen Amts¬
kollegen hat, ist ein ordentlich gekennzeichnetes Grab. Backes
Wirken hat vielen, sehr vielen Menschen das Leben erhalten. Er
hat bis zuletzt vorgesorgt.
Ein völlig unerwarteter Tiefschlag trifft uns, als Reinhard mit¬
geteilt wird, er habe die Jagdpachtung Parlow ab sofort an Her¬
mann Göring abzutreten, den Reichsjägermetster. „Unser“ Parlow,
„unser“ Winterasyl. Die Pachtung liegt direkt neben dem Forst
Schorfheide, in dem Göring sich ein prunkvolles Jagdhaus gebaut
hat. Er benutzt die Schorfheide als private Domäne und baut sie
immer weiter und immer luxuriöser aus. Inzwischen ist sie ihm
zu klein geworden. Wir haben unser Domizil gehegt und gepflegt,
haben Pirsdisteige und Wege angelegt, Hochsitze und Schirme
gebaut, eine eifrige Hege und Pflege des Wildes betrieben. Im Jahr
zuvor haben wir noch 38 Schwarzkittel, Frischlinge und Überläufer
erlegt. In der Schorfheide dagegen hat es in einem gleichgroßen
Revier niemals einen derartigen Abschuß gegeben. Obwohl ich
selbst (noch) nicht schoß, begleitete ich Reinhard stets auf die
Pirsch, In Parlow hatten wir einen Heger, der eigentlich Zimmer¬
mann war und aus Liebe zum Waidwerk kurzerhand seinen Beruf
gewechselt hatte. Uns nützte er nicht nur, weil er hervorragende
Hochsitze zu zimmern verstand. Das neue Jagdgesetz schrieb je¬
doch exakte Kenntnisse über das Waidwerk, über Hege und Schu߬
zeiten vor. Adolf Koeppen, so hieß unser Mann, hielt nicht viel
von der Theorie. Uns wurde keine Extrawurst gebraten. Auch
unser Heger-Zimmermann mußte ein „Examen“ ablegen und nun¬
mehr Hilfsförster werden. Alleine kam er nicht damit zurecht.
Und so bimsten wir Theorie, die Körperteile des Jagdhundes, die
Unterteilung der Fährten und der Spuren, alles nach dem Lehr¬
buch. Er mußte lernen. Ich hörte ihn ab, und „wir“ bestanden
„unser“ Examen. Da ich dabei mitgelernt hatte, machten wir auch
die Praxis gemeinsam. Bald durfte ich Gäste führen, Spuren oder
Fährten sichern, und im Winter fährte ich morgens regelmäßig
alleine ab.
Mit einem S ehlag, so durchfährt es mich, als ich von Görings For¬
derung höre, ist nun alles dies vorbei. Aber wohin mit uns? Wo¬
hin mit Koeppen? Er kann nicht gut in die „Masse“ der Bedien¬
steten der Schorfheide einrücken; seine Frau Micken und er haben
bisher eine viel zu individuelle Stellung bekleidet. Major Pomme,
der Polizeiadjutant Reinhards, selbst ein passionierter Jäger, bietet
sich an, für uns eine neue Jagd ausfindig zu machen, die nickt zu
weit von Berlin entfernt sein .soll. Er findet ein vakantes Revier.
Der bisherige Pächter hat die Jagd wegen Verstosses gegen das
Jagdgesetz verloren. Unser neuer Jagdmittelpunkt ist Stolpshof,
ein verlassenes. Baueragehöft mit einer Jagdhütte neben einem ver¬
fallenen Stall. Mit dem Haus hat sich so etwas wie ein Neoklassi-
89
zisraus — mit Freitreppe — auf das flache Land verirrt. Es ist
offensichtlich ein Versuch, städtische Wohnvorstellungen aufs Land
zu projizieren. Im Forst (bei Nauen), wo unsere neue Jagd liegt,
gibt es Rehwild, insbesondere als Feldrehe auf den Rieselfeldern,
Damwild im Forst, Rotwild nur als Durchzugswild. Sauen ver¬
irren sich nur vereinzelt zu uns. Im Frühjahr können wir im
Sumpfgelände Schnepfen schießen und Hasen und Fasanen. Wir
haben diese Jagd nur übernommen, weil Reinhard eine Möglich¬
keit brauchte, an Wochenenden der Enge der Großstadt zu ent¬
fliehen. Ein zweites Parlow war dies nicht. Ich erinnere mich noch
genau an meinen Wutausbruch nach der ersten Besichtigung der
neuen Jagd. „Gering, dieser Schuft, dieser Fettwanst, das voll ge¬
fressene Stück Mensch kann nicht genug erraffen, kann einfach
seinen Rachen nicht voll genug bekommen. Er ist doch nichts wei¬
ter als ein schieß wütiger Hund.“ So tobte ich mich aus. Reinhard
stand blaß und stumm neben mir. Audi ihn hatte es bis ins Mark
getroffen. Doch fand er noch Worte des Trostes und der Entsdiul-
digung. „Das ist nicht Gering“, versuchte er sich selbst und mir
etwas vorzumachen. Er fuhr fort: „Vielleicht weiß er gar nichts
davon. Das ist bestimmt Körner“, sein Staatssekretär.
Ich bedrängte Reinhard nach dieser „Affäre“, mit Göring zu spre¬
chen und zu versuchen, uns doch noch Parlow zu erhalten. Rein¬
hard verspricht es. Was er erreicht, ist wenig. Göring verspricht
eine Entschädigung für die „Verbesserung des Reviers“, Bis dahin
bin ich stets zu den vorweihnachtlichen Einladungen E mm i Görings
nach Karinhall gefahren. Nun nehme ich mir vor: „Dahin bringen
mich keine zehn Pferde mehr!“
Meine augenblickliche Enttäuschung über Reinhard führt zu der
Erkenntnis, daß er, wenn es um dienstliche Belange oder um an¬
dere Personen geht, zäh und zielstrebig ist und nicht locker läßt,
bevor die Sache nidit zu dem von ihm angestrebten Ende gekom¬
men ist, daß er sich jedoch grundsätzlich zurückhält und sich nur
deutlich verhalten einsetzt, wenn cs um eigene Dinge geht. Und
so „wandern“ wir also von Parlow nach Stopshof. Ich glaube,
wenn Reinhard gewußt hätte, welche Schwierigkeiten uns da
90
nehmen. Ich kaufte Hunderte Hähnchen und viele Gänse. Es
waren soviele, daß ich selbst nachts von Hähnchen träumte. Ich
kaufte eine „Dosen Verschlußmaschine“, Die Hähne wurden syste¬
matisch geschlachtet, gerupft und entbeint, der Fleischrest auf
französische Art eingedost. In dieser Zeit entdeckte ich, daß ich mit
schwierigen Situationen viel besser als mit dem sogenannten Wohl¬
leben fertig wurde. Reinhard war über meine landwirtschaftliche
„Invasion entsetzt. Sofort meldete er Bedenken wegen der Kriegs¬
wirtschaft an, was wiederum mich entsetzte. Ich dachte: „Da müht
man sich ab und tut alles, um die Familie satt zu bekommen und
Gäste bewirten zu können — und erntet ausgerechnet von seinem
Ehemann, der doch wissen muß, wie schwer das ist, Undank!“
Reinhard hat strikt abgelehnt, sidi um Sondermarken für repräsen¬
tative Zwecke zu bemühen, die er natürlich jederzeit bekommen
hätte. Gelacht hat er, als ich ihm prophezeite: „Jetzt kaufe ich
Ferkel und Färsen, damit wir auch Fleisch und Milch genug
haben. Und wir bekamen von allem genug. Die 20 ha ackerbares
Land, bislang nur für Wildäsung und Fütterung in Ansprudi ge¬
nommen, wurden nun kultiviert und zur Ernährung der Tiere, vor
allem der Schweine und des Rindviehs, verwendet. Lange währte
dieses „Glück“ jedoch nicht. Alle Tiere fielen bald unter die Kriegs-
bewirtschaftung. Die Milch und die Schweine mußten abgeliefert
werden. Was wir behalten durften, reichte gerade aus, das Haus¬
wesen unseres Hegers zu versorgen. Unsere Hübner haben wir
aus unerfindlichen Gründen nicht abzuliefern brauchen. Auch mit
dem Wild ging es ganz gut. Das Ablieferungssoll war erträglich,
und so konnten wir zu Weihnachten all denen, denen wir gewöhn¬
lich etwas zu schenken pflegten, mit Wildbraten Festfreuden be¬
reiten. 14 )
Weihnachten und Sylvester 1941 waren wir letztmals auf der
Jagdpachtung Stolpshof. Reinhard und ich sind zur Mitternachts-
pirsch im Revier gewesen. Reinhard ist 3 Monate in der Tschecho¬
slowakei, in „Böhmen und Mähren", und im neuen Jahr, 1942,
werden wir mit der ganzen Familie auch nach dort ziehen. Für die
Familie ist es ein Abschiednehmen von Stolpshof — und vom bis-
92
herigen Leben, das sich nur um uns drehte, fernab jeder Öffent¬
lichkeit. Das wird „drüben“ nicht mehr sein. Dort muß ich ein
anderes Leben beginnen. Das Rampenlicht der Öffentlichkeit wird
unser Leben dort diktieren, für die Familie Heyd rieh ein neuer
Lebensabschnitt beginnen. Einer hat so begonnen:
Eines Abends ruft Reinhard mich an und rät mir, am nächsten Tage
das Radio ständig eingeschaltet zu lassen. Es sei sehr wichtig. Auf
meine Frage, was denn morgen, am 1. September, so sehr wichtig
sagt er nur: „Morgen werden deutsche Truppen in
schieren. Wir werden Krieg haben!" 15 ) Krieg, frage
i denke an meine Kindheitserlebnisse zur Zeit des
Wie war es aamais, ganz am An rang meines
nach: da gab es Kanindien, denen wir an den
rändern Futter suchen mußten: da waren „Sr
ke
und Acker-
Soldaten
person-
ir
H
ger mm-
r uns er-
eisdi der
93
Nation ganz besonders wieder*, die Trennung Ostpreußens vom
Reich durch den Versailler Vertrag, die eingeschränkte Lebens¬
und Wirtschaftsfähigkeit der ostpreußischen Bevölkerung, die Be¬
handlung der Westpreußen ... usw. usw. Viel hat sich im Laufe
der Jahre angestaut,
Kriegsvorbereitungen, Verteidigung und Rüstung usw., sind Sache
der Wehrmacht und deren Abwehr. Für Reinhard, der im Gegen¬
satz zu Canaris zu der Zeit noch nicht das Recht zum Vortrag beim
Führer hatte, ist der Ausbruch des Krieges überraschend gekommen.
Er und seine Ämter müssen sich mit der Übernahme befohlener
Aktionen zufriedengeben, die andere ungern ausführen — oder
zu denen ihnen der Mut fehlt. Im Grunde hat sich auch im Kriege
für Reinhard an der Art der Arbeit und der Ausführung nichts ge¬
ändert. Wie schnell er mit diesem „Muß“ des Krieges konfrontiert
wird, ahnt er zunächst nicht. Als die Deutsche Wehrmacht in schier
atemlosem Tempo Polen überrennt, bleibt der polnischen Zivilbevöl¬
kerung kaum Zeit, fluchtartig aus der Kampflinie zu entkommen.
Es entsteht ein unbeschreibliches Chaos. Die deutschen Truppen
stoßen auf Zustände, die nicht nur aus der Überraschung resul¬
tieren. Insbesondere die ländlichen Bezirke sind der unmittelbaren
Kriegseinwirkung schutzlos ausgesetzt. Auf dem flachen Lande
befinden sich Klöster und Heilanstalten, die nahezu ausnahmslos
von Nonnen geleitet werden. Sie haben in vielen Fällen ihre gei¬
steskranken Schutzbefohlenen zurückgelassen, die sich nun, allein¬
gelassen, hungernd und frierend über das geschlagene Land ergie¬
ßen. Auf diese Elendsgestalten, trifft die kämpfende deutsche
Truppe, die den Befehl erhält, sie zu erschießen. Die Truppe kann
für die Irren nicht sorgen. Caritative Einrichtungen der Wehr¬
macht liegen weit hinter der kämpfenden Front. Die Soldaten wei¬
gern sich, den Befehl auszuführen. Die Wehrmacht gibt ihn kurzer¬
hand an die Männer des Reichssicherheitsdienstes der SS weiter,
die der kämpfenden Truppe folgen. Doch auch sie weigern sich,
den Befehl auszuführen.
Inzwischen sind drei oder vier Tage vergangen. In Scheunen und
Strohschobern, in allen möglichen Behausungen, finden Soldaten
94
die verlassenen, verelendeten, verhungernden und kranken Krea¬
turen. Irgend jemand, idi kenne den Namen nidit, hat geschlossene
Fahrzeuge zusammengesucht und sie so einrichten lassen, daß die
Auspuffgase der Motoren in das Innere der Karosserien geleitet
werden können. Sicherlich hat Reinhard seine Zustimmung dazu
gegeben. Die Irren werden zusammengetrieben, in die Wagen ge¬
sperrt und durch die Abease der laufenden Motoren getötet.
v
raschen mich zwei lJinge: im rwener wunien manawer&er, aie einen
Luftschutzkeller einbauen und aus der Garage ist unser Privat¬
auto verschwunden. Da hatten wir es mühsam zu einem eigenen
Auto gebracht und es so oft wie nur irgend möglich zu sonntäg-
r Familie stand nun kein Privatauto
eine Ausnahme. Zur Jagd hatten wir
Dienstwagen benutzt. Zu einem Pro-
1 * F "
emein-
niaiil
auf der Insel hätten uns für verrückt gehalten. Wir brauchten
keinen Schutz. IA war ein Kind dieser Insel, und Reinhard hatte
sich so selbstverständlich eingefügt, daß jeder Schutz hier nur als
Angeberei empfunden worden wäre. Reinhard hat nichts ferner
gelegen. Hätte er nur ein wenig mehr Wert auf eigenen Schutz
gelegt, wäre das Attentat in Prag sicherlich nicht möglich gewesen.
Er setzt ein ungeheures Vertrauen in sein Leben — und in ihm,
als einstigen Katholiken, lebte bis zuletzt auch immer noch etwas
von der Glaubensformel, daß der gottesfürchtige Mensch, wofür
er sich hielt, »in Gottes Hand“ sei.
»Die Leute sagen“, so redeten die Leute auf der Insel Fehmarn,
bevor sie bewiesene und unbewiesene Geschichten zu erzählen be¬
gannen, und so muß auch ich tatsächlich beginnen, wenn ich wieder¬
holen soll, was der Vater meiner Kinder alles gewesen sein soll.
„Der Heydri A* *» so klin S t es landauf, landab, „das war ein großer
Mörder, ein Streber, ein rücksichtsloser Ehrgeizling, der voller
schlimmer Gedanken steckte und Entscheidungen immer nur aus
RaAsiiAt und Haß traf. Alles, was er tat, resultierte aus min¬
derwertigen Motiven. Er war ein innerlich verkommener, mit
allen schlimmen Eigenschaften ausgestatteter, vorsätzlicher Massen¬
mörder, wie man ihn sich noch schlimmer gar nicht denken konnte.
Er war ein typischer Kleinbürger, auch wenn er aus einer namhaf¬
ten Künstlerfamilie stammte. Sein Tun war psychologisch er¬
klärbar. Da er wußte, daß in seinen Adern jüdisches Blut floß,
haßte er die Juden, und alle Mittel waren ihm recht, wenn es
darum ging, siA auf der Erfolgsleiter durchzusetzen. Er kannte nur
sich, seinen Ehrgeiz, seine persönlichen Ziele.®
Alle, die so reden und schreiben, können sich gewiß nicht vor¬
stellen, daß Reinhard Heydrich tatsächlich ein ganz anderer Mensch
gewesen ist. Daß Torheiten und Legenden über Schlüsselfiguren
stets die Runde machen, ist eine Tatsache, die nicht nur alle die¬
jenigen kennen, um die es jeweils geht. Darüber brauche ich kein
weiteres Wort mehr zu verlieren. Schlimm ist nur, daß selbst Leute,
die siA für ganz besonders intelligent und klug halten, gelegen di A
die größten Torheiten in die Welt setzen. So hat JoaAim Fest,
96
der Mitherausgeber der auf Seriosität besonders bedachten FAZ
(Frankfurter Allgemeine Zeitung) Reinhard beispielsweise ernst¬
haft als den „Nachfolger“ Hitlers bezeichnet. Welch 5 ein Wahn¬
glaube, Fest, offenbar von Meditationen über die eigene Psyche
und Unzulänglidikeit befangen, ist sicherliA überzeugt, sadilidi
zutreffende Gedanken entwickelt zu haben. Doch es ist nidit so.
Seine außerordentlich wortreichen Behauptungen haben mit der
Wirklichkeit nichts zu tun. Taten sind nun einmal nicht immer eine
verläßliche „Auskunftei“ auch über Gedanken und Überzeugun¬
gen. Zur Zeit der Hitler-Herrschaft konnten sie es schon gar nidit
sein.
Nach dem Tode Reinhards, insbesondere 1945 und 1946, während
des Nürnberger Prozesses, haben selbst seine einstigen Kameraden
und Kollegen, die in Nürnberg auf der Anklagebank saßen, nach
dem Motto verfahren: »All« Böse hat „der Heydrich* getan!“
Ernst Kaltenbrunner, Reinhards Nachfolger, sagte dies besonders
deutlich. Alle glaubten, mit dieser „Absdiiebetedinik“ ihren eigenen
Kopf retten zu können. Ich habe damals heftig — allerdings
nutzlos — protestiert, als mir ein heimlicher „Abgesandter“ aus
Nürnberg diese Absprache vortrug. Doch jeder war sich damals
wohl nur selbst der Nächste.
F.s wäre total falsch, anzunehmen, daß Reinhard lediglich Befeh-
i
j
i
IMjfMFjTS
uuer uicses mci
na mit njaimar Dcnacnc unternaiten, una oeiae Ka-
men, so erzähl'
te Reinhard mir, zu dem Ergebnis, daß sie per-
sonlidi, d. h. ge
wissermaßen außerdienstlich, durchaus nichts gegen
die auf Unruheherde im Lande hin
ien stimmten, zeigte sich bald. E
kamen Sabotage
?akte bei den Skodawerken in Pilsen vor. Die ge-
forderten Getre
idemeneen und andere lebensnotwendige Versor-
TfTiMiiT» 1 1 , i iT3 ihTiW fTM SnflTTI tri
Sabotageakte. 1
Corh'ffiunisten organisierten sie. Das Protektorat
Böhmen und M
ähren steht vor einer ernsten Revolte. Besonders
§£|2||Ü|||iM&|
mit der Versorgung des Landes. Um den Tsehe-
eben die erford
SHrnM» Mü^mmnmWwmrnM m i n* mm * Wmntmwr?
Reich zugeschoss
;en werden. Das Protektorat selbst ist nicht in dci
Lage, genügend
Getreide und tierische Produkte zu produzieren.
obwohl Expert«
Überschuß erzet
scheinuneen eai
;n errechnet haben, daß das Land sogar einen
igen müßte. Constantia von Neurath ist den Er-
1Z offenbar nicht erwachsen. Reinhard erfährt
ir zuspitzt. Er
ird vertröstet.
. 1- ___ _J
kommt je
das rechte
- IT* > iTi >i > n j j m l
73k7iB * miMn TTWTnm ICTR BfSWifSH HlWiiHTilTiff
und ihm zu befehlen, ins Führerhauptquartier zu kommen. Ich
packe seine Nachtsachen ein und meine, daß es sich um einen der rou¬
tinemäßigen Rapporte handeln werde, bei denen Reinhard Himm¬
ler im Vortrag unterstützen solle. Nur so nebenbei bitte ich Rein¬
hard, mich doch am Abend anzurufen, wenn ihm dies möglich sei.
Gegen 20 Uhr läutet das Telefon. Es meldet sich das Führerhaupt¬
quartier. Die Vermittlung verbindet. Endlich höre ich Reinhards
Stimme. „Du", sagt er, „es hat sich etwas Außergewöhnliches zu¬
getragen. Herr von Neurath wird abgelöst, aus gesundheitlichen
Gründen. Ich werde Stellvertreter. 0 Aul meine überraschte Frage,
ob er dann „von hier aus“, von Berlin aus, als Stellvertretender
Reichsprotektor „das Land regieren wolle“, erklärt er kurz: „Nein,
ich gehe nach Prag!“ Ich mache ihm per Telefon eine Szene. Ich
rege mich auf, protestiere und frage ihn, wieso er denn nicht „Post¬
bote oder so etwas“ geworden sei. Wir sind so selten beisammen.
Uns „verbindet“ immer das Telefon. Ich will das nicht so weiter¬
machen, und ich sage es ihm auch klipp und klar;; aber er unter¬
bricht mich ruhig und bestimmt, indem er erklärt: „Lina, Lina,
beruhige Dich. Ich habe endlich eine positive Aufgabe. Es wird
sich alles finden. Ich werde Euch nicht allein in Berlin lassen. Ich
an sein Tun
Bi
Wort ist dann vergessen, Namen und Zahlen und was immer er
sonst braucht, hat er stets im Kopf parat. Er hat nie ein Telefon¬
buch gebraucht. Die Nummern, die er brauchte, und es waren sehr
viele, wußte er auswendig.
Als ich dann mit den Kindern von Berlin nah Prag fuhr, geschah
es in einem Salonwagen, Noch niemals zuvor bin ich so »vornehm 0
gereist. Ich ahne, was auf mich zukommen wird. Zuerst ist mir der
Umstand, den die Eisenbahn mit mir macht, ein wenig fremd
vorgekommen; aber schnell habe ich mich daran gewöhnt. Nicht
so schnell dagegen habe ich mich mit Prag abgefunden. Vom
Hauptbahnhof fahren wir in einer Autokolonne zur Prager Burg.
Absperrung, am Wegrand Polizei. Zur Besinnung komme ich erst
wieder, als ich an einem Fenster der Burg stehe und auf das gold¬
gelb schimmernde Prag hinabschaue. Erhabene Gefühle beherrschen
mich: Ich bin »kein Mensch“ mehr, empfinde ich. Ich bin eine Prin¬
zessin und lebe in einem märchenhaften Land. Es gibt keinen Krieg,
keine Feinde, keine Unterschiede. Ich stehe mitten in Gottes Garten
und darf erleben, erschauen, genießen. Dann denke ich an die
Gesdiidite dieser Schicksalsstadt, in der für mich alle politischen,
nationalen und gefühlsmäßigen Fäden zusammenlaufen: Prag ist
für midi nun Europa.
Wie hart und schwer die Zeit ist, erfahre idi mehr durch Zeitun¬
gen als durch Reinhard. Ausnahmezustand, Standrecht, Ausgeh¬
verbot am Abend. Mit einem furchtbaren, eisernen Besen, kehrt
mein Mann hier. In der ersten Woche hat er 3 Adjutanten ver¬
braucht, Sie waren den Strapazen einfach nicht gewachsen. Er
selbst ist innerhalb einer Woche nicht aus den Kleidern gekommen.
So begreife ich relativ rasch, daß ich keine Prinzessin, sondern nur
die Lehrerstodhter Lina von Osten von der Insel Fehmarn bin,
die niemand kennt. Ich, die jetzt als „Burgherrin“ an einem Fen¬
ster des Hradsdbm steht, bin doch nur ein Werkzeug ohne Ge¬
wicht. Doch ich muß meine „Pflicht“ erfüllen, und ich darf mein
Dasein nicht nur dem äußeren Scheine nach ausfülen. Ich, die
Frau Reinhard Heydrichs, muß es innerlich begreifen und be¬
jahen.
100
So versuche ich nun» midi einzugliedem und einzuordnen und be¬
merke dabei sdion sehr bald, daß vieles nicht so ist, wie ich es
haben möchte. Die Räume behagen mir nicht. Immer nur die
Historie vor, hinter und um sich zu haben, entspricht nicht meinem
Naturell. Für Reinhard ist alles ganz anders. Er lebt nur in
Räumen, die ihn inspirieren. Für ihn ist die Wirklichkeit ganz
da. Probleme hat der Stellvertretende Reichsprotektor Heydrieh
Schwarzmarkt bringt mein Mann rasch unter Kontrolle. Die
Tschechen liefern plötzlich soviel ab, daß die Versorgung des Lan¬
des für 18 Monate gesichert ist. Das verleitet Reinhard dazu, auch
der Rüstungsindustrie Angebote zu machen. Wie im Reich, so
werden auch hier nun Zulagen für Schwer- und Schwerstarbeiter
und die Reichskleiderkarten nach deutschem Muster eingeführt.
Alles in allem; die Tschechen werden den Deutschen — bis auf
die den Deutschen vorbehaltene Wehrwürdigkeit — gleichgestellt.
Es gibt im Lande keine Arbeitslosigkeit mehr. Handel und Ge¬
werbe blühen auf. In meinen alten Aufzeichnungen lese ich:
Es gibt mitten in einer Welt von Krieg und Zerstörung ein
Land, in dem keine Väter und Söhne fallen. Das Einzige, was
ihnen blüht, ist die Abkommandierung in deutsche Rüstungs¬
betriebe, in denen sie mehr Geld verdienen als die Soldaten
an der Front, die schließlich auch für dieses Land ihren
Kopf hinhalten müssen.
Begriffen hat dies niemand. Die Tschechen haben sich nur „kom¬
mandiert“ gesehen. Sie wußten nicht, daß auch eine „Strafe“ ein
Schutz sein kann. Natürlich sind viele Tschechen der Abkomman¬
dierung ins Reich nur sehr ungern nachgekommen. In ihrer Heimat
fielen keine Bomben, und hier gab es natürlich auch keinen Flie¬
geralarm, so daß ihnen der Arbeitseinsatz im Reich schon als eine
Art „Fronteinsatz“ Vorkommen mußte. Frauen sind ihren Män¬
nern nachgereist, und nach dem Kriege sind viele von ihnen in
Deutschland geblieben. Viele, die in Deutschland in Rüstungsbe¬
trieben gearbeitet hatten, wurden nach 1945 in ihrer Heimat nicht
wieder als Tschechen anerkannt. Sie galten als Kolaborateure, und
landeten entweder m Gefängnissen oder auf Umwegen wieder in
Deutschland.
Auf der Prager Burg, wo wir im Gegensatz zu Constantia von
Neurath den linken Flügel des ersten Gebäudes bewohnten, hatten
wir ausschließlich tschechisches Hauspersonal. Nahezu alle sprachen
jedoch deutsch. Alle waren sauber, fleißig, gewissenhaft und ehr¬
lich. Für mich war es eine wahre Wohltat, über ein so zuverlässiges
Personal verfügen zu können. Zu Mittag wurde offiziell mit Gä¬
sten und Mitarbeitern gegessen. Im Souterrain waren die Küchen-
und Wirtschaftsräume, in denen auch unser Essen zubereitet wurde.
Der ganze Rahmen, die Burg, deren Untergeschoß und das erste
Obergeschoß dienstlichen Zwecken und der Repräsentation dien¬
ten, gab unserem Leben ein offizielles Gepräge, das mir sehr bald
unbequem erschien. Ich wollte gern wieder mit meinen Kindern
essen, meinen Mann dabei haben und über eine eigene Küche ver¬
fügen. Zeit meines Lebens war ich eine passionierte Köchin. Die
Küche wurde eingerichtet. Vom Arbeitsamt, auch diese Einrich¬
tung war in Prag neu, erhielt ich eine Köchin zugewiesen. Sie
sprach ein wenig Deutsch und war, man merkte es kaum, Polin.
Leider hatte ich kein Glück mit ihr. Mein tschechisches Personal
meuterte. Es verweigerte die Nahrungsaufnahme. Es wollte nicht
essen, was eine Polin gekocht habe. Zum ersten Male erlebe ich
tschechischen Fanatismus. Kein Zureden, keine Erklärung, nichts
nützte. Eisern bekamen sie auf der Forderung: „Die muß hier
raus!“ Noch immer sehe ich sie weinend die Burg verlassen. Vom
Personal wurde dann eine andere präsentiert, und alles war wieder
in Ordnung. Ich habe über diese Begebenheit mit befreundeten
Frauen aus dem Prager Raum gesprochen. Sie sagten mir, daß es
zu den Eigenschaften des tschechischen Volkscharakters gehöre,
sich nur den Menschen zu unterwerfen, die unbedingt stärker seien
als sie selbst. Sobald aber der Zwang nachließe, verlöre sich die
Anerkennung. Das hat den Tschechen, so sahen wir es, den Ruf
eingetragen, unterwürfig und rachsüchtig zu sein, hinterhältig und
gewalttätig. Allerdings habe ich während meines vierjährigen Auf¬
enthalts m Prag keine dieser Eigenschaften feststellen müssen.
Schlecht benahmen sich eigentlich nur Deutsche. So waren bald
Klagen darüber laut geworden, daß deutsche Kaufleute sich m der
Tschechei bereicherten, die Einwohner übervorteilten, sich frech
B e n ahmen und als Eroberer auftraten. Ich selbst habe einmal einen
ganz gemeinen Fall erlebt. Als Frau sieht man meist zuerst auf
die Kleidung, auf das Auftreten. Welch einen „Chic“, welch „un¬
auffällige“ Eleganz boten selbst einfache deutsche Frauen in Prag.
103
Als wir im April 1945 Prag verlassen mußten, waren meine tsche¬
chischen Angestellten es, die den Fluchtwagen packten, die Vor¬
räte sammelten, das für das Leben Notwendigste zusammen trugen
und es im Wagen verstauten. Vielleicht hatten wir uns so aneinan¬
der gewöhnt, daß es keine Unterschiede mehr gab. Beim Abschied,
als ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, sagte Resi,
eine tschechische Patriotin: „Nicht weinen, Exzellenz, wir sehen
uns wieder!“ Jahre danach habe ich erfahren, daß sie von ihren
eigenen Landsleuten wegen angeblicher „Kollaboration mit dem
Feind" umgebracht worden ist.
Reinhards Prager Position verlangte Umstellungen, gesellschaft¬
liche Neufixierungen und neue Umrisse für sich selbst. Bislang
hatte er immer im Hintergrund gelebt, sich (außer im Sport) nir¬
gendwo hervorgetan. Das gesellschaftliche Leben hat ihn niemals
befriedigt. Auf dem Parkett suchte er keine Anerkennung. Als
Reichsprotektor aber mußte er weiterdenken und sich auch anders
verhalten. Er mußte sich in der Öffentlichkeit zeigen, mußte reprä¬
sentieren und zu seinem großen Kummer auch öffentliche Reden
halten. Noch nie zuvor war von ihm verlangt worden, Reden all¬
gemeiner Natur zu halten und viele Worte zu machen. Vor Fach¬
leuten hatte er natürlich gesprochen, immer vor einem ausgesuch¬
ten kleinen Kreis, in dem es nicht um bloße Worte und Begriffe
ging, sondern um Arbeitsan- und -einsätze. Die Reden „An mein
Volk“ sind ihm sehr schwer gefallen. Irgendwie habe ich auch
gefunden, er mochte dieses öffentliche Reden nicht. Wahrscheinlich
hing das mit seiner militärischen Erziehung zusammen. Jedenfalls
sahen seine Maximen so aus: Sich nicht hervortun, keine Gefühle
zeigen, mit dem geringsten Wortschatz Auskommen. Und so blieb
es denn auch nicht aus, daß er mich zur Kritik einlud. Auf diese
Weise habe ich die meisten seiner Reden vorher angehört, und er
war stets geduldig, wenn ich hinterher zum Beispiel sagte: „Heute
hast Du nur 14 mal ,äh äh* gesagt und Dich 10 mal geräuspert.“
Damals hat von den führenden Leuten niemand einen Gostwriter
gehabt, einen in Sprache und Geist gewandten Schreiber, dem nur
gesagt zu werden braucht, was aUgemein gesagt werden solle —
104
und der dann eine geschliffene Rede ausarbeitet und dann von dem
Redner als eigenes Produkt vorgetragen wird. Reinhard hat so
manchen Abend an einer kleinen Rede gearbeitet» Entwürfe ge¬
macht und wieder verworfen. Seine Reden lernte er auswendig.
Ablesen wollte er sie nicht.
Anders war seine Beziehung zu Diskussionen. Da war er in seinem
Element, da brillierte er durch Spontaneität» durch rasches Tempo
und durch geschliffene Formulierungen. Die wenigsten Teilneh¬
mer konnten sein Tempo mithalten. Am schlechtesten kamen die¬
jenigen weg, die zum Vortrag befohlen wurden und sich eine
„wunderbare Rede" zurechtgelegt hatten. Meist waren nicht ein¬
mal 10 Minuten vergangen und Reinhard überfuhr sie, indem er
ihnen knapp und präzise sagte, was sie selbst eigentlich hatten sa-
müssen. Während idi mit dem Einleben und Zurechtfinden be¬
schäftigt war, versuchte er auf seine Weise seine Ideen vom „ver¬
nünftigen Anpacken der Probleme“ in die Tat umzusetzen. Viel
Zeit stand ihm dafür in Prag allerdings nidit zur Verfügung; denn
die Hälfte der Woche mußte er stets im Berlin verbringen.
In Prag erlebte Reinhard seine Hohe Zeit. Er schöpfte aus Quellen,
die durch seine negative Arbeit als Chef der Gestapo usw. ver¬
schüttet wurden. Zu unseren ersten Besuchern gehörte dort das
Ehepaar Speer, dem Reinhard seine Vorstellungen über die zu¬
künftige städtebauliche Entwicklung vertrug. Wieweit Speer aller¬
dings von Hitler animiert worden war, Reinhard aufzusuchen,
weiß ich nicht. Reinhard zeigte sich jedoch außerordentlich erfreut,
und gemeinsam mit Speer unternahm er eine Besichtigung von
Prag, das er gern umgestaltet hätte. Was er wollte, war dies: Prag
ein anderes Gesicht geben und aus dem Land, das bislang von
Einfuhren hatte leben müssen, ein Exportland machen, das attrak¬
tiver Teil des Reiches sein sollte. Durch persönlich gefärbte Kon¬
takte zu Backe, dem Staatssekretär im Landwirtsdiaftsministe-
rium — und durch meine Beziehungen zur Landwirtschaft ani¬
miert, begann Reinhard damit, sein besonder« Interesse der Land¬
wirtschaft zuzuwenden. Im Moment erschien es ihm nicht wichtig,
den Adcer gewinnträchtig (womöglich mit Zuckerrüben) zu be¬
stellen, sondern die Ernährung zu sichern und die Preise behördlich
festzusetzen, um Preisspekulationen auszuschließen. Vom Land-
wirtschaftsministerium wurden auf sein Betreiben Fachleute ent¬
sandt, die passiv bewirtsdiaftete Betriebe, besonders natürlich
Großbetriebe, übernahmen und Intensivwirtschaft einführten.
Zuchtvieh kam aus Deutschland. Doch nicht nur in der Viehwirt¬
schaft fanden gravierende Umstellungen statt. Auch die Bearbei¬
tung des Bodens und dessen Nutzung wurden in deutsche Regie
genommen.
Bei aller Begeisterung für seine neue Aufgabe hat er sein Amt
in Berlin nidit vernachlässigt. Sein Schicksal ereilte ihn ja auch
auf einer der routinemäßigen Fahrten nadi Berlin. Schon Ende
1941 übertrug ihm Gering einen Auftrag, der sich nachträglich
106
als die größte Anschuldigung und Belastung herausstellen sollte:
Die „Endlösung der Judenfrage®. Durch seine Unabkömmlichkeit
in Prag wurde eine Zusammenkunft aller maßgeblichen Herren
und Dienststellen auf den Januar 1942 verschoben. Als Reinhard
mir von diesem Auftrag erzählte, stellte er die Sadie verhältnis¬
mäßig sachlich dar. Es handelte sidi, wie er sagte, um die Organi¬
sierung der „ Auswanderung aller europäischen Juden nach Zentral¬
rußland 0 . „Du willst®, fragte idi ihn, „damit doch wohl nicht
sagen, daß alle Juden nadi Sibirien deportiert werden sollen?“
Seine Antwort: „Ja, das will ich damit sagen. Sibirien ist nicht
das Land des Schreckens. Es ist nur durdi die Strafgefangenenlager
der Russen zu einem Schreckgespenst gemacht worden. Denk’
doch mal an den Vater von Fomme.“ Was sagte der? Idi besann
midi. Major Pomras Vater (Pomme war bei Reinhard Chefadju¬
tant für die Polizei) war im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangener
in Rußland gewesen und nach Sibirien verschickt worden. Er hat
immer wieder zu seinem Sohn gesagt: „Einmal noch möchte ich als
freier Mann nach Sibirien. Es ist ein wunderbar» Land.®
In Sibirien, so erzählte Reinhard mir, gäbe es alles: fruchtbares
Land, Erze, Mineralien und Kohle, Als idh ihn skeptisdi fragte,
ob die Juden denn mit den neuen Verhältnissen auch fertig wer¬
den würden, sagt er nur: „Aber sicher. Sie sind intelligent, und sie
braudien einen neuen , An fang 1 . So wie es jetzt ist, geht es nicht
mehr weiter. Wir wollen dieses Problem ein für allemal aus der
Welt schaffen. Jetzt, im Krieg, bietet sich eine einmalige Gelegen¬
heit!“ Und dann skizzierte er seinen detaillierten Plan, der selbst
den Wegebau ein schloß. Natürlich würde ein großer Prozentsatz,
so hob er hervor, diese Umsiedlung nicht überstehen, insbesondere
nicht die alten Juden. Mit einem natürlichen Schwund müsse man
rechnen. „Die Juden, die wir nach dort bringen®, fuhr er fort,
„werden sidi einleben.“ Und als ich ihn fragte, wo dieser Staat
denn entstehen solle, sagte er: „Im Norden, im Süden, vor oder
hinter dem Ural. Hinter dom Ural und in der Mitte.“ Und dann
zeigte er mir das Gebiet auf der Karte. Die „Sache® hatte nur einen
Fehler. Das Gebiet mußte erst erobert werden. Warum, so fragte
107
ich midi danach, sollte eine solche Menschenverschiebung nicht
möglich sein. Die Männer Reinhards würden das schon schaffen.
So hat für midi die berüchtigte „Wannseekonferenz“ begonnen. 16 )
Seit langem bedrückte Reinhard das Verhalten einiger Gauleiter
und anderer Parteifunktionäre in besetzten Gebieten, Als besonders
heiklen Fall sah er „Frank II“ in Krakau an, der sich als „Stanis¬
laus der Letzte einen berüchtigten Namen gemacht hatte. Er war
als Generalgouverneur eingesetzt und übte die Funktion eines abso¬
luten Herrschers aus. Die Informationen, die Reinhard über Franks
Tätigkeiterhielt, überstiegen jedes vernünftige Maß. Es wurde von
gesehenk übergeben wird. Der Reichsführer SS bestimmt sich
selbst zum gesetzlichen Vormund und ordnet an, daß bis zur
Geburt des Kindes eine Ordonanz in steter Verbindung mit mir
bleibt. Riesige Mengen Kondolenzschreiben müssen beantwortet
werden. Zu meiner persönlichen Betreuung kommt Frau Lise Rail.
Meine Mutter konnte nicht kommen, da sie bei der Todesnach¬
richt meines Mannes ohnmächtig zusammengebrochen war und
selbst der Hilfe bedurfte. Behutsam hat Frau Rail, die um ihren
Sohn, der am zweiten Tage des Polenfeldzuges als Leutnant von
einer Partisanin aus dem Hinterhalt erschossen worden war, trau¬
erte, mich betreut. Die Überlegenheit dieser reifen, älteren Frau,
hat mir die Krall gegeben, alles zu bewältigen. In der Nacht vom
22, zum 23. Juli wird unsere Tochter Marte geboren. Ich halte
mir so nahe. Hier hat er die einzigen glücklichen Stunden seines
Lebens verbradit. Lassen Sie uns hier, wenigstens solange der Krieg
dauert.“ Wenige Tage nach diesem Gespräch höre ich, daß Hitler
die Absicht habe, mir das Schloß Jungfem-Bresdian zu schenken.
Zu gleicher Zeit erfahre ich auch, wie hoch meine Witwenpension
und die Waisenzulage für die Kinder sind. Insgesamt werden wir,
die vier Kinder und ich, rund 1500 Mark monatlich zur Verfügung
haben. Damit können wir vielleicht leben; aber ein Schloß ist
damit nicht zu unterhalten, und so lehne ich vorsorglich ab, midi
darauf einzulassen, auch wenn bislang nur von der Absicht Hitlers
die Rede ist. Dennoch erhalte ich einige Tage danadi einen Sdien-
kungsentwurf, Nicht nur das Schloß, sondern audi alle Ländereien
und Inventarien usw,, sollen mir übereignet werden. Idi bin mir
der Tragweite dieser Sihenkungsabsicht bewußt, und ich danke
Hermann Göring nun naditräglidi dafür, da er uns von Parlow
verjagt hat und mich dadurch gezwungen hat, die Landwirtschaft
von der Pike auf zu erlernen. Idi sage zu. Danadi hat Hitler sich
persönlich nicht mehr um den Fortgang der Dinge gekümmert,
sondern sie durch seine Staatskanzlei erledigen lassen. Das Resul¬
tat der Besprechungen zwisdien Lammers und Himmler wird mir
vom Leiter des deutsdien Bodenamtes vorgelegt. Aus einer ein-
fadien Schenkungsabsicht hat sidi eine dicke Akte entwickelt.
Es stellt sich heraus, daß Jungfem-Bresdian nicht Besitz des deut¬
schen Reiches, sondern tschechischer Staatsbesitz ist. Der ursprüng-
lidie Besitzer lebte in der Schweiz. Die sogenannten „Ödhöfe“,
die beim Einmarsch der deutschen Truppen von ihren Besitzern
verlassen worden waren, wurden automatisch in den tsdiedhisdien
Besitz eingegliedert und vom deutsdien Bodenamt bzw. von der
deutsdien Generalgüterdirektion iedigli^ fachlich betreut. Bevor
nur Jungfem-Bresdian also übereignet werden konnte, mußte ein
Besitzwedisel stattfinden. Da das deutsche Reich nicht als Käufer
auftreten konnte — oder dies nicht wollte, sollten die Kinder und
ich mit je einem Fünftel als Käufer fungieren. Der Kaufpreis
sollte uns aus der Kasse der Reichskanzlei erstattet werden. Wei¬
tere Einzelheiten folgen. Es werden Einschränkungen eingeflodi-
110
ten, wonach die Töchter lediglich die Nutznießung ihres Anteils
erhalten. Da mir die Gedankengänge des Reichserbhofgesetzes
selbstverständiidi erschienen, habe ich dieser Art der Dotation
zugestimmt. Um so erstaunter bin ich, als eines Tages ein Beauf¬
tragter erscheint und mir eine völlig andere Version zur Unter-
sdirift vorlegt. Nicht nur die Rechte unserer Töchter sind darin
eingeengt, sondern audi wird mir zugemutet, was idi nicht akzep¬
tieren zu können meine. Ich darf nicht wieder heiraten. Tue ich es
dennoch, muß ich nicht nur auf Lebenszeit auf meinen Anteil ver¬
zichten, sondern auch Jungfern-Bresdian verlassen. »Ich weiß,
Frau Heydrich“, beugt der Mann vor, »diese Urkunde können
Sie nicht unterschreiben. Ich habe das Papier schon vor einigen
Tagen erhalten und mir inzwischen überlegt, wie man Ihre
Situation klärt, ohne Sie zu kranken. Ich mache Ihnen einen Vor¬
schlag: Sie verfügen doch“ ... und dann spielt er auf meinen Neu¬
bauernschein an, über „einen kleinen Einblick in die Landwirt¬
schaft. Werden Sie Angestellte des deutschen Bodenamtes. Sie er¬
halten von uns Wohnrecht auf Schloß Breschan und freie Station.
Ich werde Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Kenntnisse in der Land¬
wirtschaft zu erweitern. Es werden Ihn en fachkundige Mitarbeiter
zur Belehrung und Hilfe an die Seite geteilt.“ Da die Ländereien
unter dem Pflug an eine Aktiengesellschaft verpachtet sind, blei¬
ben mir 125 ha Wald, der Park und die Gärtnerei zur Bewirt¬
schaftung. Der Vorschlag leuchtet mir ein. Hauptsache ist für
mich, wir können hier bleiben. Ich schreibe an Himmler und bitte
ihn, die Dotation bis naA dem Kriege aufzuschieben. Ich habe
nicht die Absicht, in diesem Falle nachzugeben; aber inzwischen
weiß ich, daß Reinhard bei einer Lebensversicherung eingeschrie¬
ben war, was er wohl selbst nicht gewußt hat. Sie war von der
Reichsfühnmg SS für alle diejenigen abgeschlossen worden, die
über keine gesetzliche Versorgung für ihr Alter verfügten. Anfang
August habe ich die Policen bekommen. Den weitaus größten
Teil von den 200 000 Mark lasse ich auf ein Konto bei der Deut¬
schen Reichsbank überweisen. Ein kleiner Betrag geht auf mein
Konto bei einer „bö hm i sc hen“ Bank. Wieder hatte die Geldfrage
111
vor der Tür gestanden; 18 ) denn alle diese Dinge liefen auf Reinhards
Namen. Erst ein amtsgerichtlicher Bescheid mußte die Erbfolge
regeln.
Erbfolge-Schwierigkeiten gab es bald auch mit Jungfern-Breschan,
nicht für-midi, sondern nach 1945 für seinen einstigen Besitzer,
den m der Schweiz lebenden Wiener Juden Bloch-Bauer, der das
Schloß, das Land und die Vorwerke von den 1904 in Konkurs
gegangenen Vorbesitzern Ledburs und Riese von Stallburg erwor¬
ben hatte. Da er kinderlos war, hatte er nach dem Ersten Welt¬
krieg seinen Neffen Karl Bloch-Bauer als Erben eingesetzt, der
sidi nach dem Zweiten Weltkrieg erfolglos darum bemühte, dieses
Erbe antreten zu können. Die Tschechen wiesen ihn und seine An¬
sprüche ab. Danach bemühte er sich, von der Bundesrepublik
Deutschland eine Entschädigung für den verlorengegangenen Be¬
sitz zu bekommen. Mitten in seinem Kampf starb er. Nach seinem
Tode trat sein in Kanada unter dem Namen Bentley lebender
Bruder Robert das Erbe und die Klägerposition an. Ich, die ein¬
stige Beinahe-Besitzerin, habe sowohl ihm als auch seinem Bruder
Karl Bloch-Bauer geholfen. Robert bekam schließlidi eine Abfin¬
dungssumme als Wiedergutmachung, und er und ich sind seit Jah¬
ren nun Freunde — und reden, wenn wir uns einmal treffen,
über das Schloß „Jungfem-Burg“, wie die Nonnen es tauften,
die dort einst ihre Novizen unterbrachten.
Himmler jedenfalls, war, um über die nach 1945 viel kolportierte
„Schloß-Schenkung” weiter zu berichtigen, mit der Verschiebung
der Dotation einverstanden. Doch just in dem Moment tauchte
ein anderes Problem auf; Breschan war seit langer Zeit immer nur
Sommerresidenz gewesen. Die Besitzer hatten stets eine Stadtwoh¬
nung besessen, die sie ab Herbst bewohnten. Es waren im Schloß
zwar Öfen vorhanden; aber es bedurfte jeweils einer ganzen
Mannschaft von Heizern, die diese kunstvollen Gebilde aus Mosaik
und Kacheln bedienten. So soll denn eine Zentralheizung instal¬
liert werden. Wir rechnen natürlich damit, daß sie für uns ein¬
gebaut werde, für die Deutschen, denen alles dies hier auch weiter¬
hin gehören wird. Der Sommer geht vorbei. Die Heizung ist noch
112
nicht eingebaut. Ich werde gebeten, mit meinen Kindern das Schloß
zu verlassen, da es „Schmutz und Unruhe“ geben werde. Bevor
ich midi jedoch mit dieser Frage auseinandersetze, widerfährt mir
ein unheimliches Erlebnis. Der Mann meiner mütterlichen Freun¬
din, Frau Rail, besucht uns auf Jungfern Breschan, wie ich im
Zusammenhang mit der „Endlösung der Judenfrage“ bereits er¬
wähnte. Nachdem die familiären Probleme „geklärt“ sind, bittet
Rail mich zu einer Unterredung. Erregt erzählt er mir: „Im Rah¬
men meines Kriegseinsatzes habe ich seit Wochen Erlebnisse gehabt,
die midi sehr beunruhigen. Meine Einheit ist hinter der Front
auf ,Erschießungstrupps‘ gestoßen, die eine Massen Vernichtung von
Niemand! Reinhard paßten viele schon wegen ihres Erscheinungs¬
bildes nicht. Und nicht wenige schätzte er wegen ihrer bescheidenen
geistigen Mittel sehr gering. So manchem von ihnen war nicht wohl
in seiner Haut, wenn er Reinhard sah oder gegenüberstand. Nicht
wenige fürchteten ihn, Himmler nicht ausgenommen.
Obwohl Bruno Heydrich in Bayreuth gewesen war, als Wagner-
Sänger einen Namen gehabt und über persönliche Beziehungen zur
Familie Wagner verfügt hatte, interessiert Reinhard das Musik¬
leben in Prag, das immer ein Zentrum auch deutscher Musik ge¬
wesen war, sehr viel mehr. Dort war das „Rudolfinum“ entstan¬
den, in dem spater das tschechische Parlament seinen Sitz fand.
Allen Prager Deutschen, allen Sudetendeutschen und auch allen
Reichsdeutschen, die im Raume lebten, lag daran, das „Rudolfi¬
num" wieder als musikalische Zentrum erstehen zu lassen. Es
wurde renoviert, ein Raum für Symphonieorchester und einer für
das Kammerorchester eingerichtet. Im Mai 1942 gab es in Prag
die Musikwochen. Der Leipziger Thomaner-Ghor sang in Hitler-
Jugend-Uniform Sebastian Bachs Motetten. „Der Geist hilft unse¬
rer Schwachheit auf..intonierten sie, und ganz Prag, wenig¬
stens aber die Deutschen, waren voller Glücksgefühle, Der Krieg
war für sie weit weg. 1 000 km waren es bis Charkow, 3 000 bis
nach Tobrak, Reinhard hatte ein Geleitwort für das Prager Musik¬
woche-Programm geschrieben und seinen seit längerer Zeit geheg¬
ten Wunsch, seines alten, verstorbenen Vaters, zu gedenken, in die
Tat umgesetzt. In Halle, seiner Geburtsstadt, hatte er einiee alte
Breschan besucht. Sie kam und bereitete mir eine große Freude.
„Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“, das Werk ihres
Vaters, hatte ich als junges Mädchen in Kiel in nächtelanger Lek¬
türe verschlungen. So war der Besuch für mich in mehrfacher Hin¬
sicht ein großer Gewinn. Wir unterhielten uns über unsere Fami¬
lien. Ich erzählte von Reinhards Vater und dabei natürlich auch,
daß er von Cosima Wagner, ihrer Schwiegermutter, viel gelernt
habe. Mehr als 20 Jahre später sahen wir uns wieder, Winniefried
neu Mantel fallen und reißt die Maschinenpistole hoch; aber sie
geht nicht los. Er hat in der Aufregung vergessen, sie zu entsichern.
Reinhard, der die Situation augenblicklich erkennt, springt auf,
reißt seine Pistole heraus und schießt auf Gabcik. Der Fahrer hält,
was sich als grober Fehler erweisen soll; denn jetzt bieten sie, der
große Mercedes und die beiden Insassen, ein großes und stehendes
Ziel. Doch Reinhard, der Mann, der stets blitzschnell reagiert, ver¬
sucht aus dem Wagen zu springen und den Attentäter zu verfol¬
gen. Ehe di« allerdings gelingt, hat Kubis seine „Bombe", eine
Mills-Spezialgranate, in Richtung Auto geworfen, wo sie neben
dem rechten Hinterrad explodiert. Reinhard wird buchstäblich zer¬
fetzt; aber noch lebt er, und noch kämpft er. Er richtet seine Pi¬
stole auf den Attentäter und schießt das ganze Magazin leer. Dann
bricht er zu Tode verwundet über der Kühlerhaube des zerstörten
Autos blutüberströmt zusammen. Die Attentäter entkommen auf
ihren bereit gestellten Fahrrädern. Die gerade um die Ecke biegende
Straßenbahn hat ihnen die Flucht erleichtert. Klein, der Kubis ein¬
zuholen und zu stellen versucht hatte, wurde an einem Oberschen¬
kel durch eine Kugel des Flüchtenden getroffen. Die Attentäter
sind entkommen. Eine Tschechin versucht Reinhard zu helfen.
„Mein Gott", kreischt sie in tschechischer Sprache, „das ist doch
unser Obergruppenführer. Jesus Maria!" Ein tschechischer Polizist
eilt sofort herbei und hilft ihr. Der Wagen ein« Bäckers, der ge¬
rade vorbeikommt, wird angehalten und der zu Tode verletzte
Reinhard in das Auto gehoben. In Eile geht es ins Luhowka-Kran-
kenhaus, wo sich die Chirurgen Hohlbauin und Diek fieberhaft
bemühen, Reinhards Leben zu erhalten. 20 ) Eine Rippe ist zertrüm¬
mert, das Zwerchfell perforiert. In der Milz stecken ein Splitter
und Lederpartikel aus dem Autositz. Die Milz muß entfernt wer¬
den. Die Ärzte befürchten eine Sepsis.
Erst als gewiß schien, daß die unmittelbare Todesgefahr gebannt
war, bin ich benachrichtigt worden.
Bald fanden sidi erwünschte und unerwünschte Besucher ein, die
jedoch meist auf den Flur zurüdkgeschickt wurden. Himmler hatte
sofort seinen SS-Arzt Gebhardt entsandt. R einha rd war zu krank.
116
um gegen irgendetwas Einwände erheben zu können. Ich weiß,
daß es zum Beispiel vieles gab, was er Gebhardt gern vorgewor¬
fen hätte; aber in den wenigen Tagen, die ihm jetzt noch vergönnt
waren, hat er sich mit Gebhardt ausgesöhnt.
Nach der Bekanntgabe des Attentats wird eine Großfahndung
nach den Tätern angesetzt. Die Dienststellen in Böhmen und im
Reich, Reinhards Leute also, haben das Heft in der Hand. Als
Erstes wird veröffentlicht: Die Munition ist englischen Ursprungs.
Daraus wird geschlossen, daß es sich wahrscheinlich nicht um eine
einheimische Terroristengruppe handele; denn sic hätte genügend
Munition aus eigenen Waffenschmieden zur Hand gehabt. Die
Sache muß also von außen kommen. Der Verdacht fällt auf die
Tschechen, die nach England emigriert, dort ausgebildet und dann
gezielt als Nachrichtenspezialisten mit modernsten funktechnischen
Mitteln ausgerüstet, heimlich nach Böhmen eingeflogen worden
sind. Aber die intensive Fahndung, die nahezu kein Haus ausläßt,
ist ein schier nicht zu bewältigendes; Problem. Wie sollen unsere
Leute Attentäter finden, die niemand von uns kennt. Zwar gehen
ein paar Gangster ins Netz; aber mit dem Attentat haben sie nichts
zu tun gehabt. Später, viel später, wird erzählt, daß von einigen
Schlüsselfiguren, die glaubten, ganz besonders gut informiert zu
sein, vermutet worden sei, daß Himmler selbst die Attentäter ge¬
dungen habe, um sich „des kalten Intellektuellen Heydrieh“ zu
entledigen. Die Wahrheit sah jedoch anders aus. Karl Hermann
Frank und die Gestapo, Reinhards Männer, haben sofort den rich¬
tigen Riecher: Benesch steckt dahinter, die tschechische Exilregie¬
rung in London, die diese Aktion als eine Art spontane Reaktion
des unterdrückten tschechoslowakischen Volkes auf Heydrichs Po¬
litik erscheinen lassen möchten, was die kriegsgeschichtliche Abtei¬
lung des britischen Verteidigungsmi nisteriums spater {allerdings
ein bißchen verschlüsselt) tatsächlich auch zugab. Maeha dagegen,
der Staatspräsident unserer Gnaden, läßt öffentlich erklären, daß
dem r Herrn Benesch in London ganz offensichtlich die Ruhe und
Ordnung in seinem Heimatlande nicht gefalle, und so jagen Ge¬
rüchte sdiließlidh einander.
117
Während des Krieges bestand eine sehr strenge Meldepflicht. So¬
wohl im Altreich als auch in den besetzten Gebieten mußte sich
jede Person, die ihren Aufenthaltsort wechselte, innerhalb von
12 Stunden bei der örtlichen Polizei melden. Auf diese Weise war
es der Polizei natürlich möglich, in kurzer Zeit eine „Personen¬
überprüfung“ der jeweiligen Orte vorzunehmen. Nachdem die
Fahndungen keine Ergebnisse zeitigten und Unruhe sich innerhalb
der Fahnder-Gruppen bemerkbar machte, die mit der Ergreifung
der Täter betraut worden waren, wurde eine systematische Durch¬
forstung sämtlicher Meldeämter angeordnet. Daß besonders die
Gegenden auf dem Plan standen, in denen früher schon Geräte und
Kleidungen englischer Herkunft gefunden worden sind, lag auf der
Hand. Dabei stieß man bald auf ein Bergarbeiterdorf, das nur
110 Einwohner zählte. 100 von ihnen waren nur gemeldet. Es war
Lidice. 21 ) Endlich hatten wir einen Anhaltspunkt. Festgestellt wurde
augenblicklich, daß sie hier Agenten aufgehalten hatten. Erregung
und Unruhe waren gewadisen. Gewalt ist das letzte Wort. Das
Dorf Lidice wird vernichtet. Die Männer werden erschossen, die
Frauen ins Gefängnis verbracht, die Kinder in Heime ins Reich
transportiert.
Von alledem hat Reinhard nichts mehr erfahren, und wenn den-
nodi Lidice immer in einem Atemzug mit seinem Namen genannt
wird, kann ich dies nur als Folge einer geschickten Propaganda be¬
zeichnen. Die Ergreifung der Täter war einem Zufall zu verdan¬
ken. Es waren die Männer Josef Gabcik und Jan Kubis. Sie hatten
sich nach dem Attentat in der Kirche versteckt, wurden aber ver¬
raten. Die Kirche wurde umstellt, die Insassen aufgefordert, sich
zu ergeben. Sie haben sich bis zuletzt gewehrt, und als keine Ver¬
teidigung mehr möglich war, ihrem Leben selbst ein Ende gemacht. 22 )
Reinhards Worte auf dem Todeslager an midi, „Geh’ zurück nach
Fehmarn“, haben mich nicht mehr losgelassen. Hat er seinen nahen
Tod geahnt? Sein ganzes Verhalten in dieser Zeit gab mir Fragen
und Rätsel auf. Ich wußte plötzlich nicht mehr, wer der Mann
war, mit dem ich fast 11 Jahre verheiratet gewesen bin. Ob die
Gelassenheit, mit der er nun sein Schicksal trug, ein Produkt der
118
Beruhigungs- und Betäubungsdrogen war oder aber aus seiner Hal¬
tung resultierte, konnte ich nicht feststellen. Idi neige heute dazu,
zu glauben, daß er dieses Ende bejahte. Er hatte keine Angst, aber
auch nicht den Willen, weiterleben zu wollen, was mir bei diesem
Bündel von Energie und Willensstärke unverständlich schien. Mir
schien, er habe sich lange schon mit der Vorstellung, früh zu ster¬
ben, angefreundet. Offenbar „wußte" er, daß er, der über Leben
und Tod anderer Menschen entscheid«! mußte, selbst bald einen
solchen „Scheck“ vorgelcgt bekommen würde. Immer wieder hat
er nur gesagt, wenn ich ihn bat, doch seinen „Beruf" aufzugeben:
„Das verstehst Du nicht. Ich muß es tun. Nur ich kann es; die an¬
deren können es nicht." Sicherlich klingt es phrasenhaft; aber ich
glaube, er wollte sich selbst opfern. Seine überflüssigen und zum
Teil sogar befehlswidrigen Flugeinsätze erscheinen mir heute als
der Beginn.
Daß Reinhard uns, die Familie, sehr geliebt hat, bekundete er noch
einmal in seinem Abschiedsbrief, der mir nach seinem Tod ausge¬
händigt wurde. Seine letzten Worte am Morgen des 4. Juni 1942,
nachdem er aus einer langen Bewußtlosigkeit noch einmal erwacht
war: „Ach, Du bist hier, wie schön. Komm doch am Nachmittag
wieder. Nicht wahr, Du kommst doch wieder!** Als Hi mm ler ihn
am 2. Juni besuchte, soll er ihn mit großer Gelassenheit, ja sogar
mit ein wenig Heiterkeit, empfangen haben. Was die baden Män¬
ner miteinander gesprochen haben, weiß niemand. Von H im mler
weiß ich nur, daß Reinhard ihm aus der von seinem Vater verfa߬
ten Oper „das LeSerkind" diesen Vers deklamiert hat: „Ja, die Welt
ist nur ein Leierkasten, den unser Herrgott selber dreht, und jeder
muß nach dem Liede tanzen, das grad* auf der Walze steht."
... nach dem Liede tanzen, das grad’ auf der Walze steht... Ich
hab’s auch tun müssen. Nur meine 'Walze drehte sich immer wie¬
der, während Reinhards „Lied" sich ständig wiederholt hatte. Nach
dem Abschied von meinem Mann im Krankenhaus bin ich nach
Breschan zu rückgefahren und in den Garten des Schlosses gegarn** 1
gen. Die Familie war zum Begräbnis angereist, die Schwiegermut¬
ter, die Schwäger und Schwägerinnen, mein alter Vater und mein
119
Bruder, der als Soldat an der Front in Rußland eine Sondererlaub¬
nis von seinem Regimentskommandeur benötigte, der erst auf diese
Weise erfuhr, daß der Funker Hans von Osten Reinhard Heydridis
Schwager war.
Den Staatsakt in Berlin haben mir, wie ich bereits am Beginn des
Buches sagte, spater nicht nur meine Verwandten geschildert. Ich
war nicht dabei. Ein Staatsbegräbnis ohne Beispiel war das Ende
für meinen Mann, dessen Leichnam ein Extrazug von Prag nach
Berlin brachte. Daß die Züge, die ihm auf den anderen Gleisen
entgegenkamen, halten und auf diese Art dem Toten die letzte
Ehre erweisen mußten, war für mich und die Meinen kein Trost,,
Nachdem Reinhards Schwester mich nach der Beisetzung Reinhards
offen gefragt hatte, wie das Leben ihrer alten Mutter denn nun ge-
sichert werden solle, da Reinhards Zuwendungen nach Lage der
Dinge nicht mehr kommen könnten, wußte ich, daß ich von jetzt
ab nicht nur für mich und meine Kinder würde aufkommen müs¬
sen. Doch mehr noch bedrückte mich die Tatsache, daß ausgerech¬
net Tschechen Reinhard auf eine so!die Weise aus dem Wege ge¬
räumt hatten. Ich begriff das nicht.
Für uns kam das Attentat auf Reinhard total Überraschend. Den
Dienststellen in Prag — und nicht nur ihnen — war bekannt, daß
über Wäldern und in einsam gelegenen Gebieten aus englischen
Flugzeugen besonders ausgebildete Emigranten aus dem ehemaligen
tsehediischen Heer abgesetzt wurden. Daß von uns nach ihnen ge¬
fahndet wurde, war ebenso bekannt. Die Ermordung meines Man¬
nes aber hielt man für gänzlich ausgeschlossen. Wem konnte seine
gewaltsame Beseitigung nützen? Die Gefahren, die der Bevölke¬
rung des besetzten Gebietes damit drohen mußten, lagen auf der
Hand — glaubten wir. Die Ermordung des Repräsentanten des
deutschen Reiches mußte als glatter Selbstmord des Land« ange¬
sehen werden. Daher hatten wir auch nur eine deutsche Wache in
Breschan, eine Art Paradewache. Wirklich bewacht hat uns die
tsdiedhische Gendarmerie, die die Umgebung des Schlosses kon¬
trollierte. Reinhard verzichtete sowohl auf ein Begleitkommando
als auch auf Sdiutzkommando im eigenen Wagen. Er glaubte an
Heydridis Auto nadh dem Attentat.
.
■' •
V erhandlung vor dem Militär-Tribunal in Prag im September 1942 .
sein Glück und daran» daß niemand versuchen werde, ihn zu töten.
Die Erwägungen der Führung des Reiches gingen weiter. Sie war
überzeugt, daß die Westmächte kein Interesse daran haben könn¬
ten, einem Anschluß der Tschechei „an den Osten“ in die Hände
zu arbeiten. Die Anwesenheit eines starken Exponenten des Rei-
wurde von
dieses Land wird niemals dem Osten ausgeliefert. Man
sich auf der westlichen Feindeslinie doch sagen: Siegen die
er sie von
schone, wurde
wir es jedenfal
ermordet. So
denn: er ist
einen
isen-
121
hoff er war im ganzen Lande dafür bekannt, daß er es stets weder
„mit dem einen noch mit dem anderen“ verderben wollte. Ich habe
ihn kennengelernt, und ich habe auch seine Art irgendwie begrif¬
fen, die Weltgeschichte zu betrachten. Es war eine Weltauffassung,
von der man sagen konnte, daß „zwei mal zwei nicht imm er vier
sein muß . Mein Freund Robert Bauer Bloch-Bently aus Kanada,
der nadi 1945 mit meiner Unterstützung versucht hatte, Jungfern-
Breschan wieder zurückzubekommen, schickte mir eines Tages alte
Fotos, auf denen der Baron Ringhoffer in Brcschan mit ihm zu¬
sammen auf Jagd zu sehen war. Ich sandte ihm Fotos, auf denen
der Herr Baron mit mir in Bresehan zusammen auf Jagd war. Er,
der Herr Baron, hat wohl immer 'Wasser auf beiden Schultern ge¬
tragen. Wenn man nicht Politiker ist, sondern eine Tasdie voller
Werke und Industrien im Gepäck hat, muß man diese An, sich zu
behaupten, vielleicht erst verstehen lernen. Ich konnte mich damit
irgendwie „anfreunden“. Reinhard hätte das niemals vermocht.
Wenige Tage bevor ich Bresehan verließ, bat der Baron midi zu
sich. Er, dessen 60. Geburtstag wir einige Zeit zuvor gemeinsam
gefeiert hatten, versuchte, mir die politische Lage zu erklären. Da¬
bei erzählte er, wie gut seine Beziehungen zu der Londoner Exil¬
regierung seien und empfahl mir, sämtliche Wertsachen, mich und
meine Kinder in seine Obhut zu begeben. „Ihnen wird nichts ge¬
schehen , beteuerte er überzeugend, „das kann ich Ihnen versichern.
Ich gebe Ihnen mein Wort. Kommen Sie zu mir. Bleiben Sie hier!“
Ringhoffer war kein Frauenheld. Er bevorzugte Knaben, insbeson¬
dere seinen Sekretär. ^Venn er mir also ein solches Angebot unter¬
breitete, konnte ich es von daher als ein echtes, sauberes Anerbieten
verstehen. Doch ich erkannte, daß er sich durch seine Londoner
Verbindungen ein getrübtes Bild von der politischen Wirklichkeit
hatte suggerieren lassen, und so habe ich mich auf meine langjäh¬
rige Erfahrung gestützt und sein Angebot abgelehnt. Dennoch be¬
sorgte er mir einen Lastwagenanhänger, den wir augenblicklich zu
einem transportablen Wohnwagen umbauten. Mit diesem Vehikel
habe ich in einer halbjährigen Flucht schließlich wieder meine Hei¬
mat Fehmarn erreicht. Der Baron Hans von Ringhoffer aber, der
122
über „so gute Beziehungen“ zu „den Londonem“ verfügte, ging
nach 1945 in einem tschechischen Konzentrationslager elendiglich
zugrunde. Erfahren habe ich es von Prof. Dr. Hohlbaum von der
„Charite“ der Prager Universität. Wie viele andere Deutsche wäh¬
rend des Umsturzes an ihren Arbeitsplätzen kurzerhand verhaftet
wurden, so war auch er von seinem Arbeitsplatz, dem Operations¬
saal der Klinik, abgeholt und hinter Gitter gesteckt worden. Ring-
hoffer „saß“ im Gefängnis neben ihm. Hohlbaum wurde von einer
Handgranate eines Wachtpostens an einem Bein so schwer verletzt,
daß es amputiert werden mußte. Erst dadurch erfuhren die Sieger,
wer er war. Sie transportierten ihn nach Leipzig, wo er im Dezem¬
ber 1945 starb.
Zu Beginn des Herbstes 1942 fahre ich mit meinen Kindern nach
Stolpshof. In der Stille des Jagdhauses, unter der mütterlichen Ob¬
hut Miekens, der Frau unseres Hegers, lebt es sich leichter. Von
hier aus reguliere ich unsere Verhältnisse. Ich beschließe, das Haus
in Schlachtensee zu verkaufen, um die lästigen Schulden loszuwer¬
den. Und was wird aus Stolpshof? Ich biete es schließlich dem
Nachfolger Reinhards, Dr. Emst Kaltenbrunner, an. Er übernimmt
es, so wie es steht. Von unserem Eigentum n ehm e ich nichts. Nur
bitte ich mir freie Büchse für die Jagd aus. Als wir Anfang De¬
zember die Nachricht erhalten, daß die Heizung in Breschan ein¬
gebaut sei und unserer Wiederkehr nichts mehr im Wege stünde,
packte ich unsere Habe und siedelte endgültig nach Böhmen über.
Am 7. Dezember 1942 zogen wir „für immer“, so hoffte ich, wie¬
der in Schloß Breschan ein. Als wir dort eintrafen, tummelten sich
im Schloß und davor zahlreiche Männer in Sträflingskleidung. Was
war passiert? Um die Arbeiten ausführen zu können, hatte man
ein Kommando Juden aus Theresienstadt nach Breschan geholt. Sie
waren im Pferdestall untergebracht, der weiß gekachelt, sehr ge¬
räumig und auch mit fließendem Wasser versehen war. Die Ar¬
beiten waren noch lange nicht abgeschlossen. Lediglich im Schloß
fand ich alles wunschgemäß installiert. Anfangs habe ich mir keine
besonderen Gedanken gemacht. Erst als das Jahr ver gin g und die
Leute immer noch da waren, befaßte ich mich mit ihrem „Dasein“.
123
Eines Morgens sah ich, wie einer dieser Arbeiter mit einer Peitsche
geprügelt wurde. Ich habe es vom Fenster aus beobachtet — und
laufe sofort hinaus. Der Posten, der mit geschultertem Gewehr ein
wenig abseits herumsteht, wundert sich offenbar, daß ich ihn er¬
regt frage, wieso er das zulasse. Er antwortet mir in größter
Ruhe: „Das geht midi gar nichts an. Ich soll nur aufpassen, daß
die nicht weglaufen. Was sie untereinander tun, kümmert mich
niÄt.“ Ich trage ihm auf, seinem Vorgesetzten unmittelbar auszu¬
richten, daß ich ihn sprechen möchte. Wenige Tage danach macht
mir der SS-ObersturmbannFührer Peter, der Kommandeur des zu¬
ständigen Wachkomrnändos, seine Aufwartung. Es ist ein Mann im
sogenannten besten Mannesalter — und Vater von zwei Kindern.
Idi bitte ihn, mir einmal die Zusammenhänge zu erklären. Ich fän¬
de es unglaublich, daß Menschen so geprügelt würden, und dac
sage idi ihm auch. Seine Antwort „erschließt“ mir eine Welt, von
der ich bislang nichts gewußt habe. Er beschreibt Theresienstadt
und das, was dort geschieht. Mir versdilägt es den Atem. Ich will
wissen, wer hier, in meinem Verantwortungsbereich, einen Gefan¬
genen so geprügelt hat, und ich frage: „Bitte, Herr Peter, wer war
der Mann, der den jüdischen Arbeiter so furchtbar geschlagen hat?“
Ich erfahre, daß jeweils mit dem Bürgermeister Arbeits-Einsatz¬
kommandos vereinbart werden. „Da werden Gruppen zusammen¬
gestellt, die außerhalb der Stadt arbeiten“, sagt der SS-Obersturm-
bannführer und fährt fort: „Wir übernehmen die Beköstigung, die
übrigens der Versorgung der Wachleute gleichgestellt ist. Die Ent¬
lohnung wird über den Bürgermeister geordnet. Die Verpflegung
außerhalb des Ghettos ist etwas besser, und deshalb dringen die
Leute sich nadi solchen Arbeitskommandos.“ Was ich wissen woll¬
te, wußte ich immer noch nicht. Der Mann wich aus, was midi
bewog, besonders hartnäckig weiterzufragen. Und dann erfuhr
idi s. Der Aufseher, der den Juden mit einer Peitsche wie einen
Sklaven in der Antike geprügelt hatte, war ein sogenannter „Kapo“
gewesen, ein bevorzugter Häftling, der sich Vorteile aus solchen
Behandlungsmethoden gegenüber seinen Mithäftlingee versprach,
„So also ist das System auf gebaut“, begriff ich. Reinhard hatte
124
niemals auch nur ein Wort mit mir darüber gesprochen, und hätte
er es, hätte ich opponiert. Er aber wußte das und hätte midi mit
dem Hinweis darauf in meine Schranken gewiesen, daß er keine
Einmischung in dienstliche Bereiche dulde. Ich bat den SS-Führer,
diesen Arbeitseinsatz zu beenden. Die Folge aber war, daß noch
mehr Menschen eingesetzt wurden und das Gedränge noch mehr
zunahm. Zu allem Unglück wurde in diesen Tagen ein Mann von
einem niederfallenden Baum so schwer im Gesicht verletzt, daß
ein Auge heraustrat. Ich beauftragte die Lehrerin der Kinder, tele¬
fonisch einen Arzt zu rufen und den Verletzten in ein jüdisches
Krankenhaus nach Prag schaffen zu lassen. Zu meiner größten
Verwunderung meldete sich jedoch ein Mann aus dem Arbeitskom¬
mando mit der Erklärung, daß er Arzt sei, und daß es nicht not¬
wendig wäre, den Verletzten wegzubringen. Ich sagte: „Na schön,
behandeln Sie ihn; aber wie wollen Sie ihn ohne Medikamente
w dLiiroiu iui imui anmamicn in mein neu« uasein einarbeite und
einfüge, schlägt das Schicksal wieder unvermutet grausam zu. Es ist
an einem Oktohersonntag. Wir, meine Kinder, und ich, erwarten
„Onkel" Hildebrand, der sich zum Tee angesagt hat. Klaus, mein
ältester Sohn, will ihm entgegenradein. Er nimmt sein Fahrrad,
fährt aus dem Tor und wird von einem Lastwagen erfaßt. Eine
halbe Stunde später ist er tot. Herr Hitler läßt mir eine maschi-
»Leuen, yjcuciuk nac er aucn einen
Ich weiß es nicht mehr so genau. Meinen Sohn
beisetzen. Zu Allerseelen habe ich
meine
antreten. Der Aufseher
der G reif swal der Unii
a
krank — und damit
habe ich in meinem
vor einer
war er magen¬
in". Noch nie zuvor
angetretener Minner
I
um sie gebeten habe noch sie vernünftig verwenden könne. Vier
Ackergäule habe ich gewollt, 4 PS, nicht 15 Männer, die kaum
mehr als 1 PS an Kraft verkörperten. Dann trat der „Kapo“ vor
mich hin und „meldete“ mir, er werde mir helfen. Wir einigten
uns, jeder still für sich: „Ich tu’ Dir nichts, Du tust mir nichts.“
Die 15 Mann, ein Pole, ein Tscheche, drei Holländer und zehn
Deutsche, sind Zeugen Jehovas. Sie beziehen erst einmal die alten
Unterkünfte der Juden von Theresienstadt im Pferdestall. Später
werden sie — auf eigenen Wunsch — in Maslowitz untergebracht.
Obwohl es sich um eine in der Tat sonderbare Zusammensetzung
handelte, hat sich zwischen mir und den Zeugen Jehovas damals
ijTi
fangenen verbunden, sich künftig jeder „Propaganda“ für ihren
Glauben zu enthalten — und dies auch auf einer vorgefertigten
Erklärung zu unterschreiben. „Unsere Lehre“, so haben die Leute
ntir gegenüber immer beteuert, „besteht darin* für Christus zu zeu¬
gen, für Jehova“. „Es ist uns nicht möglich, zu unterschreiben“,
war ihre Reaktion. Ich habe lange Zeit darüber nachgedacht
und dann gesagt: „Wie wäre es, wenn Ihr freikommt — ohne
unterschreiben zu müssen.“ Alle waren begeistert, und so schrieb
idi an Himmler und bat ihn um die Freilassung meiner Häftlinge,
die auch als freie Menschen bei mir bleiben wollten. Himmler
stimmte meinem Vorschlag zu. Er sah ein, daß Zeugen Jehovas,
Kriegsdienstverweigerer, in einem besetzten Gebiet die besten Ga¬
ranten für ein -friedliches Leben seien. Ihre Zivilkleider kamen,
ebenso ihre Ehefrauen. Müller, unser Kapo, schaffte sich einen
Hund an und spazierte von nun an als Grandseigneur über die
Felder.
Mitte Januar 1945 ereilt uns ein Problem, das wir nur zusammen
meistern können. In Schlesien ist den Russen ein Durchbruch ge¬
lungen. Die Menschen haben fluchtartig ihre Anwesen verlassen.
Trecks ziehen über das Glazer Bergland quer durch Böhmen und
erreichen eines Sonntags auch unsere Gegend. Vor Cosomin, einem
ehemaligen Vorwerk von Brcschan, halten sie. Der Verwalter
kommt voller Entsetzen zu mir und erzählt, was seinem Hof „wi¬
derfahren“ sei. Ich fahre nadi dort und finde rund 200 Menschen
vor, von einer wochenlangen Flucht vollkommen entkräftet. Zu¬
nächst wird der Bürgermeister, der sich vor lauter Schreck im Bett
verkrochen hat, aus den Federn geholt. Die Schule und die Gast¬
wirtschaft werden mit Stroh ausgelegt und als „Auffanglager“
vorbereitet. Von Bresdian lasse ich holen, was vorrätig ist. Die
Pferde der Schlesier haben die Rotze, ihre Hälse sind angeschwol-
len. Ich bestimme, die besonders befallenen Tiere zu schlachten —
und ordne vorerst Ruhe an. Diese Mensdaen brauchen medizinische
Hilfe. Ihre Füße sind wundgelaufen. Die Frauen leiden an Men¬
struationsschwierigkeiten. Ich bitte das Rote Kreuz um Hilfe, doch
seine Angestellten drehen total durch. Sie erklären, daß ich nicht
128
Finanzen (zumindest auf dem Papier) zu regeln, Frau Brutus, eine
andere der mir bekannten Frauen, muß die Verpflegung verant¬
worten, Die Schisterova, unsere Mamsell, dreht unverdrossen da,$
Fleisch der geschlachteten Pferde durch den Fleischwolf. Ich spiele,
eine Rote-Kreuz-Binde um den Arm gebunden, die „Frau Doktor**.
Hier wird nicht mehr gefragt, welcher Nation die Einzelnen an-
Apnl 1945 ist
Gott sei Dank.
versorgt nat. dis zu unserer riucnt Mitte
so weitergegangen. Die Behörde hat sich,
tet. Sie hat uns immer nur für „nicht
msthaft Kranken habe ich erst zu meinen
engen Jehovas, stecken wollen, doch ich
icht reagierten. Es waren nicht Leute von
reits zu Hause angi
meiner Eltern. Ein
die Ärztin, die Sie;
sagte: „I
Was mir nicht so recht hatte behagen wollen, empfand ich bis An¬
fang 1945 dann schließlich doch als nützlich: Himmlers Vormund¬
schaft für meine Kinder. Diese Tatsache strahlte irgendwie auch
auf mich aus, zumal Himmler sein „Amt“ bitterernst nahm, leider
nicht immer positiv. Jedenfalls konnte ich mir, wenn es nötig war,
Respekt dadurch verschaffen, daß ich darauf hinwies: der Reichs¬
führer SS ist — Bislang hatte Reinhard mich immer an der langen
Leine geführt, mir soviel Bewegungsfreiheit gelassen, wie ich
brauchte. Das wurde nun anders. Himmler glaubte, mich führen
zu müssen und war entsetzt, als ich, ganz wie ehedem, das tat.
lieh unentbehrlich — und hatte so etwas wie eine Schlüsselstellung
im Vorfeld Himmlers, zumal ihm auch Intrigen nicht gerade fremd
waren.
Trotz Himmler und Wolff bekamen wir, die Heydrichs ohne Mann
und Vater, gelegentlich überflüssige Schwierigkeiten. Einer, der sie
uns machte, war der SS-Obergruppenführer Kurt Daluege. Er, der
unmittelbar nach Reinhards Tod mit Troß und Trauermiene er¬
schienen war, aus eigener Machtvollkommenheit Reinhards Amts¬
geschäfte, von denen er gar nichts verstand, übernommen und so¬
gar Reinhards Privaträume mit Tisch und Bett mit Beschlag belegt
hatte, meinte, mich um seiner eigenen Karriere willen bei Himmler
in Mißkredit bringen zu müssen. Daluege, ein Mann der Ordnungs¬
polizei, war ein vollständiger Neuling auf dem Gebiet der Poli¬
tik. Er war treu, gehorsam — und lebte genau nach Vorschrift.
Mit seiner ganzen Kraft bemühte er sich, als augenbliddicher Nach¬
folger Reinhard® in Böhmen eine gute Figur zu machen. ..Trauer
ui
L
natürlich auch tangiert hatte, meinte ich, ich konnte da wenigstens
nachträglich wieder etwas einrenken. Und so war ich nach Däne¬
mark gefahren. Und da war auch noch eine Einladung des Grafen
Schimmelmann von Lindenborg an midi ergangen. Seine Schwester,
Frau von Nolte, war eine meiner Freundinnen. Der Graf wollte
seinen erstgeborenen Sohn taufen und lud midi dazu ein. Eingela¬
den wurde ich auch vom ehemaligen Adjutanten Reinhards— nach
Norwegen, als er hörte, daß ich gerade in Dänemark sei.
In dieser Zeit ging die Nachricht um die Welt, daß Mussolini ge¬
fangengenommen worden sei. Ich wurde unruhig und fuhr nach
Breschan zurück zu meinen Pflichten — und zu meinen Kindern.
Kaum war ich jedoch da, als ich einen Brief von Himmler erhielt,
der -mir vorwarf, als „politisierende Witwe“ herumzureisen. Idh
solle, so riet er mir mit erhobenem Zeigefinger, daheim bleiben und
Bäuerin und Mutter sein. Das also war’s. Die „politisierende Wit¬
we“ paßte midit ins Bild. Daß ich gern auch noch einmal nach
Frankreich gefahren wäre und anderswohin, braucht nicht bezwei¬
felt zu werden.
So, wie Daluege Himmler die Reisen „der politisierenden Witwe"
gedeutet hat, sind sie nicht gewesen, und hätte ich gewußt, daß
Himmler zuvor gern gefragt worden wäre, hätte ich dies natürlich
getan. Gewiß hätte er gegen meine Reisen nichts einzuwenden ge¬
habt. So schwer ich über Himmlers Brief gekränkt war, so wenig
hat er Himmler gerührt; denn im Frühjahr 1944 ließ er mir über
Wolff schreiben, ich möge mich doch einige Wochen in Meran er¬
holen. Obwohl ich zunächst nicht so recht wußte, was ich dort
sollte, ging ich auf das Angebot ein. Ich erreichte, daß ich nicht
allein zu fahren brauchte, sondern eine Freundin und meinen Sohn
Hei der mitnehmen durfte.
Wenn ich an diese Meran-Fahrt denke, bin ich immer noch ver¬
sucht, darin etwas mehr als einen Urlaub zu sehen, Meran war in
dieser Kriegszeit völlig „leer“, und unser Aufenthalt im „Park¬
hotel“ sozusagen so etwas wie ein Lückenbüßer für nicht mehr vor¬
handene Hotelgäste. Heider, aus dem Schulunterricht in Breschan
gerissen, konnte in Meran die Schule weiter besuchen. Wir, meine
132
Freundin und ich, aalten uns zunächst in den barocken Räumen, die
weder zu uns noch zu unserer Stimmung paßten. Doch bald woll¬
ten wir da raus, konnten uns jedoch zu nichts entschließen .., Ein
kriegsbeschädigter Offizier, der sich hier erholte, „klammerte" sich
an uns und versuchte uns einige Abwechslung zu bieten, aber eben
nur einige. Wir wollten weg von da, und wir wollten ihn loswer¬
den, Inzwischen hatte der SS-Arzt Prof. Br. Gebhardt, der unten
im Dorf wohnte, uns erzählt, daß eben auch der Reichsminister
Albert Speer in Meran angekommen sei, und daß er sowohl ihn
als auch uns betreuen solle. Wir bemühten uns um Kontakte und
wurden den lästigen Offizier so los. Die Familie Speer empfing uns
mit aller Herzlichkeit, und bald kam uns der Aufenthalt in „Park¬
hotel“ gar nicht mehr so langweilig vor.
Daß unser Etagenkellner eines Tages mit einer Languste erschien,
die von Albert Speer stammte, sehe ich auch heute noch als Be¬
weis dafür an, daß unsere Gesellschaft ihm lieb gewesen sein muß.
Oder hat das Krustentier womöglich etwas ganz anderes bedeuten
sollen? Hineinsehen, zumal seit 1945, ließe sich das schon. Jeden¬
falls: als wir uns In Meran verabschiedeten, nahm ich ein Verspre¬
chen nach Breschan mit: Speer hatte versichert, mich besuchen zu
wollen. Nicht eine Minute habe ich daran geglaubt. Man verspricht
in Urlaubslaune so viel. Und doch, er ist gekommen.
Es ist Anfang Juli 1944, die Bodejagd hat längst begonnen, als
plötzlich ein roter Sportwagen vor dem Portal des Schlosses hält.
Der Herr Reichsminister Speer steigt aus. Völlig entwöhnt, Reichs¬
minister vor sich zu haben, bitte ich Speer ins Haus. Er eröffnet
mir ohne Zeitvergeudung, daß er nach Mähren wollte, um mit dem
Linzer Gauleiter Eigruber zu sprechen, mit dem er verabredet sei.
Von meinem Mann auf schnelle Entschlüsse dressiert, sage ich „ja* 1 ,
als er mich fragt, ob ich denn nicht mitfahren wolle. Ich lasse rasch
einen kleinen Koffer packen ... und schon sitze ich in Speers Wa¬
gen. Zuerst fahren wir an die Beran und machen auf der Karls¬
burg, dem Aufenthaltsort der RttAskldnodien, Station und „Vi¬
site“. Es wird spät — und eine unvergeßliche Fahrt gen Süden. Als
sich vor uns zuletzt dann das Tor des Herrensitzes der Schwarzen-
133
herger auftut, sehen wir, daß man lange auf uns gewartet hat. Die
Fahrt hatte mein Erinnerungsvermögen so überlastet, daß ich schon
da nichts mehr von dem auffaßte, was geredet wurde. Ich habe
nur behalten, daß es einen Wein aus dem Jahr 1911 gab, aus mei¬
nem Geburtsjahr. Das war — Speer. Für den nächsten Tag war
eine Bockjagd angesagt: allerdings ohne Büchsen. Speer jagte nicht.
Mir wurde zwar eine Büchse an geboten; aber ich sollte damit nur
auf den Probestand gehen.
Das war am 2. Juli 1944 gewesen, an dem Tag, an dem ich im
Frossenberger Revier Kreutinug doch noch einen Bock schießen
konnte. Danach bin ich zusammen mit Frau Speer nach Breschan
gefahren. Ich wollte auch ihr gern zeigen, was ich im Laufe der
Zeit geschaffen hatte. Den Krieg und dessen Folgen haben die
seinerzeitigen Ergebnisse und Erlebnisse indes nicht überdauert.
Der Mai 1945 erwies sich als eine entscheidende Zäsur auch für
persönliche Beziehungen.
Im Dezember 1944 nahm mein Schwager Heinz Heydrich, der
Bruder meines Mannes, sidi in Ostpreußen das Leben, Er war als
Panzer-Leutnant und Journalist mit dem Pressezug „Panzerfaust"
im Dienste der nationalsozialistischen Propaganda unterwegs ge¬
wesen und hatte viel Gelegenheit gehabt, die Diskrepanz zwischen
Schein und Wirklichkeit festzustellen. Er verfügte nicht über das
„Kostüm", das nötig gewesen wäre, ohne psychische Schäden da¬
vonzukommen. Schon die Tatsache hatte er nicht fassen können,
daß sein Vorgesetzter Wehrmaditseigentuin (in einigen Fällen
Kameras) an Vorgesetzte Dienststellen auslieh und es nicht wieder
zurückbekam. Dafür, und für Maßregelungen politisch unliebsamer
Kameraden, fühlte er sich persönlich mitverantwortlich. Er glaubte
Kumpanei und Korruption zu sehen und fand keinen Ausweg. Für
ihn, den Bruder Reinhard Heydrichs, war dies ein Grund, sich die
Pistole an die Schläfe zu setzen und abzudrüdken. Auf seinem
Schreibtisch lag ein langer Brief, der offenbar an uns gerichtet war.
Immer nur las ich: Meine Ehre heißt Treue.., meine Ehre heißt
Treue... meine Ehre heißt Treue. Seine Frau und fünf Kinder
blieben in der Nähe Posens zurück, wohin sie behördlich evaku-
134
meine
gerin zu uns nadi Bresdian zu holen. Sie aber wollte unabhäi
sän und blieb bis Januar 1945, wo sie war. Erst dann floh sie
Anfang 1945, nachdem meine Schwägerin endlich aus Posen ge
flohen war, hatte ich einen Brief an Himmler geschrieben. Ich woll
te von ihm, dem Vormund meiner Kinder, unmißverständlidi
wissen, was uns erwarte. Eine Antwort bekam ich nicht. Kein
Wunder; denn was ich mir da abgenmgen hatte, war zuviel —
auch für mich. Ich hatte geschrieben:
„Ich habe gehört, im Führerhauptquartier herrscht Ostgotenunter
gangsstimmung. Es sollen alle Führer Giftampullen mit Zyankali
erhalten haben. Sie wollen sich durch den Tod allem
Id
strei-
chelt Heider über den Scheitel und sagt nur: „Ach ja, Heider!"
Das ist für midi die Stunde der totalen Kapitulation gewesen. Ich
wollte nichts mehr wissen. Das genügte mir. Ich wußte nun, daß
wir ganz allein mit allem fertig werden müßten. Mit einer Ent¬
schuldigung bin ich zu Frau Schilling, die bei uns als Lehrerin tätig
war, hinausgegangen und habe sic beauftragt, alle Hauseinwohner
zusammenzurufen und sie sich vor dem Hauseingang einfinden
zu lassen. Himmler wolle sie alle begrüßen. Ins Zimmer zurück¬
gekehrt, höre ich gerade noch die väterlich klingenden Wort Himm¬
lers: „Nicht wahr, Heider, Du mußt Deiner Mutter immer gut
beistehen." Das kannte ich nun ja schon. Ich bat Himmler, der
bereits zum Aufbruch rüstete, die inzwischen vor dem Portal war¬
tenden Mitbewohner des Hauses zu begrüßen. Die Leute sind so
froh, ihn zu sehen und drücken das auch in Worten aus. Sicherlich
glauben sie, daß er „schon helfen“ werde, wenn das nötig sein
sollte. Dann fährt Himmlers Kolonne ab. Bevor die Frauen aus¬
einandergehen, sage ich: „Diesen Mann haben wir in unserem Le¬
ben zum letzten Mal gesehen." Dann gehe ich ins Haus zurück.
Zurück bleiben vor dem Eingang die Frauen: in sdirecklidier Er¬
regung, in einer Gemütsverfassung, die zwischen Ungläubigkeit
und Furcht pendelt. Ein Teil will den Ernst der Lage einfach nicht
begreifen. Ich muß midi erst wieder fangen.
Mit Himmler war auch meine letzte Hoffnung dahingefahren.
Meine Gedanken drehten sich nun nur noch um den Böhmerwald,
um die Pilze — und das Heu , . . Da hält die dortige Bauernschaft
in unserer Umgebung eine Versammlung ab, zu der idi eingeladen
bin. Ich gehe hin. Versammelt sind die Vertreter der schlesischen
Trecks und die Bauern, die immer schon als Deutsche in dieser Ge¬
gend gewohnt haben, aber auch Bessarabier, Wolga-Deutsche, Bu-
köwiner, Balten und andere Ausländsdeutsche. Neben mir sitzt ein
Mann namens Lucht aus Großdorf. Seit drei Jahren wohnt er hier.
Sein Sohn ist gefallen. Und als uns erzählt wird, daß ja eigentlich
alles gar nicht so schlimm sei und daß wir nur den Mut nicht
sinken lassen sollten, überfällt mich ein furchtbarer Zorn. „War¬
um", denke ich, „sagt man diesen Menschen nicht, was wirklich
136
erwac “g äur:
i ;' r i r roi * r.r r?r ; Fftdlrjch.-
kr.- • d?T ihrcntn re du re
1. F-CK-'-nj^renführer yj&d i
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Belfcer^i 1 ~e Mn**reintad«r:
in «•: 'Hin
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Farne di-r Lei '•■'stsn&srt#- 1 I
1 Kcf-ar.i« Feer- 1 Abteilung:
r t' *•»'€- 1 K^srani« DrdauarsB
Die A\af.*t«*l 1 j,ir der Tei’nthi
beendet
Eintreffen des otaatsiurtaid«
los Ist. Warum wiegt man sie in Träumen, die gar nicht verwirk¬
licht werden können?“; aber ich sage es — noch nicht. Erst als
mein Nachbar midi anstößt und naiv murmelt, „bin ich froh, wir
braudien doch keine Angst zu haben“, ist’s geschehen. Ich sage dem
Herrn da oben am Rednerpult schließlich meine Meinung. Doch es
geschieht nur unter vier Augen. Nach der Rede wird beschlossen,
engen Kontakt zu halten. Solle es „wider Erwarten“ doch dazu
kommen, daß wir das Land verlassen müßten, sollten Trecks zu¬
sammengestellt werden. Auch ich werde eingeteilt. Doch ich stehe
auf und sage nur, daß ich midi weigere. Ein Treck unter den ge¬
gebenen Bedingungen bedeute für jeden den sicheren Tod. Dann
Böses angetan hatten und daher audi niemanden zu fürchten ;
ten. Mein Einwand, daß es jetzt genüge, „Deutsche zu sein" si
auf taube Ohren. Erst Prof. Hohlbaum gelingt es, den Frauen
Lage so zu erklären, wie sie wirklich ist.
In Prag befinden sich zu der Zeit sehr viele deutsche Frauen,
Witwen oder Ehepartner von Soldaten sind. Um sie kümmert
niemand. Unsere Erfahrungen mit Flucht-Trecks haben uns vi
gelehrt. Wir haben gelernt, Notwendig« von Unwichtigem zu
terseheiden. Ich erteile
rauen
d
13
bei-
nter-
ir ge-
i und
es „zeigen wollen, zienc Kurzernana m mren nunnerstau una er¬
klärt ihn souverän zu ihrer „Residenz“. Ich beziehe mit meinem
Wohnwagen Standquartier auf dem Hühnerhof, auf dem e
lazarett installiert worden ist — und gerate damit unter
’lil t?»'«
4 i
t
M*.
denfriedhof in Berlin beerdigt worden ist, lebe plötzlich wieder
und wird für Dinge verantwortlich gemacht, über die ich erstmals
etwas Genaueres höre. Daß wir, meine Kinder und ich, nun auch
noch als Stellvertreter zur Rechenschaft gezogen werden, nehme
ich als Zeichen der Neuen Zeit.
Aus dem Mann, über den Adolf Hitler am Grabe sagte: „Ich habe
diesem Toten nur wenige Worte zu widmen. Er war einer der
besten Nationalsozialisten, einer der stärksten Verteidiger des
deutschen Reichsgedankens, einer der größten Gegner aller Feinde
dieses Reiches. Er ist als Blutzeuge gefallen für die Erhaltung und
Sicherung des Reiches“, ist geradezu im Handumdrehen ein Ver¬
brecher geworden. Das Wort „Kriegsverbrecher“, Reinhard hat es
seit dem Spätsommer 1941 im Rahmen unserer Gespräche über die
Konferenzen der Alliierten gebraucht, verfolgt mich seither, wo
Mwjl ilBiiB i™
Wenn die Einordnung „ranggemäß" erfolgt, kann für midi nur
nodi ein Klosett als Domizil hcrauskommen. Das, was ich bis da¬
hin als „Glück“ für midi bezeichnet habe, hilft mir auch jetzt wei¬
ter. Frau Sigurd Peiper, eine geborene Hinrichsen, eine Schulkame¬
radin aus meiner Kieler Zeit — und auch einmal befreundet mit
meinem Mann — trifft in einem Fleischerladen zwei deutsche Sol-
daten, die ein unve:
rlalschtes „Kieler Deutsch“ sprechen. Sie sind
in Österreich entlass
en worden und wollen — wie ieder — heim-
wärts. Sie bittet die Mänr
men zu mir und sagen: „F
Ihnen, bis Sie sich an uns
r
— m •***.* m. •»***- WTmm. '%***%■*' U>*-JL%V 'KUIUA T WII
vertrauen." Dann e
tablieren sie sich im Lazarett, das täglich Ge-
ich dann meine, diese Leute hinreichend zu
kennen, vertraue id
die spekulativste Loi
ihnen — und das betrachte ich bis heute als
Eterie meines Lebens — zwei Kinder und meine
„Habe" an, die ich i
■eiten konnte. Sie wollen, so versichern sie mir,
die Kinder und die
„Habe" nach Fehmarn bringen. Und auch ein
Hitlerjugend-Führer
a, sich in meine Dienste zu stellen. Ich nehme
sie an. Er hat nur
noch rin Bein. Das andere blieb auf einem
darin Geld und Zig
arren, die jetzt wichtiger als das Papier sind.
nennen.
Mein „Lotterie-Spie
bis nach Lübeck gebracht. Dort mußten sie
ihn (infolge des zu
transports zur Insel
Fehmarn) zwangsläufig stehenlassen. Die Sol-
1 gegangen. Drescher jedoch, der Hitlerjugend-
Kindern nach Fehmarn zu meinen Eltern ge-
Langt. Meine dreijäh
141
Egern behalten. Die Lehrerin und deren Tochter sind mit einem
Lastwagen davongefahren.
Sie durften es, obwohl die Lehrerin Heydrichs Kinder unterrichtet
hatte. Wir, Marte und ich, richten uns derweil in den leer gewor¬
denen Zimmern des Lazaretts eine Behausung ein. Eines Tages
kreuzt ein junges Mädchen auf, das der Zinsendorf sehen Brüder¬
gemeinschaft angehört. Es sucht in Rottaeh-Egem nach ihrem ehe¬
maligen Regimentskommandeur, der ihr nach Ablauf ihrer Kriegs¬
verpflichtung als Wehrmachtshelferin eine feste Anstellung für die
Zeit nach dem Kriege versprochen hat. Die junge Dame hat Pech;
denn der Herr Kommandeur ist ausgerechnet einen Tag zuvor fest¬
gesetzt worden — wie auch alle diejienigen, die in ihrer Berufs¬
bezeichnung oder in ihrem Berufsrang das Wörtchen „Rat“ (Re¬
gierungs-, Bau-, Verwaltungsrat usw.) führten. Er befindet sich in
der sogenannten SiAerheits Verwahrung, in automatischem Arrest.
Bei einer sächsischen Familie findet sie Unterkunft, und von ihnen
erfährt sie, daß auch ich hier sei. Das Ende des Krieges hat sie auf
der Insel Fehmarn überrascht, wo natürlich über die HeydriAs
geredet worden ist. Außerdem wußte die Frau natürliA, sie heißt
Lisa Hunger, wer Reinhard MeydriA gewesen ist. Nun ersAeint
L. H. plötzliA bei mir. Wir, die die gleiAen Initialen (L. H.) im
Namen haben, bleiben zusammen und hecken das aus, was uns als
äußerste Notwehr bleibt. Wir fälsAen Dokumente. Lisa fährt ins
Entlassungslager Aibling, um siA einen EntlassungssAein ausstel¬
len zu lassen. Er wird uns allen als FreifahrtsAein dienen. Mit
einem hartgekoAten Ei als Stempelüberträger gelingen uns die
FäkAungen großartig. Lisa fährt mit Marte gen Esslingen bei
Stuttgart, wo sie angibt, mit einem uneheliAen Kind als Wehr-
maAtshelferin eben erst entlassen worden zu sein. Ihr Fahrrad,
das sie eigentüA naA Heidelberg zu bringen versproAen hat,
überläßt sie mir. Dreist begebe iA miA zum Bahnhof von Tegern¬
see und verlange eine Fahrkarte naA MünAen. IA bekomme sie
— und fahre mit der Eisenbahn, das Fahrrad im Gepäck, denn
auA naA dort. Von da aus radele iA los, bar jeder Habe, am Len¬
ker ein Netz mit einem Salatkopf und einer Gurke. Auf meinem
142
Wege treffe ich alle 5 km auf sogenannte „Checkpoints“. Jeder
Passant, der ohne besondere Genehmigung auf Reisen geht, kommt
nicht weiter. Jedesmal, wenn ein solches Hindernis naht, trete idi
auf die Pedale, und wenn die uniformierten Männer Anstalten
machen, midi aufzuhalten, rufe ich: „Please, I have no time.“ Mit
dem Salatkopf und der Gurke im Netz sehe ich wie eine Haus¬
frau aus, die nur mal rasch m der NaAbarsAaft etwas besorgen
will. So kann ich alle 18 „Points“ passieren. Eine ganze Strecke
des Weges, der vor mir liegt, darf ich (von Augsburg aus) mit
einem Lastwagen mitfähren, der alte Gummireifen transportiert.
Im Gegensatz zu der Fracht, die nur noch als Altmaterial verwen¬
det werden kann, fühle ich mich als „neu“, als an einem Anfang
stehend. Am verabredeten Tage kann ich meine kleine Tochter wie¬
der in die Arme schließen.
Von Stuttgart nach Hannover fahren wir mit der Eisenbahn. In
Uelzen stoßen wir auf unerwartete Schwierigkeiten. Es ist Sonn¬
tag. Die Einwohner verkaufen uns trotz unserer Marken nichts.
Hausen müssen wir in einer Schule, an deren Wanden Eimer voller
mensAliAer Sekrete stehen. Unter und neben uns treffen sich Paare
zur eindeutigen Paarung. Die noch einmal Da vongekommenen ge¬
nießen, was ihnen geblieben ist. Oberall hinein dringt der Gestank
aus den Eimern vom Hof; aber was hilft*!. Das bislang im Schloß
aufgewachsene Kind hat begriffen, was geschehen ist. Am Montag
sind wir dann müde und angeekelt zum Bahnhof gewandert. Kurz
bevor der Zug eintrifft, taumelt Marte bis an die Kante des Bahn¬
steiges, wo sie StA übergibt. Sie spricht niAt, und sie weint niAt.
Ihr ist das UngewÖhnliAe unserer Lage klar. Wir fahren weiter
naA Lübeck, wo wir am später Abend eintreffen und keine offi¬
zielle Unterkunft ausfindig machen können. Das Rote Kreuz be¬
dient uns nur mit SAelte, Wir sind „zu spät“ gekommen. 1A er¬
innere mkh an eine SAulkameradin aus der Lübecker Hansa-Apo¬
theke, Dahin pilgern wir dann — und werden ersönals wieder wie
MensAen 'empfangen. In der „GiftküAe", direkt hinter dem Apo-
Aekenraum, befindet siA eine Notliege, Dort können wir s Alaf en.
Am Morgen bekommt Marte eine Birne aus dem Garten. Ein East«
143
wagen, der Holz geladen hat, bringt uns am nächsten Tage zu
meinen Eltern. Als ich dort ankomme, sehe ich meine beiden an¬
deren Kinder im Garten spielen. Mein Gott, bin ich glücklich!
Daheim, bei meinen Eltern, gehe ich bald ins Rathaus, in dem sich
inzwischen einiges verändert hat. Der Bürgermeister, Inhaber eines
Textilgeschäftes, ist ein Junggeselle und heißt Olderog. Er gibt mir
sofort die Aufenthaltsgenehmigung, und als ich ihn frage, was nun
aus uns werden solle, antwortete er: „Sie können sich denken, daß
ich nicht gerade hocherfreut darüber bin, daß ausgerechnet Sie hier
sind; aber da Sie nun schon einmal hier sied, gehen Sie zu Ihren
Eltern r
Der Beginn, der Neubeginn auf Fehmarn, ist menschlich geblieben,
soweit die eigentlichen Inselbewohner ihr „Spiel spielten". Schlimm
ist es erst geworden, als Bürokraten und Politiker ihr „Macht¬
wort“ sprechen konnten. Eigentlich hätte nun, wieder daheim bei
den Eltern, all das ein Ende gefunden haben müssen, was hinter
uns lag; denn was konnte unser Leben nun noch mit Reinhard
Heydrich zu tun haben? So jedenfalls dachte ich. Daß ich falsch
gedacht hatte, spürte ich sehr bald. Privat erlebte ich, wenn ich auf
die Straße ging, daß alte Freunde oder solche, die sich bislang so
bezeichnet hatten, die andere Straßenseite aufsuchten, weil sie mir
keinen „guten Tag" entbieten wollten. Ein Kontakt mit mir könn¬
te ihnen schaden, war ganz offenbar ihre Auffassung. Insgeheim
hatte der eine oder der andere schon gern mit mir geredet, aber
öffentlich? Nein! Doch es gab auch Ausnahmen. Da war zum Bei¬
spiel Käte Dietz, eine alte Freundin, die weiterhin und offen zu
mir hielt.
Wie Papiere gefälscht werden, weiß ich nicht erst seit gestern. Ich
mache das nach meiner Ankunft auf Fehmarn natürlich auch wei¬
terhin. Da ist zum Beispiel ein Mann, der aus dem Elsaß kommt,
wo er in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden ist. Die Such¬
kommandos haben ihn nicht gefunden. Ich mache aus ihm kurzer¬
hand einen ganz anderen Mann. Er bleibt frei und überlebt. Mir
hat das schließlich sogar Spaß gemacht. Es war für mich eine Art
144
Reaktion auf all das, was uns nach unserer
Unrecht widerfahren war.
Ein legales Leben konnte ich allerdings nicht i
unser Sommerhaus durfte ich beziehen: denn
Nur ein Narr konnte 1945 meinen, daß «
sich lediglich beim deutschen Bürgermeister
nach dem
. b
war. Durch reime r.rranrungen gewitzt
b einen Brief, der
General! Seit dem
befinde ich midi im Hause meiner Eltern, dem Lehrer Jürgen von
Osten und seiner Frau Mathilde. Sollte gegen mein Hiersei’
einzuwenden sein, wollen Sie es mich wissen lassen,"
Natürlich habe ich erwartet, daß es mir wie in Bayern
; per-
-Frau
45
eingesperrt worden sind. Die meisten von ihnen haben Irgendwo
Im Gefängnis gesessen. Eigentlich hat mir ein wenig leid getan, daß
ich nicht audi noch habe sitzen müssen; denn mir war sonst nun
wirklich nichts erspart geblieben.
Der Winter von 1945 zu 1946 war streng und hart, die Insel auf
Brennstoffzufuhren von außen her angewiesen. Kohle und Torf
gab es bei uns nicht. So mußten wir, wenn wir nicht erfrieren
wollten, uns so etwas wie den Ast absängen, auf dem wir saßen:
unsere Obstbäume mußten daran glauben. „Von der Hand in den
Mund leben“, lautete unsere Devise. Und dann, ein paar Jahre
später, kam die'Währungsreform. Jeder von uns erhielt pro Kopf
40 Deutsche Mark (DM), von denen wir, wie ich zuerst ironisch
meinte, „unser Leben lang auskommen“ sollten.
Immer wieder denke ich in dieser Zeit an ein normales Leben ohne
politischen Akzent; aber je unpolitischer ich mich verhalte, um so
politischer werde ich von außen her bewertet. Die „NS-Zeit“, soll
„bewältigt“ werden. In den Zeitungen, in allen Presseorganen,
spricht man nun wortreich über den „Massenmörder Heydrich“.
Menschen, die zuvor niemals etwas über ihn gehört haben, werden
auf ihn aufmerksam. Leute, die nie gewußt haben, daß er Frau
und Kinder hatte, lassen ihren Haß nun an uns aus. Den meisten
von ihnen ist nicht einmal bekannt, daß Heydrich bereits seit Jah¬
ren tot ist. Für „alles“ wird er nun verantwortlich gemacht. Da ist
zum Beispiel die Sache mit der Hinrichtung eines politischen Häft¬
lings, der im Jahre 1944 oder 1945 auf der Insel Fehmarn eine
Bäuerin vergewaltigt haben soll, deren Mann als Soldat im Felde
stand. Nach dem Kriege findet eine richterliche Untersuchung statt.
Und auf Befragung der damaligen Untersuchenden erklärt der
Richter, daß dies „doch nur im Aufträge von Heydrich geschehen
sein“ könne. Als dann zwangsläufig doch festgestellt wird, daß
Reinhard Heydrich bereits seit zwei Jahren tot sei, folgt betretent
Verlegenheit, die uns jedoch nichts nützt. Wir haben das Zeichen
des Mörders an der Stirn zu tragen.
Ich kann mich nicht einfach Ins sogenannte „Privatleben“ zurüek-
146
ich daheim bereitgelegt. Von einem Heimkehrer erfahre ich über¬
raschend, daß ich von Zenetti im Münsterland finden könne. Aus¬
gerüstet mit falschen Papieren und Proviant, fahre ich in einem
alten Kohlenwagen als Frau Rosenkranz nach Münster, Als ich
dort mit schlotternden Knien eintreffe, immer die Furcht im Nak-
ken, erkannt zu werden, höre ich von Zenettis Kameraden: „Ze¬
netti hat sich gestern unerlaubt entfernt. Er ist weg!“ Ich bin zu
spät gekommen, überlasse den Zenetti-Kameraden den Inhalt mei¬
nes Rucksack® und säge den Männern für den Fall, daß von Ze¬
netti doch wieder zurückkehren solle, daß ich nicht Frau Rosen¬
kranz, sondern Lina Heydrich sei. Sie fallen aus allen Wolken ...
Die Rückfahrt war sehr ungemütlich und beschwerlich, doch als ich
in Neustadt-Holstein plötzlich von Zenetti auf dem Bahnhof ste¬
hen sah, war alles vergessen. Hand in Hand standen wir bald vor
meinem Elternhaus. Meine Eltern, besonders seit dem Ende des
Krieges in großer Sorge um ihre Tochter und deren Kinder, schöp¬
fen Hoffnung. Sie wähnen ihre Enkel nun endlich gesichert. Leo¬
pold von Zenetti glaubt an seine Zukunft. Nach einigen Wochen
fährt er heimwärts nach Österreich. Lange Zeit höre ich nichts von
ihm. Dann erfahre ich, daß er beim Grenzübertritt erwischt und
für einige Wochen in „Gewahrsam" genommen worden sei. Jetzt
habe er in Wels eine Anstellung bei der Jagdbehörde gefunden und
möchte, daß ich zu ihm käme. Ein Auerhahn sei mir zum Abschuß
gewiß.
Am 8. April 1946 höre ich im Radio, daß die Tschechoslowakei
meine Auslieferung verlange. In einer Kiste verpackt, verlasse ich
Fehmarn und lande schließlidi in Hamburg, wo es einige zum
Tode verurteilte ehemalige SS-Leute gibt, denen ich mit falschen
Papieren geholfen habe.
In Hamburg wird mir eröffnet, daß ich nach München fahren und
im „Hotel Regina“ „Quartier beziehen“ solle, was ich „ordnungs¬
gemäß" ^e. Kaum im „Hotel Regina“ angekommen, öffnet sich
meine Tür und der Rechtsanwalt Tammo van Hora steht vor mir,
einer der einstigen SS-Männer aus Hamburg, denen der Galgen
gewiß ist, wenn sie erwischt werden.
Er will midi unbedingt nadi Spanien mitnehmen. Ich kann midi
zu dem Schritt jedoch nicht entscheiden, zumal ich auf Leopold
von Zenetti warte, meinen künftigen zweiten Ehemann. Er er¬
scheint am nächsten Morgen. Freunde begleiten ihn. Tammos An¬
wesenheit überrascht ihn merklich. Er bekommt (diese Leute hal¬
ten noch zusammen) Landkarten und Geld — für seine Reise
nach Spamen. Wir, von Zenetti, einige seiner Freunde und ich, be¬
reiten uns auf die Auerhahn-Jagd vor. Ich habe die Situation, in
der ich midi befinde, einen Augenblick lang fast vergessen. Fast
vergessen; denn in einem geeigneten Moment gestehe ich von Ze¬
netti, daß die Tschechen meine Auslieferung wollen, was er jedoch
längst weiß. Und das ist das Ende: er erklärt mir, daß er midi da¬
her nicht heiraten könne.
Die ganze Nacht hindurch habe ich wieder einmal „Bilanz“ ge¬
macht. Am Morgen bitte ich von Zenetti, mir wenigstens behilflich
zu sein, für einige Zeit unterzutauchen. Ich muß den Engländern
die Möglichkeit geben, zu behaupten, daß ich nicht in der engli¬
schen Besatzungszone lebe. Zu diesem Kompromiß ist er bereit. Er
versdiafft mir Anstellung und Unterkunft bei einem Bauern in der
Nahe von Wels in Österreich. Ich werde als Magd eingestellt, muß
in der Küche arbeiten und die Wohnung in Ordnung halten. In
der Küche bin ich ein vollständiger Versager. Die oberösterreidu¬
sche Kochkunst ist mir fremd. Von der ländlichen Kodieret ver¬
stehe ich nahezu nidbts. Staub wisdien, Teppisdie und Decken klop¬
fen, Fenster putzen, Betten machen und den Hof fegen, das be¬
herrsche ich natürlich zur vollen Zufriedenbeit meines Arbeitgebers.
Während einer GroÄretjitgiing des ehelichen Schlafzimmers ent¬
decke ich in einer Schale ein Partei-Abzeichen der NSDAP, Ich
bin also nicht unter Fremden, auch wenn wohl ein solcher Eindruck
entstehen soll. Leopold von Zenetti .ist häufiger Gast im Hause.
Meist ist er schon betrunken, wenn er eintrifft. Offenbar wird er
mit der neuen Situation nicht fertig. Eine Tage glaube ich» die
alle nicht mehr ertragen zu können. Ich leihe mir etwas 'Geld und
verschwinde einfach. Während die Bauern auf der Schwarzlofer-
alm das Sennenfet feiern, trotte ich hinter einem Zöllner her. Uo-
149
ser Weg führt nach Reit kn Winkl. Von da aus mache ich midi
auf den Weg zurück nach Hamburg, wo ich erfahre, daß ich nicht
auf der Fahndungsliste stehe. 28 ) So begebe ich midi —mit gemisch¬
ten Gefühlen — zu meinen Eltern und gestehe ihnen: „Aus der
Heirat mit dem Herrn von Zenetti wird nichts. Er hat Angst!"
Zu danken habe ich dem Angsthasen dennoch. Reinhards Tod und
den Tod unseres Sohnes, hätte ich ohne ihn wohl nur schwerlich
überstanden.
Mit der Zeit habe ich mir ein neues Gedankenfundament geschaf¬
fen. Mein Leben, lo sagte ich mir von nun an, gehört allein mir.
Ich kann frei darüber verfügen. Sobald ich weiß, daß ich es nicht
mehr ertragen kann, habe ich das Recht, es zu beenden. Ich lebe
doch an die katholische Kirche.“ Ich tue es und fahre 7.um Bischof
in Osnabrück. Ihm schildere ich meine Situation und bitte ihn, sich
meiner drei Kinder anzunehmen, falls ich ausgeliefert werden soll¬
te. Die Exzellenz empfiehlt mir, zunächst erst einmal zur katho¬
lischen Kirche überzutreten. Einige Tage später erhalte ich einen
Brief. Die katholische Kirche verlangt von mir pro Tag und pro
Kind drei Mark. Die Demütigung, die ich um der Kinder willen
auf mich genommen habe, ist umsonst gewesen.
Immer wieder wird von Auslieferungsverfahren geredet. Den gan¬
zen Winter 1947/1943 bedrückt diese Ungewißheit mich. Etwas
erwies. Die Hälfte der Aale wurden schon auf dem Transport ge¬
stohlen. Wirkungsvolle Gegenmaßnahmen sind mir nicht einge¬
fallen, zumal ich nicht wagen durfte, mich irgendwie bemerkbar
zu machen. Ich habe das Gefühl gehabt, daß es besser sei, man
vergißt mich — oder man bemerkt mich nicht. An einem Abend
hockte ich wieder einmal am Hafen und sah den Möwen zu, die
sich um den Fischabfall eines Kutters stritten. Ein alter Fischer,
ein Ostpreuße, setzte sich zu mir auf die Fischkiste und fragte
mich: „Marjellchen, Sie sehen so traurig aus.“ Da erzählte ich ihm,
daß ich nicht ewig von 160 DM leben könne, da drei kleine Kin¬
der zuhause seien und ein altes Elternpaar. „Aber das ist doch
ganz einfach. Wissen Sie“, belehrte er mich, „da gibt es den
Hering 3, der ist ohne Marken. Den holen Sie sich, und es gibt auch
Fischöl. Das alles packen Sie in eine Konservendose und dosen es
ein. Das kann man in der Waschküche machen.“ Und so habe ich
mit den Fischen angefangen. Es hat großartig funktioniert, nur
alles ist immer noch ohne Behörde geschehen, was mich gestört
hat, und so bin ich eines Tages nach Hamburg zu einer Dienst¬
stelle gefahren, um mir die amtliche Genehmigung zu holen.
„Haben Sie 1939 bereits ein Fischgeschäft gehabt?“ wurde ich
barsch gefragt. „Nein, das habe ich wirklich nicht“, mußte ich ant¬
worten, und so erfuhr ich denn: „Dann bekommen Sie jetzt keine
Genehmigung!“ Am 18. Oktober hatten meine Eltern goldene
Hochzeit. Ich habe mit meinen Fisdien in Hamburg und später auch
in Osnabrück bereits so viel verdient gehabt, daß ich ihnen ein
kleines Familienfest ausridhten konnte.
Am nächsten Morgen fummelte ich am Radio herum und hörte die
Morgetmadiriditen. Und da durchfuhr es mich plötzlich. „Frau
Margarete Heydrich ist vom Volksgericht in Prag zu lebensläng¬
lichem Zuchthaus, davon 20 Jahre verschärftes Straflager, verur¬
teilt worden ... in absentia.“ Ich war’s, wenn auch der Vorname
nicht stimmte. Man hat midi also nicht mehr ausliefem wollen,
mutmaßte ich. Erst 7 Jahre später erfuhr idt die tatsächlichen
Zusammenhänge. Nach längeren Verhandlungen, in denen die
Tschechen von der englischen Besatzungsmacht 100 Personen an-
forderten, waren die Briten nur bereit, 50 der namhaft gemachten
Personen auszuliefern. Auf dieser Liste stand ich, wie ich fest¬
stellen mußte, an erster Stelle. Da sich die Tschechen der Männer
bedienen mußten, die sowohl deutsch als auch tschechisch sprachen,
hatten sie auch den Leiter des Prager deutschen Bodenamtes, der
in Prag gefangen war, im Büro beschäftigt. Er hat von dieser
Ausiieferungsliste Kenntnis erhalten und sie nach dem Motto um¬
geschrieben: Die Ersten sollen die Letzten sein.
Ein paar Tage nach dieser Bekanntgabe fand in der Stadt Burg
auf Fehmarn der sogenannte Herbstmarkt statt, zu dem meine
Kinder mich drängten. Kaum hatten wir das Haus verlassen, als
ich auf der Straße einen amerikanischen Straßenkreuzer stehen
sah, ein Auto, wie wir es hier selten erblicken konnten, denn die
Insel war nur auf dem Wege über eine Fähre erreidibar. Ein Mann
beugte sidi heraus und fragte einen Passanten etwas, und als dieser
gestikulierend in Richtung Hafen zeigte, fuhr der Wagen an uns
vorüber. Nach dem Vergnügen gehen wir in ein am Markt gele¬
genes SAuhgesdiäft, um Schuhe für die Kinder zu kaufen. Wäh¬
rend wir anprobieren, höre ich neben mir den Satz: „Sie dürfen
nicht nach Hause gehen, dort warten Amerikaner auf Siel“ Ich
habe die Schuhe noch gekauft und die Kinder dann nach Hause
geschickt. Was sollte ich jetzt tun? Wollten sie mich abholen? Gab
den Männern, „Wir haben Lina Heydridi nicht gefunden“, sagen
sie, „und Sie werden sie auch nicht finden“, reagiert meine Mutter,
die die Flucht nach vom an tritt und hervorstößt: „Und Sie werden
sie auch nicht in die Tsdiechei bringen, nie und nimmer!“ „Aber
wir wollen sie ja gar nicht mitnehmen. Wir wollen sie nur fragen,
was sie zu dem Prager Urteil sagt. Wir sind von der Presse“,
antworten die Männer und so geht es weiter, bis ich in der Tür zum
Keller auftauche. Meine Mutter hat midi so strafend angesehen,
wie manchmal früher, als ich noch ein Kind war. Die Männer sind
offenbar ebenso erstaunt: „Mein Gott. Wir haben Sie ja schon
gesehen“, sagen sie, „das ist ja hier eine verflixte Insel. Erst schickt
uns ein Mann, während Sie an uns Vorbeigehen, in eine falsche
Richtung, und schon auf der Fähre haben die Fährleute erklärt,
Jllill
sira
■•i
wie meine Konten, Da las ich in der Zeitung, daß die „Uraltkon¬
ten“ von den Banken, die in Berlin ihren Sitz hatten, aufgewertet
würden. Meine einstige Versichenmgssumme belief sich auf 200 000
Mark. Während der Verhandlungen über die Dotation von Bre-
schan hatte ich den Betrag auf ein von mir eröffnet« Konto bei
der Deutschen Reichsbank überwiesen, deren Sitz sich in Berlin
befand. Eigentlich sollte das Geld für „nach dem Kriege“ zurück¬
gelegt sein, sozusagen als Rückversicherung. Ich wollte mich auch
finanziell „freischwimmen“. Nun, da dieses Geld infolge der an ge¬
kündigten Regelung plötzlich in der „Literatur“ des Finanzamtes
wieder auftauchte, meldete ich mich. Wer würde den Versuch nicht
1600 Mark verkauft. 1960 soll in einem Hause in Berlin am
Ferbelliner Platz Bilanz gemacht werden. Juristisch ist Reinhard
wieder „auferstanden“ und soll nun möglicherweise gar »ent¬
nazifiziert“ werden. Wir, die Kinder und ich, sind als Zeugen
ettet von meinem
mitgenommen, und zu meiner inneren Unterstüt
hat. Ich
tjgt
Kommentare
Der Verlag W. Ludwig veröffentlicht dieses Buch der Witwe Rein¬
hard Heydrichs als zeitgeschichtliches Dokument. Daß er sich mit
vielen Ausführungen der Verfasserin nicht identifiziert t beweisen
die hier folgenden Kommentare , die der renommierte Historiker
und Hitler-Forscher Werner Maser auf Bitten des Verlages zu ein¬
zelnen Punkten der Darstellungen Frau Lina Heydrichs zur Ver¬
fügung stellte.
Wilhelm Ludwig
einem
i
Er ist ein Mann von überragender Bedeutung, er hat die luzife-
risdbe Größe eines genialen Gesinnungsverbrechers ... Auch nach
dem im Dritten Reich gültigen Strafgesetzbuch ist Heydrieh als
Mörder zu bezeichnen*).
Die vom NS-Regime bis 1945 profitierende, „politisierende Wit¬
we ", wie Heinrich Himmler die Heydrich-Witwe einmal kritisie¬
rend nannte, hat die Chance nicht genutzt, die der Ludwig-Verlag
ihr bot. Weder die zahlreichen persönlichen Gespräche noch die
Korrespondenz mit Lina Heydrieh erwiesen sich als nützlich. Wann
immer sie gefragt wurde, wie sie diese oder jene dokumentarisch
belegten Details j md Zusammenhänge erkläre, reagierte sie aus¬
weichend oder phantasievoll die Tatsachen verdrehend und nidn
selten gänzlich ignorierend. Die Bitte, den Inhalt bestimmter Do¬
kumente zur Kenntnis zu nehmen und einschlägige Bücher zu lesen ,
wies sie als unzumutbar zurück, was sdbließlich diese Kommentare
nötig machte.
Werner Maser
*) Antrag auf Eröffnung des Sühneverfahrens, Der Senator für Inneres, Ber¬
lin, den 19. 11. 1959. Aktenzeichen: 1F-0250-54/56, S. 41 f.
162
1
Reinhard Heydrichs Anteil im Rahmen der Rohm-Affäre schil¬
derte der SS-Gruppenführer von Eherstein , der den SS-Oberab-
schnitt Mitte führte, als Zeuge vor dem IMT in Nürnberg auf
folgende Weise: Jm Laufe des 30. Juni kam zu mir ein SS-Ober-
sturmbannführer Beutel vom SD mit einem Sonderauftrag, den er
von Heydnch bekommen hatte. Es war noch ein jüngerer Mann,
dieser Beutel, und er wußte nicht, was er nun machen sollte und
kam zu mir, um von mir als älteren Mann einen Rat zu holen. Er
hatte einen Befehl, in dem waren ungefähr 28 Namen enthalten
und ein Zusatz, aus dem hervor ging, daß ein Teil dieser Leute ver¬
haftet und ein anderer Teil exekutiert werden sollte. Dieses Schrift¬
stück trug keine Unterschrift, und ich riet daher diesem Obersturm¬
bannführer, doch unbedingt eine" Klarheit herbeizuführen , was nun
geschehen solle und warnte ihn auch sehr naebdrüdklidb vor irgend¬
welchen unbesonnenen Handlungen. Es ist dann, soweit iS mich
erinnern kann , ein Kurier nach Berlin geschickt worden, und dieser
Kurier hat dann auch Exekutiombefehle mhgehmcht, und zwar
von Heydrith. Diese Befehle hatten ungefähr folgenden Inhalt:
Auf Befehl des Führers und J Reichskanzlers wird der und der —
und dann folgte der Name des Betreffenden — wegen Hoch- und
Landesverrat zum Tode durch Erschießen verurteilt. Unterschrie¬
ben waren diese Urkunden von Heydnch. Die Unterschrift war
zweifelsohne echt; und ein beigedruckter Dienststempel der betref¬
fenden Dienststelle, der Heydnch Vorstand in Berlin; und auf
Grund dieser Urkunde sind acht Angehörige der SA und auch der
Partei, insgesamt acht Personen, in Dresden von der politischem
Bereitschaft Sachsen erschossen worden und' noch eine weitere Per¬
son in Chemnitz " Zit. nach dem HeydriA-Nachhß.
■i
163
2
Lina Heydridb geht auch hier großzügig mit den Fakten um. Der
Reichsparteitag., auf dem die berüchtigten Nürnberger Gesetze ver¬
kündet wurden, fand im September 1935 statt. Emst vom Rath
fiel jedoA erst am 7. November 1938 dem Attentat des 17jährigen
Juden Grynspan aus Hannover zum Opfer . Emst vom Rath starb
am 9. 11. 1938. Lina HeydriA ignoriert die Tatsache, daß Gryn¬
span vom Rath nicht aus politischen, sondern am rein persönlichen
Erwägungen nach demrLeben trachtete. Wie französische Behörden,
die Grynspan rechtskräftig verurteilten, seinerzeit nahwiesen, hat¬
ten zwischen vom Rath und Grynspan homosexuelle Beziehungen
bestanden. Bis Mai 1942, bis zum Attentat auf Heydrich, haben
auch führende Nationalsozialisten noch geglaubt, daß Grynspan
mit seinem Attentat eine „Demonstration des Welt Judentums gegen
das nationalsozialistische Deutschland im Sinne“ hatte. Die raffi¬
niert gesteuerte „Spontan-Reaktion" auf das von der Propaganda
rassemdeologhA artikulierte Attentat und dessen unmittelbare
Folge (der Tod vom Raths) waren niAt die Nürnberger Gesetze,
sondern die sogenannte „ReiAskristaUnaAt“,
3
Uns HeydriAs Angaben haben mit den Tatsachen niAts zu tum.
Falls Frau HeydriA die Dinge tatsä AUA so s Adder t, wie sie siA
im Hause HeydriA abgespielt haben, hat HeydriA seine Frau vor -
sätzHA und verblüffend zu täusAen verstanden; denn noA bevor
das Ehepaar HeydriA siA zu Bett begab, hatte HeydriA bereits
Vorkehrungen für die KristallnaAt getroffen. Um 1,20 Uhr naAts
gingen von HeydriA gezeiAnete Fernschreiben an alle Staatspoli¬
zeileit-- und Staatspolizeistellen (IMT, Bä, XXXI, Dok. 3051-PS),
164
W
uaiseben Besitz vorgegangen und Synagogen gebrand
den dürften, solange deutsches Leben und Eigentun
det würden. Dm Fernschreiben lautete:
tahmen gegen Juden in der heutigen Nacht ,
9. auf 10.11. 1938
i
men
d) Ausländische Staatsangehörige dürfen — auch wenn sie Ju¬
den sind — nicht belästigt werden.
2. Unter der Voraussetzung, daß die unter 1. angegebenen Richt¬
linien eingehalten werden, sind die stattfindenden Demonstra¬
tionen von der Polizei nicht zu verhindern, sondern nur auf die
Einhaltung der Richtlinien zu überwachen.
3. Sofort nach Eingang dieses Fernschreibens ist in allen Synago¬
gen und Geschäftsräumen der Jüdischen Kultusgemeinden das
vorhandene Arcbivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen, da¬
mit es nicht im Zuge der Demonstrationen zerstört wird. Es
kommt dabei auf das historisch wertvolle Material an, nicht
auf neuere Steuerlisten usw. Das Archivmaterial ist an die zu¬
ständigen SD-Diensts teilen abzugeben.
4. Die Leitung der sicherheitspolizeilichen Maßnahmen hinsihtlih
der Demonstrationen gegen Juden liegt bei den Staatspolizei-
steilen, soweit nicht die Inspekteure der Sicherheitspolizei Wei¬
sungen erteilen. Zur Durchführung der sicherheitspolizeilichen
Maßnahmen können Beamte der Kriminalpolizei sowie Ange¬
hörige des SD, der Verfügungstrupps und der allgemeinen SS
zugezogen werden.
5. Sobald der Ablauf der Ereignisse dieser Nacht die Verwendung
der eingesetzten Beamten hierfür zuläßt , sind in allen Bezirken
so viele Juden — insbesondere wohlhabende — festzunehmen,
als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden kön¬
nen. Es sind zunähst nur gesunde männliche Juden niht zu
hohen Alters festzunehmen. Nah Durhführung der Festnahme
ist unverzßglih mit den zuständigen Konzen trationslagem we¬
gen schnellster Unterbringung der Juden in den Lagern Ver¬
bindung aufzunehmen. Es ist besonders darauf zu achten , daß
die aufgrund dieser Weisung fesigenommenen Juden mht mi߬
handelt werden.
6, Der Inhalt dieses Befehls ist an die zuständigen Inspekteure
und Kommandeure der Ordnungspolizei und an die SD-Ober-
abschnitte und SD-Unterabschmtte weiterzugeben mit dem Zu¬
satz y daß der Reichsfiihrer SS und Chef der Deutschen Polizei
diese polizeiliche Maßnahme angeordnet hat. Der Chef der
Ordnungspolizei hat für die Ordnungspolizei einschließlich der
Feuerlö shpolizei entsprechende Weisungen erteilt. In der Durch¬
führung der angeordneten Maßnahmen ist engstes Einverneh¬
men zwischen der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei
zu wahren.
Der Empfang dieses Fernschreibens ist von dm Stapoleitem oder
deren Stellvertretern durch FS an das Geheime Staatspolizeiamt
— z. Hd, SS-Standartenführer Müller — 2 « bestätigen.
gez. Heydrich, SS-Gruppenführer“
Am 12. Nav. 1938 , drei Tage nach der „Kristallnacht“, erklärte
Göring im Rahmen einer Sitzung, an der nicht nur Hey drich, Fride,
Schwerin von Krosigk, Gärtner, Funk und Goebbels, sondern weit
über 100 Vertreter sämtlicher Ministerien (vgl. IMT, Bd. XXVIII,
499 /., Dok. 1816-PS) teilnahmm: „Meine Herren, die heutige
Sitzung ist von entscheidender Bedeutung. Ich habe einen Brief
bekommen, den mir der Stabsleiter des Stellvertreters des Führers
(Martin) Bormann im Auftrag des Führers geschrieben hat , wo¬
nach die Judenfrage jetzt einheitlich zusammengefaßt werden soll
und so zur Erledigung zu bringen ist. Durch telefonischen Anruf
bin ich gestern vom t Führer nodt einmal darauf hingewiesen wor¬
den, jetzt die entscheidenden Sdbritte zentral zusammenzufassen“
(Heydrich-Nädslaß) Heydrich schlug im der Sitzung vor, den Ju¬
den den Aufenthalt in bestimmten Gebieten zu untersagen, m Öf¬
fentlichen Krankenbäusem und. Verkehrsmitteln die Juden von
den Deutschen zu trennen und empfahl, was Göring genehmigte,
eine A uswanderungszen trale für Juden einzurichten. Seinen Vor-
scblag, die Juden besonders zu kennzeichnen ■ (vgl. Adam, Uwe
Dietrich, Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 1972 , 5. 210%
167
lehnte Hitler später zunächst ab. Bevor Heydrih von Göring die
Erlaubnis erhielt, im Januar 1939 eine Reichszentrale für jüdische
Auswanderung zu errichten, erklärte Heydrich: ,JBei allem Her¬
ausnehmen der Juden aus dem Wirtschaftsleben bleibt das Grund-
Problem,, letzten Endes doch immer, daß der Jude aus Deutschland
herauskommt ... Wir haben in Wien auf Weisung des Reihskom¬
missars eine Judenauswanderungszentrale eingerichtet, durch die
wir in Österreich immerhin 50 000 Juden herausgebracht haben,
während im Altreih in der gleihen Zeit nur 19 000 Juden her-
ausgebraht werden konntenVgl Kempner, Robert M. W. t Eih-
mann und Komplizen. Zürih, Stuttgart und Wien 1961, S. 44.
- 4
Den ,,Judenstem**, den Lina Heydrih mit den Nürnberger
Gesetzen (1935) in unmittelbare Verbindung bringt, mußten alle
Juden, die das 6. Lebensjahr erreihi hatten, niht ab September
1935, sondern ab 15. September 1941 tragen. Daß Goebbels um
das „Urheberreht“ gestritten habe, wie Lina Heydrih behaup¬
tet, deckt sih niht mit den Tatsahen. Goebbels lehnte einen ent-
sprehenden Canaris-Antrag mehrfah ab und bezeihnete ihn we¬
gen der im Ausland und unter der Berliner Bevölkerung zu erwar¬
tenden Wirkung als „mittelalterliche Maßnahme**. Zu Heydrihs
Anteil am „Judenstern “ vgl. den Kommentar Nr. *3,
5
Das Martyrium der Juden weist von 1933 bis zu Heydrihs Tod
folgende Stationen auf:
Hitler erläßt am 28, März 1933 einen Aufruf zum Boykott gegen
161
die Juden. Er ist an die Organisationen der NSDAP gerichtet und
enthält unter anderem folgende Weisungen: „Die Aktionskomitees
haben sofort durch Propaganda und Aufklärung den Boykott zu
popularisieren. Grundsatz: Kein guter Deutscher kauft noch bei
einem Juden oder läßt sich von ihm und seinen Hintermännern
Waren an preisen. Der Boykott muß ein allgemeiner sein , Er wird
vom ganzen Volk getragen und muß das Judentum an seiner emp¬
findlichsten Stelle treffen .. . Die Aktionskomitees müssen bis in
das kleinste Bauerndorf hinein vorgetrieben werden, um besonders
auf dem flachen Land die jüdischen Händler zu treffen. Grundsätz¬
lich ist immer zu betonen, daß es sich um eine uns auf gezwungene
Abwehrmaßnahme handelt »., Der Boykott setzt nicht verzettelt
ein, sondern schlagartig, ln dem Sinne sind augenblicklich alle Vor¬
arbeiten zu treffen. Es ergehen die Anordnungen an die SA und
SS, um vom Augenblick des Boykotts ab durch Posten die Bevöl-
r te zu warnen. Der
scbränkungen der Berufsausühung treffen zugleich auch die in freien
Berufen tätigen Juden, was zunächst jedoch noch nicht so einschnei¬
dend wirkt. Von 717 „mchtarischen™ Staatsanwälten und Richtern
bleiben 336 (47 *le) in ihren Ämtern, von 4 303 Rechtsanwälten
3 167 (knapp 70 °I&) und von den 4 300 Kassenärzten 73 9 h.
Im Berliner Sportpalast erklärt Hitler in einer Rede, die von allen
deutschen Rundfunksendern übertragen wird: ,J3ie große Zeit ist
jetzt angebrochen, auf die wir 14 fahre lang gehofft haben. Deutsch¬
land ist nun erwacht. Es ist alles das emgetroffen, was wir in die¬
sen 14 Jahren ahnend und sehend prophezeit hatten, nicht durch
ein Geschenk der Umwelt oder die Gnade unserer Gegner, sondern
durch unsere eigene Kraft,™
Frühjahr 1933: Die ersten -Konzentrationslager werden ( z. B. in
Dachau und Oranienburg) eingerichtet,
Das Reichskulturkammer-Gesetz vom 22, September 1933 ver¬
bannt die Juden aus dem deutschen Kulturleben.
Das Wehrgesetz vom 21. Mai 1933 untersagt Juden den Eintritt
in die Wehrmacht.
Seit Sommer 1933 sind „Juden unerwünscht™ unter anderem in
Ortschaften, in öffentlichen Anlagen, in Cafes, Gaststitten und
Geschäften, was jeweils durch Hinweisschilder angezeigt wird.
13. September 1933: „Reichsparteitag™ in Nürnberg , Verkündung
der „Nürnberger Gesetze™, die Eheschließungen und den Ge¬
schlechtsverkehr zwischen „Ariern " und Juden verbieten (was als
» Rassenschande™ bezeichnet und später mit dem Tode bestraf t wur¬
de) und den Juden, die keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden
dürfen sowohl das passive als auch das aktive Wahlrede abspricht.
Die jüdischen Beamten, die nach dem Gesetz vom 7. April 1933
zunächst noch Weiterarbeiten durften, werden jetzt pensioniert. Die
jüdischen Beamten, die 1933 in den Ruhestand versetzt worden
waren, verlieren die ihnen zustehenden Bezüge, Göring verliest
den Text des Reichsfiaggengesetzes, des Reidhsbürgergeseizes und
des Gesetzes zum „Schutze des deutschen Blutes und der deutschen
Ehre™, in dem es unter anderem heißt: „Juden ist das Hissen der
Reichs- und National flagge und das Zeigen der Reithsfarben ver-
170
böten. Dagegen ist ihnen das Zeigen der jüdischen Farben gestat¬
tet. Die Ausübung dieser Befugnis steht unter staatlichem Schutz.
Für die Zeit der Olympischen Spiele im Sommer 1936 werden
die Hinwei ssdri Id er „Juden unerwünscht" entfernt.
Förderung der Auswanderung jüdischer Deutscher, von denen bis
Frühjahr 1939 rund ISO 000 zum größten Teil unter Zurücklas¬
sung des Vermögens ihre Heimat verlassen.
Das anfänglich und auch naS dem Erlaß der „Nürnberger Geset¬
ze" mit Rücksicht auf negative Reaktionen im internationalen
Rahmen noch geduldete Engagement von Juden in der Wirtschaft
findet ein Ende durd? die Verordnung gegen die „Tarnung jüdi¬
scher Gewerbebetriebe" vom 22. April 1938.
17. August 1938: Alle Juden müssen den boshaft glossierten Na¬
men „Israel" (ursprünglidt: „der, für den der Allmächtige
kämpft“) und alle Jüdinnen dm ebenso herabgewürdigten Namen
,^arah" („Fürstin" und „Urmutter") führen.
30. September 1938: Die Approbation der jüdischen Ärzte erlischt.
Ende Oktober 1938: Die SS schafft Tausende polnische Juden, die
zwischen 1918 und 1933 eingewandert waren, an die polnische
Grenze, um sie nach Polen „abzuschieben". Da die polnische Re¬
gierung an der Übernahme der Juden nidjt interessiert ist, müssen
die Juden im Niemandsland kampieren.
9. November 1938: , t Kristallnacht". Zerstörung der Synagogen
und jüdischen Geschäfte, 30 000—40 000 jüdische Männer werden
in Konzentrationslager gebracht. Die Juden haben eine ,J$ufie von
1 000 000 000 Reichsmark zu. entrichten. Die jüdischen Unterneh¬
men werden frisiert". Juden dürfen an Kulturveranstaltungen
nicht mehr teilnehmen.
IS. November 1938: Jüdische Kinder dürfen, nur noch jüdische
Schulen besuchen.
30. November 1938: Den jüdischen Rechtsanwälten wird unter¬
sagt, weiterhin zu praktizieren.
30. Januar 1939: Hitler erklärt im Reichstag: ,Jch will heute wie¬
der ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjuden¬
tum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch
171
einmal in einen Weltkrieg zu stürzen » dann wird das Ergebnis
nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Juden¬
tums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in
Europa"
23. September 1939: Alle Juden müssen ihre Rundfunkgeräte ab¬
lief em.
6. Februar 1940: Kleiderkarten zum Kauf von Bekleidungsstücken
werden an Juden nicht mehr ausgegeben.
31. Juli 1941: Hermann Göring beauftragt den SS-Gruppenführer
Heydrim mit der Vorbereitung der „Endlösung der Judenfrage“.
Heydrich erklärt, daß die Grenzen für Juden gesperrt seien und
verkündet die „Endlösung“ für rund 11 Millionen Juden in Eu¬
ropa (einschließlich der russischen und englischen Juden). Mit dem
Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion und der erheblichen
Ausweitung des besetzten Territoriums Beginn der biologischen
Vernichtung der Juden, die grundsätzlich ah ,,minderwertig" be¬
zeichnet werden und bezeichnenderweise zum Teil mit dem Schäd¬
lingsbekämpfungsmittel Cyklon B „vernichtet“ werden . Differen¬
zierung der Vernichtung“ auf dreifache Weise:
a) durch Erschöpfung infolge von Zwangsarbeit mit sehr geringen
Lebensmittelzuteilungeh,
b) durch Ermordung mit Gas und
c) durch Eimatzkommandos in Rußland.
1. September 1941: Alle Juden, die das 6. Lebensjahr erreicht ha¬
ben, müssen ab 13. September den gelben „Judenstern“ mit der
Aufschrift „Jude“ tragen.
September 1941: Erste Vergasung von Menschen in Auschwitz,
Herbst 1941: Beginn der Juden-Transporte in das KZ-Theresim-
stadt.
10. Oktober 1941: Juden, die ihre Wohnungen verlassen oder Ver¬
kehrsmittel benutzen wollen, benötigen eine besondere Erlaubnis.
23. November 1941: Das Vermögen der aus gewanderten Juden
geht in Reihsbesitz über.
20, Januar 1942: Wannseekonferenz. Minis terialbesprechung über
die „Endlösung der Judenf rage“,
172
I. März 1942: Organisation des (Alfred) Rosenberg-Einsatzstabes,
dem unter anderem die Beschlagnahme jüdischer Kulturgüter ob¬
liegt.
14. April 1942: Jüdische Wohnungen müssen durch den „Juden¬
stern“ gekennzeichnet werden.
II. April 1942: Den Juden wird verboten, Katzen, Hunde, Vögel
und andere Haustiere zu halten.
24. April 1942: Den Juden wird untersagt, Verkehrsmittel zu be¬
nutzen.
27. Mai 1942: Attentat auf Reinhard Heydrich in Prag.
4. Juni 1942: Tod Heydrühs.
9. Juni 1942: Juden müssen ,^dle entbehrlichen Kleidungsstücke“
abliefem.
19. Juni 1942: Namhafte deutsche Juden werden mach dem Osten
deportiert.
23. Juli 1942: Beginn der J udenvernichtung durch Gas.
6
Das 1938 erstmals offen diskutierte und von Himmler und Hey¬
drich gebilligte Madagaskar-Projekt stand (zumindest theoretisch)
bis Ende 1940 zur Debatte. Am 2. 7. 1940 legte der Legationsrat
Franz Rademacher den Plan vor ; Frankreich durch den Friedens¬
vertrag zu zwingen, die Insel Madagaskar als „Siedlungsraum für
die Juden Europas zur Verfügung zu stellen ", In seinem Plan hieß
es: „Die Lösung Madagaskar bedeutet, vom deutschen Standpunkt
aus gesehen, die Schaffung eines Grofi-GbeUos. Nur , die 1 Sicher¬
heitspolizei hat die nötigen Erfahrungen auf diesem Gebiet; sie hat
die Mittel eine Flucht von der Insel zu verhindern. Sie hat weiter
die Erfahrung darin. Strafmaßnahmen, die wegen feindseliger
Handlungen von Juden in USA gegen Deutschland erforderlich
werden, im der geeigneten Weise durchzuführen .., Allen nach
m
riert.
8
Himmler stellte tm Juni 1941 in einem Brief an einen Unterge¬
benen über den „Lebensbom “ dagegen fest * „Ich halte es für
richtig und angebracht, rassisch wünschenswerte Kleinkinder pol¬
nischer Familien zu besdraffen, in der Absicht, sie . .. aufzuziehen.
Die Wegnahme dieser Kinder konnte mit Gesundheitsgründen
erklärt werden. Kinder, die sidy nicht besonders gut entwickeln,
sollten ihren Eltern zurüdegegeben werden .. . Von den Kindern,
die sich befriedigend entwickeln, sollten wir nach etwa sechs Mona¬
ten genaue Einzelheiten über ihre Herkunft beschaffen. Nach einem
Jahr erfolgreicher Erziehung können wir überlegen, solche Kinder
in die Heime rassisch guter deutscher Familien ohne eigene Kinder
zu geben. Nur außergewöhnliche Männer und Frauen, die in Ras¬
sefragen besonders gut bewandert sind, sollten als Leiter von
Heimen, wie ich sie mir vorstelle, in Betracht gezogen werden.“
Und im Mai 1944 erklärte Himmler vor einem Kreis höherer
Beamter : „In diesen Lebensbornheimen, die selbstverständlich, wie
alles, was neu ist, zunächst einmal mit einigen Kübeln voll Dreck
und Eimern voll Jauche begossen wurden — sie wurden ah Zucht¬
anstalten, Beschälanstalten und so etwas Ähnlihes kingestellt —,
haben wir eheliche und uneheliche Mütter von Anfang an aufge-
nommen. Im allgemeinen ist das Verhältnis von ehelichen und
unehelichen Müttern, 40 ehelichen und 40 unehelichen, höchstens
halb zu halb. Es wird jede Frau in diesen Heimen mit ih rem Vor¬
namen angesprochen. Die eine ist eben die Frau Maria und die
andere ist die Frau Elisabeth oder wie sie sonst heißt. In den
Heimen fragen die Frauen untereinander mckt danach, ob sie
verheiratet sind' oder nicht ... Ick habe dann im Jahre 1939 nach
dem Polenfeldzug, ds feststand, daß wir in dem WestfeUzug
gehen müßten .., den Befehl herausgegeben, der damals viel Staub
aufwirbelte und der mir einige weitere Kübel und Eimer voll
Dreck einbrachte. In diesem Befehl sagte ich: Jeder SS-Mann soll „
bevor er im Feld geht , eim Kind zeugen... Ich bim ... zu den
175
Dingen auch durch Erfahrung gekommen, durch Überlegung und
durch Erfahrung. Die Überlegung ging dahin: Die Natur hat es
nun einmal so eingerichtet, daß auch das wertvollste Erbgut für
die Nation in dem Augenblick verloren ist, wo es nicht weiterge¬
geben wird. Gerade der Träger des wertvollsten Erbguts wird der
tapferste Soldat sein und am ehesten fallen. Eine Nation, die in
25 Jahren zwei Riesenkriege durchmachte und im ersten Welt¬
krieg — nehmen Sie an zwei Millionen im Altreich und ungefähr
600 000/700 ÖQQ in der Ostmark, also zusammen rund 2,6 bis
2,7 Millionen ... an Toten verloren hat, kann sich, wenn sie wei¬
terleben will und wenn das Opfer der Toten des vergangenen und
dieses Krieges einen Sinn haben soll, diesen Aderlaß der Besten
in Zukunft nicht leisten* Zit. nach Fmenkel, Heinrich und Man-
vell, Roger, Himmler. Kleinbürger und Massenmörder. Berlin 1965,
S. 93 ff.
9
Die Ehe des körperlich kleinen, schrulligen, fatalistisch (evange¬
lisch) gläubigen, sehr tierliebenden, sensiblem, unsteten, ungeduldi¬
gen, launenhaften und undurchsichtigen Abwekrchefs Canaris mit
der belesenen, musikalischen, der Anthroposophie zugetanen und
auf ihren Mann eigentlich nur vor Gästen eingehenden herben
Pforzheimer Industriellentochter Erika Waag, war weder glück¬
lich noch harmonisch, zumal die Kinder (vgl, den nächsten Kom¬
mentar) als problematisch und mißraten bezeichnet werden mu߬
ten. Ganz offensichtlich suchte er im Rahmen seiner beruflichen
Tätigkeit und im Umgang mit seinen Dackeln, über die er Notizen
machte und sogar psychologische Essays schrieb , skh einen Aus¬
gleich zu schaffen. Wenn er erschöpft war, schloß er sids mit den
Hunden in seiner Dienststelle, wohin er sie mitnahm, allem ein
und spielte mit ihnen (vgL Höhne, Heinz, Geheimauftrag für
Guiliermo, Der Spiegel, Nr. 34/76, S. 100), Gänzlich anders lagen
176
die Dinge bei dem körperlich stattlichen, attraktiven, sportlich
sehr erfolgreichen, ehrgeizig-zielstrebigen Heydrich, der im Gegen¬
satz zu Canaris kein Ideologe war und dennoch über ein ausge¬
sprochenes Charisma verfügte, eine glückliche Ehe führte und ah
kalter und gewissenloser Macbttechmker ganz anders als sein Ge¬
genspieler strukturiert war. Bei ihm und seiner Frau existierten
Tiere entweder nur als Schutz- und Wachhunde oder — und das
ganz besonders akzentuiert, als Jagdbeute.
10
Da Canaris* Töchter Eva (geh, am 16. 12. 1923 in Kiel) und Bri¬
gitte (geh. am 16. 1. 1926 in Berlin) nur schwerlich als landläufig
normal bezeichnet werden konnten und Eva, um die es sich hier
offensichtlich handelte, wegen geistiger Defekte die Volksschule
verlassen und später im protestantischen Pflegeheim in Bethel j m-
tergebracht werden mußte (vgl. Höhne, Heinz, Geheimauftrag
Guillermo, Der Spiegel, Nr, 34/76, S. 101), hätte Heydrich sich
lächerlich gemacht, wenn er in dieser Situation anders reagiert
hätte.
Ais relativ gesichert gilt ; daß 1939 nkht Schellenberg, sondern
Heydrich der Initiator des ,JSdm Kitty“ im der Berliner Gise-
brechtstraße 11 war, in dem sorgfältig ausgewählte Dirnen mit
Diplomaten' und anderen Herren der Gesellschaft schliefen (Hono-
rar: 200 Mark). Heydrichs Spezialisten befanden sich im Keller des
Hauses und schnitten alle Äußerungen der Männer, die nicht wu߬
ten, daß überall Mikrophone angebracht waren, für die Gestapo
und den SD mit. Vgl dazu: Der Spiegel, 29, 3. 1976, Nr. 14/76,
S. 200 f.
1 77
Der außerordentlich geschickte Intrigant Shellenberg, schließlich
Chef des Auslandsnachrichtendienstes des SD, schlug sich nach Hey-
drihs Beförderung zum SS-Obergruppenführer und der Ernen¬
nung zum Stellvertretenden Reichsstatthalter von Böhmen und
Mähren auf die Seite Heinrich Himmlers, der die von Martin Bor¬
mann unterstützten Beförderungen Heydrichs durchaus „nicht be¬
geistert“ auf nahm. Daß Heydrih und Schellenberg keine Freunde
waren, ist seit jeher bekannt. Weihen Anteil Lim Heydrih an
diesem Verhältnis hatte, deuten möglicherweise ihre — auh in die¬
ser Hinsicht besonders zurückhaltenden Darstellungen an.
13
Lina Heydrih, die die britishen Geheimdienstleute kurzerhand
zu Leitern der british-niederländishen Dienste mäht, vergißt,
daß in der Aktion, durh die der britishe Spionageapparat unter¬
laufen werden sollte, Wilhelm Canaris und sein Abwehrapparat
eine wesentlihe Rolle spielten. Überzogen ist ihre Shilderung des
B An teils“, den der Arzt Max de Crinis daran hatte. Der Shellen-
berg-Freund, der im April 1945 behauptete, daß Hitler, den er
niemals behandelt hatte, offensihdih an der Parkinsonshen
Krankheit litte, was nahweislih niht der Fall war, hat in der
Affäre niht mehr als die Rolle eines Zushauers gespielt. Heinz
Höhne stellt diese Affäre in seinem Standardwerk ,JDer Orden
unter dem Totenkopf ** wie folgt dar:
Mitte Oktober 1939 hatte SD-Führer Walter Shellenberg von
Heydrih den Auftrag erhalten , in dem damals noh neutralen
Holland mit dem vielbeneideten Intelligence Service des britishen
Kriegsgegners ein Geheimdienstspiel zu beginnen, von dem sih
der SD-Chef (Heydrich) mancherlei erhoffte: Einblich in die Me¬
thoden des britischen Nachrichtendienstes, in die Zusammenarbeit
zwischen den Geheimdiensten Hollands und Englands und in die
Kontakte des Auslands zur innerdeutschen Opposition. Ein deut¬
scher Emigrant in Holland namens Dr. Franz, als SD-Agent
unter der Kennziffer F 479 geführt , erfreute sich guter Beziehun¬
gen zu dem Briten-Geheimdienst. Er verkehrte mit Captain S.
Payne Best, dem Beauftragten des Intelligence Service in den Nie¬
derlanden; der Captain interessierte sich besonders für die Hitler-
Opposition in den Reihen der deutschen Generale. F 479 versprach
dem Briten, Material zu liefern.
Der Ausland-SD, Amt VI des Reichssicherheitshauptamtes, ver¬
sorgte via Franz den Briten mit sorgfältig präpariertem Spielma-
terial. Im RS HA urteilte man, es würde sich vielleicht lohnen, den
Spionage-Captain genauer auszuhorchen. Für diese Mission kannte
Heydrich keinen besseren Mann als seinen Intimus Schellenberg.
Der verwandelte sich flugs in einen Hauptmann Schemmel von der
Transportabteilung des O KW, Träger eines Monokels und widb-
tiger Geheimnisse der innerdeutschen Opposition. F 479 vermit¬
telte die Verbindung, und am 21, Oktober saß der Monokelträ¬
ger Schemmel in den Niederlanden dem Mon okelträger Best ge¬
genüber.
Der Brite steuerte in seinem Buick den ScheUenberg-Schemmel im
niederländische Amkeim, wo zwei weitere Herren aus dem Spio-
nagegewerbe warteten: der britische Geheimdienst-Major Stevens
und ein holländischer Generals tabsoffizier, der sich Cop per nannte
und in Wirklichkeit Klop hieß. Die drei Fremden waren an den
Offenbarungen ihres, neuen deutschen Freundes überaus interes¬
siert. Der Deutsche gab sieb als Vertrauensmann eines Generals
aus, der mit anderen Militärs einen Staatsstreid» gegen Hitler
plane.
Man verabredete sich zu einem neuen Gespräch am 30. Oktober,
und wieder fuhr Schellenberg in die Niederlande. Zwar hatte
Copper-Klop «« klein* als Irrtum getarnte Verhaftung SM-
lenbergs arrangiert, um die Papiere des Deutschen ungestört durch-
179
sehen zu können, aber die Briten vertrauten dem SS-Mann. Sie
gaben ihm sogar ein Funkgerät für eilige Nachrichten mit, Ruf¬
zeichen: ON 4.
Die beiden Briten hatten sich inzwischen als so verkable Geheim¬
nisträger entpuppt, daß Heydrich die Idee kam, Best und Stevens
über die mederländische Grenze nach Deutschland zu entführen.
Und dies war nun just der Augenblick, da Joachim von Rippen-
trop vor seinem Führer Bedenken gegen die Methoden des SD
erhob. Indes, der Augenblick war schlecht gewählt; Adolf Hitler
fühlte sich nicht in der Stimmung, seinen SD kritisieren zu lassen.
Er verteidigte Heydricbs Männer so übelgelaunt, daß Rippentrop
einen seiner berüchtigten Purzelbäume schoß. Der Außenminister
stammelte: B Ja, mein Führer, das ist auch schon von vornherein
meine Meinung gewesen. Aber diese Bürokraten und Juristen im
Auswärtigen Amt sind ja so schwer fällig, m
Ribbentrop konnte sih noh rechtzeitig von der falsh angelegten
Attacke zurückziehen, ehe das Geheimdienstspiel Shellenbergs ins
Irrationale abrutshte. Denn: das Attentat eines einsamen Schrei¬
ners stempelte die beiden Geheimdienstler Stevens und Best zu
Figuren eines Traumas, das Hitler niht mehr aus seinem Bann
Am Abend des 8. November stoppte Nürnbergs Polizeipräsident
Martin den soeben aus München heranfahrenden Führerzug mit
Hitler und Himmler. Martin kletterte an Bord und meldete: weni¬
ge Minuten nah Beendigung der traditionellen Bürgerbräu-Rede
des Führers in München sei an der Versammlungsstätte der Alten
Kämpfer ein Attentat verübt worden; die Decke des Saals sei
eingestürzt, zehn bis zwölf Parteigenossen vermutlih tot, der
Taler noh unbekannt. Hitler shoß es sofort in den Kopf. Das war
die Tat des britishen Geheimdienstes, dahinter stecken Stevens
und Best / Himmler verstand. Er eilte ans Telefon und alarmierte
das Reihssiherheitshauptamt. Dann ließ er sih mit einer Telefon¬
nummer in Düsseldorf verbinden.
Kurz darauf klingelte es in Shellenbergs Nahtquartier. Der
SD-Mann horte Himmlers aufgeregte Stimme: m Heute abend nah
Abschluß der Ansprache im Bürgerbräukeller in München ist ein
Attentat auf den Führer verübt worden. Der Führer hatte je doch
den Saal einige Minuten zuvor verlassen. Es handelt sich hier be¬
stimmt um einen Anschlag des englischen Secret Service * Dann
gab Himmler den Befehl Hitlers durch: Sofort Stevens und Best
verhaften und ins Reich bringen. Schellenberg gehorchte. Auf das
Unternehmen war er seit Tagen vorbereitet: SD-Naujocks stand
mit einem Überfallkommando bereit, Schellenberg hatte sich mit
den beiden Briten für den Nachmittag des nächsten Tages in dem
niederländischen Grenzort Venlo verabredet.
Es war IS Uhr, als sich der SD-Mann am 9. November in einem
der grenznähsten Cafes von Venlo niederließ. Die Minuten ran¬
nen träge dahin, lähmend, entnervend. Schellenberg sah am dem
Fenster und beobachtete die Straße — der Schlag mußte kommen,
noch ehe die Briten das Cafe betreten hatten. Da sah Schellenberg,
daß Bests Buick heran fuhr. Der SS-Mann ging mit gutgespielter
Gemächlichkeit auf die Straße, um die Ankömmlinge zu begrüßen.
Best und Stevens kamen näher.
In diesem Augenblick fuhr ein offener SS-Wagen heran, durchbrach
die Grenzsperre und hielt vor den beiden Briten. Einige Maschi¬
nenpistolen feuerten, die Briten rissen ihre Pistolen heraus. Nau-
jocks sprang mit seinen Männern aus dem Wagen und überrum¬
pelte die Briten, deren holländischer Begleiter Klop war schwer
angeschossen, aber auch er wurde mitgenommen . Derweil hastete
Schdlenberg zu seinem hinter dem Kaffeehaus abgestellten Wa¬
gen — in wenigen Minuten hatte sich alles abgespielt: Der Streich
war gelungen.
Am nächsten Tag lief die deutsche Propagandamaschine an. Die
Deutsdten erfuhren , daß es dem Sicherheitsorganen des Reiches ge¬
lungen sei, die Drahtzieher des abscheulichen Attentats auf den
Führer zu verhaften. SS-Oberführer Walter Schellenberg durfte
aus dir Hand des Führers das Eiserne Kreuz Erster Klasse ■ für
seine Bravourtat wider das Völkerrecht entgegennehmen, der Dik¬
tator lud ihn sogar zusammen mit der SS-Prominenz zum Abend¬
fit
essen in der Reichskanzlei ein. An der Abendtafel bereitete freilich
der vorlaute Benjamin der SS-Führung dem Hausherrn eine arge
Enttäuschung. Er meinte, das Attentat auf den Führer sei nie¬
mals ein Werk des britishen Geheimdienstes gewesen, ganz sidser
nicht der beiden Gefangenen Stevens und Best; seines Erachtens
habe nur einer das Attentat auf dem Gewissen, eben der Täter —
Georg Elser.
Himmler dämpfte sofort; „Mein Führer, das ist nur seine (Schel¬
lenbergs) Auffassung.“ In Wahrheit war es die einheitliche Mei¬
nung des Reichssicherheitshauptamtes. Schellenberg hatte zuvor die
Akten des Reihskriminalpolizeiamtes studiert, und die ließen nur
einen Schluß zu: Elser war der Al lein tat er. Kripo-Chef Hebe war
noch in der Nacht -zum 9. November mit der Sonderkommission
® Attentat * (Mitglieder: Heydrich, Gestapo-Müller, Nebe-Stellver-
treter Lobbes und Sprengstoff experten) vom Flugplatz Döberitz
aufgebrochen, um die Spuren im Münchener Bürgerbräukeller zu
siihem. Nebe fand allerdings nicht viel mehr, als die Kripo-Leit-
stelle München bereits registriert hatte ... Hohne, Heinz, Der Or¬
den unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS. Gütersloh 1967,
S. 263 ff.
Zu den vom Erfolg her spektakulärsten Leistungen Heydrichs im
Rahmen seines ursprünglichen Aufgabenbereiches gehörte zweifel¬
los die (von Lina Heydrich in persönlichen Gesprächen abgestrit¬
tene) Beeinflussung der großen ,,Säuberung** Stalins (Tuchatschew-
ski-Affäre) vor dem Zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich Ende 1936
hatten Hitler und Himmler einen Plan zur Lähmung der Roten
Armee ausgeheckt. Im Aufträge Heydrichs war vom SS-Sicber-
heitsdienst im März 1937 eine 32 Seiten umfassende Akte herge¬
stellt worden, die eine fingierte Korrespondenz zwischen Offizie¬
ren des deutschen Heeres und dem sowjetischen Marschall, Stabs¬
chef und stellvertretenden Kriegsminister (1931 — 1937) Michael
Tuekatschewski enthielt, wobei die Unterschriften der deutschen
Militärs von Bankschecks und Tuchatschewskis Unterschrift von
Schreiben aus der Zeit der Zusammenarbeit der Reichswehr mit
der Roten Armee kopiert worden waren. Ein gefälschter Tucha-
182
tschewski-Brief erweckte den Eindruck, daß Tuchatsehewski für
Deutschland spioniere , Hitler ließ das Material dem NKWD Zu¬
spielen, der es Mitte Mai Stalin zur Verfügung stellte und ihm eine
Handhabe lieferte, die ihm unliebsamen Generale der Roten Armee
unter Anklage zu stellen und liquidieren zu lassen. Schon im Mai
1937 begannen die Verhaftungen und Erschießungen. Vgl. dazu
Conquest, Robert, in Der Spiegel, Nr. 7 vom 8. 2. 1971. Nach
sowjetischen Berechnungen fielen der „Säuberung” zum Opfert
3 von den 3 Marschällen, 14 von den 16 Armee-Befehlshabern 1.
und II. Ranges, 8 von den 8 Admiralen I. und II. Ranges, 60 von
den 67 Kommandierenden Generalen, 136 von den 199 Divisions¬
kommandeuren und 221 von den 397 Brigadekommandeuren. Alle
11 stellvertretenden Verteidigungskommissare und 73 der 80 Mit¬
glieder des Obersten Kriegsrats wurden entfernt. Darüber hinaus
wurden rund 33 000 Offiziere unterer Ränge, ungefähr die Hälfte
des gesamten Offizierkorps, ersdzossen oder inhaftiert. Vgl. Der
Spiegel, ebenda, S. 121, Maser, Werner, Adolf Hitler. Legende-
Mytkos-WirkUchkeh. München 1971 ff., S. 301 f. (zit. nach der
6. Auß.).
Gewöhnliche m Volk$genossen m haben während des Krieges, in dem
sogar Todesurteile für unerlaubtes (nicht genehmigtes) Schlachten
von Schweinen und Vieh verhängt wurden, derartige Vorteile
nicht genossen. Allem die Tatsache, daß Una Heydrich über
200 000 Quadratmeter Land verfügte, auf dem sie anbauen und
ernten konnte, was sie für nötig hielt, hob die Heydrich-Familie
auf eine Ebene, die außerhalb dessen lag, was als „normal 0 galt.
183
15
Heydrihs persönlicher Anteil an der „Auslösung“ des Polenfeld¬
zuges wurde der Öffentlichkeit erst relativ spät bekannt , Bereits im
August 1939 hatte er dem SD-Mitglied Naujoeks befohlen, einen
polnischen Anschlag auf die Radiostation bei Gleiwitz vorzutäu-
schen (Eidesstattliche Erklärung von Naujoeks vom 20, 11, 1943
vor dem IMT. IMT, Bd, XXXI, Dok. 2371-PS), um den späteren
deutschen Einfall in Polen gegenüber dem Ausland besser recht-
fertigen zu können. Heydrih befahl Naujoeks, wie dieser vor dem
IMT aussagte, 3 oder 6 Männer des SD zu nehmen, mit ihnen auf
ein vereinbartes Stichwort hin den Sender zu überfallen, sich seiner
zu bemächtigen und durch einen polnisch sprechenden Deutschen
eine Rede über den Sender hallen zu lassen, in der zum Ausdruck
gebracht werde, daß die Zeit für die Auseinandersetzung zwischen
Polen und dem Reich gekommen sei. Ein bereits verurteilter, be¬
wußtloser und blutverschmierter Verbrecher in Zivilkleidung, der
Naujoeks vom SD zur V erfügung gestellt worden war, wurde vom
SD-Kommando „nah vollendeteT Tat ,( zurückgelassen.
Da Lina Heydrih die Wannsee-Konferenz trotz aller inzwischen
publizierten eindeutigen Untersuchungen immer noch als positive
Bilanz in Heydrihs Tätigkeit darzusteUen versucht, erscheint es
angebracht, an dieser Stelle das vollständige und als „Geheime
Reihssache“ behandelte und seinerzeit von rund 200 Personen ge¬
lesene SitzungsprotokoU zu zitieren;
BesprehungspmtokolL
I. An der am 20; 1.1942 in Berlin, Am Großen Wannsee Nr. 361
184
1
i
i
58, stattgefundenen Besprechung über die Endlösung der Judenfra- j
ge nahmen teil: j
Gauleiter Dr. Meyer und
Reichsministermm j
Reichsamtsleiter Dr. Leib Brandt
für die besetzten ;
Ostgebiete
Staatssekretär Dr. Stuckart
Reichsministerium
des Innern
Staatssekretär Neumann
Beauftragter für
den Vierjahresplan
Staatssekretär Dr. Freister
Reichsjustiz-
ministerium
Staatssekretär Dr. Buhler
Amt des General-
gouvemeurs
Unterstaatssekretär Luther
Auswärtiges Amt
SS-Oberführer Klopfer
Partei-Kanzlei
Ministerialdirektor Kritzinger
Reichskanzlei
SS-Gruppenfuhrer Hofmann
Rasse- und Sied -
lungshaup tarnt
SS-Gruppenführer Müller
Reichssicherheits¬
SS-Obersturmbann führet Eichmann
hauptamt
SS-Oberführer Dr. Schöngarth
Sicherheitspolizei
Befehlshaber der Sicherheitspolizei
und des SD im Generalgouvernement
und SD
SS-Sturmbannführer Dr. Lange
Sicherheits polizei
Kommandeur der Sicherheitspolizei und
des SD für den Generalbezirk Lettland,
als Vertreter des Befehelshabers der
Sicherheitspolizei und des SD für das
Reidrskommissarmt Ostland.
und, SB
//. Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS •Obergruppenführer
Heydrich, teilte eingangs seine Best
ellung zum Beauftragten
für die Vorbereitung der Endlösung der
europäischen Judenfrage
185
durch den Reichsmarschall mit und wies darauf hin, daß zu dieser
Besprechung geladen wurde, um Klarheit in grundsätzlichen Fra¬
gen zu schaffen. Der Wunsch des Reichsmarschalls, ihm einen Ent¬
wurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Belan¬
ge im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage zu
übersenden, erfordert die vorherige gemeinsame Behandlung aller
an diesen Fragen unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen im Hin¬
blick auf die Parallelisierung der Linienführung.
Die Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Juden¬
frage liege ohne Rücksicht auf geographische Grenzen zentral beim
Reichsfüh rer-SS und Chef der Deutschen Polizei (Chef der Sicher¬
heitspolizei und des SD).
Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD gab sodann einen kur¬
zen Rückblick über den bisher geführten Kampf gegen diesen Geg¬
ner. Die wesentlichsten Momente bilden
a) die Zurückdrängung der Juden aus den einzelnen Lebens¬
gebieten des deutschen Volkes,
b) die Zurückdrängung der Juden aus dem Lebensraum
des deutschen Volkes.
Im Vollzug dieser Bestrebungen wurde als einzige vorläufige Lö¬
sungsmöglichkeit die Beschleunigung der Auswanderung der Juden
aus dem Reichsgebiet verstärkt und planmäßig in Angriff genom¬
men.
Auf Anordnung des Reichsmarschalls wurde im Januar 1939 eine
Reichszentrale für jüdische Auswanderung errichtet, mit deren Lei¬
tung der Chef der Sicherheitspolizei und des SD betraut wurde.
Sie hatte insbesondere die Aufgabe
a) alle Maßnahmen zur Vorbereitung einer verstärkten Aus¬
wanderung der Juden zu treffen,
b) den Auswanderungsstrom zu lenken,
c) die Durchführung der Auswanderung im Einzelfall zu be¬
schleunigen.
186
Das Aufgabenziel war, auf legale Weise den deutschen Lebens¬
raum von Juden zu säubern ,
Uber die Nachteile, die eine solche Auswanderungsforcierung mit
sich brachte, waren sich alle Seiten im klaren. Sie mußten jedoch
angesichts des Fehlens anderer Lösungsmöglichkeiten vorerst in
Kauf genommen werden.
Die Auswanderungsarbeiten waren in der Folgezeit nicht nur ein
deutsches Problem, sondern auch ein Problem, mit dem sich die
Behörden der Ziel- bzw. Einwandererländer zu befassen hatten ,
Die finanziellen Schwierigkeiten wie Erhöhung der Vorzeige- und
Landungsgelder seitens der verschiedenen ausländischen Regierun¬
gen, fehlende Schiffsplätze, laufend verschärfte Einwanderungsbe¬
schränkungen oder -sperren, ershwerten die Auswanderungsbe¬
strebungen außerordentlich. Trotz dieser Schwierigkeiten wurden
seit der Machtübernahme bis zum Stichtag 31. 10. 1941 insgesamt
rund 537 000 Juden zur Auswanderung gebracht. Davon
vom 30. 1. 1933 aus dem Altreich rd, 360 000
vom 15.3. 1938 aus der Ostmark rd. 147 000
vom 15.3. 1939 aus dem Protektorat Böhmen
und Mähren rd. 30 000
Die Finanzierung der Auswanderung erfolgte durch die Juden
bzw. jüdisch-politischen Organisationen selbst. Um den Verbleib
der verproletarisierten Juden zu vermeiden, wurde nah dem
Grundsatz verfahren, daß die vermögenden Juden die Abwande¬
rung der vermögenslosen Juden zu finanzieren haben; hier wurde,
je nach Vermögen gestaffelt, eine entsprechende Umlage bzw. Aus-
wandererabgabe vorgeschrieben, die zur Bestreitung der finanziel¬
len Obliegenheiten im Zuge der Abwanderung vermögensloser Ju¬
den verwandt wurde.
Neben dem Reichsmark-Auf kommen sind Devisen für Vorzeige-
und Landungsgelder erforderlich gewesen . Um den deutschen De¬
visenschatz zu schonen, wurden die jüdischen Finanzinstitutionen
des Auslandes durch die jüdischen Organisationen des Inlandes
verhalten } für die Beitreibung mtsprechender Devisenaufkommen
117
Sorge zu tragen. Hier wurden durch diese ausländischen Juden im
Schenkungswege bis zum 30. 10. 1941 insgesamt rund 9 300 000
Dollar zur Verfügung gestellt.
Inzwischen hat der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Poli¬
zei im Hinblick auf die Gefahren einer Auswanderung im Kriege
und im Hinblick auf die Möglichkeiten des Ostens die Auswande¬
rung von Juden verboten.
III. Anstelle der Auswanderung ■ist nunmehr als weitere Lösungs¬
möglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch
den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten.
Diese Aktionen sind jedoch lediglich ah Ausweichmöglichkeiten
anzusprechen , doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrun¬
gen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der
Judenfrage von wiktiger Bedeutung sind.
Im Zuge dieser Endlösung der europäisken Judenfrage kommen
rund 11 Millionen Juden in Betrakt, die sich wie folgt auf die
einzelnen Länder verteilen:
Land
Zahl
Altreich
131 800
Ostmark
43 700
Ostgebiete
420 000
Generalgouvernement
2 284 000
Bialystok
400 000
Protektorat Böhmen und Mähren
74 200
Estland — judenfrei —
Lettland
3 300
Litauen
34 000
Belgien
43 000
Dänemark
3 600
Frankreik / Besetztes Gebiet
163 000
Unbesetztes Gebiet
700 000
Griekenland
69 600
181
Niederlande
160 800
Norwegen
1300
B. Bulgarien
48 000
England
330 000
Finnland
2 300
Irland
4 000
Italien einschl. Sardinien
38000
Albanien
2 00
Kroatien
40 000
Portugal
3 000
Rumänien einschl. Bessarabien
342 000
Schweden
8 000
Schweiz
18 000
Serbien
10 000
Slowakei
88 000
Spanien
6 000
Türkei (europ. Teil)
35 500
Ungarn
742 800
UdSSR
5000000
Ukraine 2 994 684
Weißrußland
ausschl. Bialystok 446 484
Zusammen: über
11 000 000
Bei den angegebenen Judenzahlen der verschiedenen ausländischen
Staaten handelt es sidt jedoch nur um Glaubensjuden, da die Be¬
griffsbestimmungen der Juden nach rassischen Grundsätzen teil¬
weise dort noch fehlen. Die Behandlung des Problems in den ein¬
zelnen Ländern wird im Hinblick auf die allgemeine Haltung und
Auffassung auf gewisse Schwierigkeiten stoßen , besonders in Um¬
garn und Rumänien. So kann sich z. B. heute noch in Rumänien
der Jude gegen Geld entsprechende Dokumente, die ihm eine frem¬
de Staatsangehörigkeit amtlich bescheinigen, beschaffen.
Der Einfluß der Juden auf alle Gebiete in der UdSSR ist bekannt.
189
Im europäischen Gebiet leben etwa 5 Millionen, im asiatischen
Raum knapp 1/4 Million Juden.
Die berufsständische Aufgliederung der im europäischen Gebiet der
UdSSR ansässigen Juden war etwa folgende:
In der Landwirtschaft
9,1 */o
als städtische Arbeiter
14,8 9 /o
im Handel
20,0 9 Io
als Staatsarbeiter angestellt
23,4 9 io
in den privaten Berufen —
Heilkunde, Presse, Theater , usw.
32,7 9 /o
Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung
die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kom¬
men. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter,
werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete
geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminde¬
rung aus fallen wird.
Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei
diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, ent¬
sprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürUdie
Auslese darstellend, bet Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdi¬
schen Aufbaues anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der Ge¬
schichte.)
Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Euro¬
pa vom Westen nach Osten durchgekämmt , Das Reichsgebiet ein¬
schließlich Protektorat Böhmen und Mähren wird, allein schon aus
Gründen der Wohnungsfrage und sonstigen sozial-politischen Not¬
wendigkeiten, vorweggenommen werden müssen.
Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenann¬
te DurchgangsgheMos verbracht, um von dort aus weiter nach dem
Osten transportiert zu werden.
Wichtige Voraussetzung, so führte SS-Obergmppenführer Hey -
drich weiter aus, für die Durchführung der Evakuierung über¬
haupt, ist die genaue Festlegung des in Betracht kommenden Per¬
sonenkreises.
190
Es ist beabsichtigt, Juden im Alter von über 65 Jahren nicht zu
evakuieren , sondern sie einem Altersghetto — vorgesehen ist The¬
resienstadt — zu überstellen.
Neben diesen Altersklassen — von den am 31.10.1941 sich im
Altreich und der Ostmark befindlichen etwa 280 000 Juden sind
etwa 30 9 h über 65 Jahre ah — finden in den jüdischen Alters¬
ghettos weiterhin die Schwerkriegsbeschädigtem Juden und Juden
mit Kriegsauszeichnungen (EK 1) Aufnahme. Mit dieser zweckmä¬
ßigen Lösung werden mit einem Shlag die vielen Interventionen
aus geschaltet.
Der Beginn der einzelnen größeren Evakuierungsaktionen wird
weitgehend von der militärischen Entwicklung abhängig sein. Be-
züglih der Behandlung der Endlösung in den von uns besetzten
und beeinflußten europäischen Gebieten wurde vorgeschlagen , daß
die in Betraht kommenden Sachbearbeiter des Auswärtigen Am¬
tes sich mit dem zuständigen Referenten der Siherheitspolizei und
des SD besprechen.
In der Slowakei und Kroatien ist die Angelegenheit niht mehr
allzu schwer } da die wesentlihsten Kernfragen in dieser Hinsiht
dort bereits einer Lösung zmgeführt wurden. In Rumänien hat die
Regierung inzwishen ebenfalls einen Judenbeauftragten einge¬
setzt, Zur Regelung der Frage in Ungarn ist es erforderlich, in
Zeitkürze einen Berater für Judenfragen der Ungarischen Regie¬
rung aufzuoktroyieren.
HmsihtUh der Aufnahme der Vorbereitungen zur Regelung des
Problems in I talien hält SS-Ober gruppen fükrer H e y d r i c h
eine Verbindung Polizei-Chef in diesen Belangen für angebracht.
Im besetzten und unbesetzten Frankreih wird die Erfassung der
Juden zur Evakuierung aller Wahrscheinlichkeit nah ohne große
Schwierigkeiten vor shh gehen J können.
Unterstaatssekretär Luther teilte hierzu mit, daß bei tiefge¬
hender Behandlung dieses Problems m einigem Ländern , so in den
nordishen Staaten, Schwierigkeiten auftauhen werden, und es sih
daher empfiehlt , diese Länder vorerst noch zurückzustellen , In An-
191
betracht der hier in Frage kommenden geringen Judenzahlen bildet
diese Zurückstellung ohnedies keine wesentliche Einschränkung.
Dafür sieht das Auswärtige Amt für den Südosten und Westen
Europas keine große Schwierigkeiten.
SS-Gruppenführer H o f m a n n beabsichtigt, einen Sachbearbei¬
ter des Rasse- und Siedlungshauptamtes zur allgemeinen Orientie¬
rung dann nach Ungarn mitsenden zu wollen, wenn seitens des
Chefs der Sicherheitspolizei und des SD die Angelegenheit dort in
Angriff genommen wird. Es wurde festgelegt, diesen Sachbearbei¬
ter des Rasse- und Siedlungshauptamtes, der nicht aktiv werden
soll, vorübergehend offiziell als Gehilfen zum Polizei-Attache ab¬
zustellen.
IV. Im Zuge der Endlösungsvorhaben sollen die Nürnberger Ge¬
setze gewissermaßen die Grundlage bilden, wobei Voraussetzung
für die restlose Bereinigung des Problems auch die Lösung der
Mischehen- und Mischlingsfragen ist.
Chef der Sicherheitspolizei und des SD erörtert im Hinblick auf
ein Schreiben des Chefs der Reichskanzlei zunächst theoretisch die
nachstehenden Punkte:
1) Behandlung der Mischlinge 1. Grades.
Mischlinge 1. Grades sind im Hinblick auf die Endlösung der Ju¬
denfrage den Juden gleichgestellt.
Von dieser Behandlung werden ausgenommen:
a) Mischlinge 1. Grades verheiratet mit Deutschblütigen, aus deren
Ehe Kinder (Mischlinge 2. Grades) hervorgegangen sind. Diese
Mischlinge 2. Grades sind im wesentlichen den Deutschen gleichge¬
stellt.
b) Mischlinge t. Grades, für die von den höchsten Instanzen der
Partei und des Staates bisher auf irgendwelchen Lebensgebieten
Ausnahmegenehmigungen erteilt worden sind.
Jeder Einzelfall muß überprüft werden, wobei nicht ausgeschlos¬
sen wird, daß die Entscheidung nochmals zu Ungunsten des Misch¬
lings amfällt.
192
Voraussetzungen einer A usrmbmebewilügung müssen stets grund¬
sätzliche Verdienste des in Frage stehenden Mischlings selbst sein.
(Nicht Verdienste des deutscbblütigen Eltern- oder Eheteiles.)
Der von der Evakuierung auszunehmende Mischling 1. Grades
wird — um jede Nachkommenschaft zu verhindern und das Misch¬
lingsproblem endgültig zu bereinigen — sterilisiert. Die Sterilisie¬
rung erfolgt freiwillig. Sie ist aber Voraussetzung des Verbleibens
im Reith. Der sterilisierte „Mischling " ist in der Folgezeit von al¬
len einengenden Bestimmungen, denen er bislang unterworfen ist,
befreit.
2) Behandlung der Mischlinge 2. Grades.
Die Mischlinge 2. Grades werden grundsätzlich den Deutschblüti-
gen zugeschlagen, mit Ausnahme folgender Fälle , in denen die
Mischlinge 2. Grades den Juden gleichgestellt werden:
a) Herkunft des Mischlings 2. Grades aus einer Bastardehe (beide
Teile Mischlinge).
b) Rassisch besonders ungünstiges Erscheinungsbild des Mischlings
2. Grades, das ihn schon äußerlich zu den Juden rechnet.
c) Besonders schlechte polizeiliche und politische Beurteilung des
Mischlings 2. Grades, die erkennen läßt, daß er sich wie ein Jude
fühlt und benimmt.
Auch in diesen Fällen sollen aber dann Ausnahmen nicht gemacht
werden, wenn der Mischling 2. Grades deutschblütig verheiratet
ist.
3) Ehen zwischen Volljuden und Deutschblütigen.
Von Einzel fall zu Einzel fall muß hier entschieden werden, ob der
jüdische Teil evakuiert wird, oder ob er unter Berücksichtigung auf
die Auswirkungen einer soldsen Maßnahme auf die deutschen Ver¬
wandten dieser Mischehe einem Altersghetto überstellt wird.
4) Ehen zwischen MisMingen 1. Grades und Deutschblutigen,
a) ohne Kinder.
Sind aus der Ehe keim Kinder hervorgegangen, wird der Mish-
ling 1. Grades evakuiert bzw. einem Altersghetto überstellt, (Glei¬
che Behandlung wie bei Eben zwischen Volljuden und Deutschblü-
tigen, Punkt 3.)
b) Mit Kindern.
Sind Kinder aus der Ehe hervor ge gangen (Mischlinge 2. Grades),
werden sie, wenn sie den Juden gleichgestellt werden, zusammen
mit dem Mischling 1. Grades evakuiert bzw. einem Ghetto über¬
stellt. Soweit diese Kinder Deutschen gleichgestellt werden (Regel¬
fälle), sind sie von der Evakuierung auszunehmen und damit auch
der Mischling 1. Grades.
5) Ehen zwischen Mischlingen 1. Grades und Mischlingen 1. Gra¬
des oder Juden.
Bei diesen Ehen (einschließlich der Kinder) werden alle Teile wie
Juden behandelt und daher evakuiert bzw. einem Altersghetto
überstellt.
6) Ehen zwischen Mischlingen 1. Grades und Mischlingen 2. Gra¬
des.
Beide Eheteile werden ohne Rücksicht darauf, ob Kinder vorhan¬
den sind oder nicht, evakuiert bzw. einem Altersghetto überstellt,
da etwaige Kinder rassenmäßig in der Regel einen stärkeren jüdi¬
schen Bluteinscblag auf weisen, als die jüdischen Mischlinge 2. Gra¬
des.
SS-Gruppenführer H o f m ann steht auf dem Standpunkt, daß
von der Sterilisierung weitgehend Gebrauch gemacht werden muß;
zumal der Mischling vor die Wahl gestellt, ob er evakuiert oder
sterilisiert werden soll, sich lieber der Sterilisierung unterziehen
würde.
Staatssekretär Dr. Stuckart stellt fest, daß die praktische
Durchführung der eben mitgeteilten Lösungsmöglichkeiten zur Be¬
reinigung der Mischehen- und Mischlings fragen in dieser Form eine
unendliche Verwaltungsarbeit mit sich bringen würde. Um zum
anderen auf alle Fälle auch den biologischen Tatsachen Rechnung
zu tragen, schlug Staatssekretär Dr. Stuck art vor, zur Zwangs -
Sterilisierung zu streiten.
194
Zur Vereinfachung des Mischehenproblems müßten ferner Möglich¬
keiten überlegt werden, mit dem Ziel, daß der Gesetzgeber etwa
sagt: „Diese Ehen sind geschieden“.
Bezüglich der Frage der Auswirkung der Judenevakuierung auf
das Wirtschaftsleben erklärte Staatssekretär Neumann, daß
die in kriegswichtigen Betrieben im Arbeitseinsatz stehenden Juden
derzeit , solange noch kein Ersatz zur Verfügung steht, nicht eva¬
kuiert werden könnten.
SS-Obergruppenführer Hey d rieh wies darauf hin, daß diese
Juden nach den von ihm genehmigten Richtlinien zur Durchfüh¬
rung der derzeit laufenden Evakuierungsaktionen ohnedies nicht
evakuiert würden.
Staatssekretär Dr. Buhler stellte fest , daß das Generalgouver¬
nement es begrüßen würde, wenn mit der Endlösung dieser Frage
im Generalgouvernement begonnen würde, weil einmal hier das
Transportprobiem keine übergeordnete Rolle spielt und arbeitsein¬
satzmäßige Gründe den Lauf dieser Aktion nicht behindern wür¬
den. Juden müßten so schnell wie möglich aus dem Gebiet des Ge¬
neralgouvernements entfernt werden, weil gerade hier der Jude als
Seudrenträger eine eminente Gefahr bedeutet und er zum anderen
durch fortgesetzten Schlei&bandel die wirtschaftlidbe Struktur des
Landes dauernd in Unordnung bringt. Von dm in Frage kommen¬
den etwa 2*lt Millionm Juden sei überdies die Mehrzahl der Fälle
arbeitsunfähig,
Staatssekretär Dr, Buhler stellt weiterhin fest, daß die Lösung
der Judenfrage im Generalgouvernement federführend beim Chef
der Sicherheitspolizei und des SD liegt und seine Arbeiter durch
die Behörden des Generalgouvernements unterstützt würden. Er
hätte nur eine Bitte, die Judenfrage in diesem Gebiet so schnell wie
möglich zu lösen.
Abschließend wurden die verschiedenen Arbeiten der Losungsmög-
lichkeiten besprodhem, wobei sowohl seitens des Gauleiters Dr.
Meyer als auch seitens des Staatssekretärs Dr. Bühle r der
Standpunkt vertreten wurde, gewisse vorbereitende Arbeiten im
Zuge der Endlösmng gleich m dm betreffenden Gebieten selbst
195
durhzuführen, wobei jedoch eine Beunruhigung der Bevölkerung
vermieden werden müsse.
Mit der Bitte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an die
Besprechungsteilnehmer , ihm bei der Durchführung der Lösungsar¬
beiten entsprechende Unterstützung zu gewähren, wurde die Be¬
sprechung geschlossen. Zit. nach Kempner, Robert M. W., Eich¬
mann und Komplizen. Zürich, Stuttgart und Wien 1961, S. 133 ff.
17
Adolf Hitler, dem Reinhard Heydrih vortragen sollte, befand
sich am 27. und 28. Mai 1942 nicht in Berlin, sondern in seinem
Führerhauptquartier „ Wolfsschanze“ in Ostpreußen. Am 29, und
30. Mai hielt er sich in Berlin auf und war am 31. Mai wieder in
der „Wolfsschanze”, wo er am 6. Juni , 2 Tage nach Heydrihs
Tod, nachdrücklich befahl, künftig alle Sicherheitsbestimmungen
unbedingt einzuhallen. Jetzt in Prag, so sagte er ah Seitenhieb auf
Heydrich, „in offenem, ungepanzertem Wagen zu fahren”, sei ein
„Blödsinn”, der „der Nation nichts nütze”. Vgl. Picker, Henry,
Hitlers Tischgespräche. Stuttgart 1963, S. 386.
Immer wieder ist in Lina Heydrichs Bericht vom Geld die Rede:
Reinhard Heydrichs Eltern, Reinhard Heydrich, ihre Ehern und
sie selbst hatten es nah ihren Angaben nicht , bevor sie Reinhard
Heydrichs Frau wurde. Doch auch nah 1933, so gibt sie an, habe
es stets Geldschwierigkeiten im Hause Heydrih gegeben. Rein¬
hard Heydrih bekam im Jahre 1940 (1. 1. bis 31. 12. 1940)
196
18 086,28 Mark netto ausgezahlt. Von seinem Brutto-Gehalt von
19 778,52 Mark gingen 1 928,16 Mark Lohnsteuer und 964,08
Mark Kriegszuschlag ah. Steuerfrei erhielt er zusätzlich 1 200 Mark
als Dienstaufwandsentschädigung (Ministerialzulage). Bescheini¬
gung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 13. 2. 1941
(Zeichen: I-HB. Nr. 5206/40: US-Document-Center Berlin). Mo¬
natlich verfügte der Hey drich-Hamhalt aus dem Gehalt Heydrichs
über 1 507,19 Mark. 1942 waren es vom 1. Januar bis zum 31,
Mai insgesamt 11 113,50 Mark brutto. Davon wurden 1 833 ,—
Mark Lohnsteuer und Kriegszuschlag und 81,65 Mark Bürger¬
steuer abgezogen, so daß Frau Heydrick monatlich 1 843,77 Mark
zur Verfügung standen. Nach Heydrichs Tod erhielt sie (vom
1. 6. bis 30. 9. 1942) zunächst monatlich 1 868,39 Mark netto.
Schreiben (mit Anlagen) der Adjutantur des Chefs der Sicher¬
heitspolizei und des SD vom 17. 11. 1942 an das Finanzamt
Berlin-Zehlendorf: US-Document-Center Berlin. Mietfrei standen
ihr und ihren Kindern darüber hinaus das Schloß jungfern-Bre-
schan mit dem 7 ha großen Park, der Gärtnerei und einem Teil
der Ländereien, das Haus in Berlm-Schlachtensee und ihr Sommer¬
haus auf der Insel Fehmarn zur Verfügung. Für die Zeit vom 1. IQ.
bis zum 31. 12. 1942 wurden ihr vom „Chef der Sicherheitspoli¬
zei und des SD* am 16. 11. 1942 als voraussichtliche Leistungen
zugesichert: 1 756^5 Mark monatlich von der Staatspolizeistelle
Berlin, 1 072,80 Mark Waisengeld und 90 ,— Mark Witwen- und
Waisenzulage und 444^24 Mark Umstellungsbeihilfe vom Versor¬
gungsamt Berlin-Schömberg. Die Abzüge entsprachen den übli¬
chen Regelungen. Von der Witwen- und Waisen zutage und von
der Umstellungsbeihilfe wurden gar keine Lohnsteuer abgezogen.
US-Document-Center Berlin, Die Deutsche Wehrmacht zahlte
während des Krieges für Trakehner Remonten (3- bis 5-jährige
Pferde) durchschmittliS 1500 Mark. Ein Auto der Marke „Opel
Kapitän* kostete (1938) 3 000 , ein „Mercedes* 170 R 3 700 Mark.
Für Herren-Anzüge waren zwischen 50 und 100 Mark zu zahlen.
Einzelbettzimmer mit fließendem Wasser und „Staatstelefon* im
Frankfurter Nobel-Hotel »Vier Jahreszeiten* kosteten (1941/42)
2,50 bis 3 ,— Mark pro Tag.
Lina Heydrich ignoriert die Tatsache, daß bereits im Winter
1941/42, also zu Lebzeiten Heydrichs, in Belzec (an einem Neben¬
gleis der Bahnlinie Lublin — Lemberg) damit begonnen wurde, ein
Vernichtungslager (im Rahmen der Aktion »Reinhard* war es
das erste Lager dieser Art) einzurichien. Vgl. dazu das Urteil des
Schwurgerichts bei dem Landgericht München vom 21. 1. 1965
(Az IV 56/64, lJÖ Ks 3/64) und Vierteljahrshefte für Zeit ge¬
suchte, H. 7, 1959, S. 333 ff. Ob die Bezeichnung »Einsatz Rein¬
hard* (gelegentlich auch ... „Reinhardt*), wie die systematisch
betriebene Judenvernichtung im Osten (spätestens) seit 1942 um¬
schrieben wurde, bereits zu Heydrichs Lebzeiten formuliert wurde
(oder ob dies erst nach Heydrichs Tod geschah), ist bislang nicht
erwiesen. Die unterschiedliche Schreibweise „Reinhard* und „Rein¬
hardt* in den Dokumenten klärt diese Frage nicht. Daß Odilia
Globocnik, der zuständige SS- und Polizei führet im Distrikt Lub¬
lin, diese „Tarnbezeichnung* für den Massenmord an Juden wähl¬
te, um die Urheberschaft Heydrichs für den technischen Ablauf zu
dokumentieren, dürfte indes außer Zweifel stehen. Inspekteur des
„Reinhard*-Einsatzes (mit Sitz in Lublin) wurde im Herbst 1942
der Stuttgarter Kriminalkommissar Christian Wirth, der bis Au¬
gust 1942 Kommandant des Vernichtungslagers Belzec gewesen
war. Zur Information über den Gesamtkomplex vgl. Eisenbach,
Artur. Operation Reinhard, Mats Extermination of the Jewish
Population in Poland. Vgl. auch Vierteljahrshefte für Zeitgeschidj-
te, H. 2/1976 , 5 . 105 ff.
198
Nach der EmUeferung ins Krankenhaus wurde Heydrieh zuerst
von dem tschechoslowakischen Arzt Dr. Vladimir Snadjr behan¬
delt. Er bewunderte Heydrichs Willensstärke, Energie und Gelas¬
senheit geradezu und berichtete später: „Ich nehme eine Pinzette
und einige Tampons und untersuche Art und Umfang der Rücken¬
wunde. Heydrieh bewegt sich nicht, er zuckt mit keiner Wimper,
obwohl er starke Schmerzen haben muß " (Zit. nach Deschner, Gün¬
ther, Der Todesgott Reinhard Heydrieh. In: Das III. Reich , Ham¬
burg, H. Nr. 38, S. 5221 .
22
Am 17. Juni 1942 erfuhr die Gestapo, daß die Attentäter sich in
einer Prager Kirche versteckt hielten. Hitler warf den Prager Geist¬
lichen am 4. 7. 1942 nicht nur vor, den Attentätern erlaubt zu ha¬
ben, sich in einer Prager Vorstadtkirche zu verbergen, sondern sich
sogar im Altarraum verschanzen zu dürfen (Vgl. Picker , Henry,
Hitlers Tischgespräche, Stuttgart 1965, S. 437). Am 18. Juni be¬
kam eine Kompanie der SS-Division „Deutschland“ den Befehl,
die Attentäter zu stellen. Die SS-Männer pumpten Wasser aus der
Moldau in die Krypta, wo sich die_ Attentäter verbarrikadiert hat¬
ten. Sie sollten ertränkt werden, da es zunächst unmöglich erschien,
sie auf andere Weise zu fangen oder zu töten. Dann versuchte ein
mit einem Rammblock versehener Lastwagen eine zugemauerte
Tür zu durchbrechen, was sich als unmöglich erwies. Schließlich
sprengten Pioniere eine der großen Steinplatten, die die Krypta
verschlossen, so daß das Wasser der Moldau mit großer Kraft hin-
eimtrömen konnte. Durch diese Öffnung versuchten SS-Männer
einzudringen; aber sie wurden von den gut postierten und gedeck¬
ten Attentätern mit Maschinenpistolen erschossen. Nach einem lan¬
gen Gefedrt, in dem die Attentäter ihre Munition verbraucht hat¬
ten, erschossen sie sich selbst.
23
Hitler sah diese Dinge durchaus nicht so. So sagte er am 4. Juni
1942 im Führerhauptquartier „Wolfsschanze “ beispielsweise: Män¬
ner vom politischen Format Heydrichs müßten sich klar darüber
sein j „daß ihnen wie einem Wild auf gelauert werde“ und sie mü߬
ten wissen, daß „unzählige Leute den Gedanken haben, wie sie“
sie umbringen könnten“. Nur als „Dummheit oder reiner Stumpf¬
sinn“ müsse daher bezeichnet werden, was Heydridh getan habe.
Vgl. dazu Picker, Henry, Hitlers Tischgespräche, a.a.O. S. 386.
200
24
Benesdy und Churdy Ul wären sich einig, daß Heydrich (auf dem
Wege über ein Attentat) um der eigenen Ziele willen aus der Welt
geschafft werden mußte. Heydrichs Politik des Terrors, die sich
eigentlidy nur gegen den Widerstand richtete und seine Politik der
betonten Befriedung der allgemeinen Bevölkerung (vor allem seine
positive Sozialpolitik) hatte den tschechischen Widerstand erheblich
reduziert, woran weder Benesdy noch Churchill interessiert sein
konnten. Die viel zitierte Feststellung des britischen Labour-Abge-
ordneten Ronald T. Paget, daß die Briten aus diesem Grunde ein
Kommando zur Ermordung Heydrichs in die Tschechoslowakei ein¬
flogen, bedarf daher keines weiteren Kommentars.
25
Anfang 1962 stellte der tschechoslowakische Verband der Wider¬
standskämpfer bei der Ludwigsburger Zentralstelle zur Untersu¬
chung nationalsozialistischer Verbrechen und bei den Staatsanwalt¬
schaften in Schleswig, Düsseldorf und München Strafanträge we¬
gen Mordes und Beihilfe zum Mord gegen sieben Personen der
ehemaligen Protektomtsverwaltung in Prag, zu denen auch Lina
Heydrich gehörte. Auch die tschechoslowakische Militärmission in
West-Berlin beschuldigte Lina Heydrich (auf Dokumente und do¬
kumentarisches Bildmaterial gestützt) beträchtlich. Ihr wurde vor¬
geworfen, 1942, nach dem Tode ihres Mannes, die Hinrichtung von
90 verhafteten Tschechen durchgesetzt zu haben , die zuvor von
Frank zu KZ-Ha ft „ begnadigt“ worden waren. Sie wurde ferner
beschuldigt, die Mißhandlung jüdischer Häftlinge ungeordnet zu
haken, die auf Schloß Jungfem-Breshan arbeiten mußten. Aus
dem Archiv Franks, der 194$ nach dem Abzug der Deutschen in
201
Prag umgebracht wurde, glaubten die Prager Behörden darüber
hinaus beweisen zu können, daß Lina Heydrich 1945 aus tschechi¬
schem Besitz Gold, Juwelen und wertvolle Kumtgegenstände ge¬
stohlen und bei ihrer Flucht nach Deutschland mitgenommen habe.
Mit dieser anderen Frau" meint Lina Heydrich offenbar Himm¬
lers illegitime Zweitf rau Hedwig, die ihm zwei Kinder gebar: den
Sohn Helge und die Tochter Nanette Dorothea, Am 12. 9. 1944
erkannte Himmler seine Vaterschaft für den am 15. 2. 1942 ge¬
borenen Sohn und am 25. 7. 1944 die für seine am 20, 7. 1944 zur
Welt gekommene Tochter Nanette Dorothea offiziell an.
Lina Heydrich hat bisher nicht begriffen, welSen Zweck die Ent¬
nazifizierung verfolgte. Die Tatsache, daß ihr nach 1945 das Ver¬
mögen genommen wurde, das sie nicht nur nach Ansicht der Be¬
hörden der Bundesrepublik Deutschland dem NS-Regime ver¬
dankte, erscheint ihr auch heute noch als ein Akt ungesetzlicher
und unberechtigter „Räuberei".
1947 lehnte die britische Militärverwaltung dem Prager Antrag auf
Auslieferung Lina Heydrichs ab, weil sie überzeugt war,
verdacht nicht vorliege.
202
29
Auch diese Bemerkung Lina Heydrichs, die nach eigenen Angaben
niemals genügend Geld hatte (vgl. die Kommentare Nr. 18 u. 30),
vom NS-System nicht profitierte und mit einem Mann verheiratet
war, der als Gestapo-Chef und General der Polizei nicht viel mehr
als nur Beamter gewesen sei, paßt fugenlos ins Bild.
Die Spruchkammer Berlin (Wilmersdorf, Fekrbellmer Platz 2) stell¬
te 13 Jahre nads dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen eines Sühne-
verfahrens zu Lasten Reinhard Heydrichs fest, daß auf dem Konto
(Nr. 99) 40Q („Gehaltskonto**) Lina Heydrichs hei der Deutschen
Reichshank am Ende des Krieges über 279 287 Mark Kapital vor¬
handen waren. Bei den Akten des Landgerichts befanden sich Un¬
terlagen über die Herkunft des Geldes. Witwengelder, Beträge aus
einer Lebensversicherung und Gewinne aus einer Beteiligung an
einer Handelsfirma wurden als Quellen nachgewiesen. Das Gericht
stellte fest, daß dieser Betrag ,,offensichtlich** nicht „zum Nachlaß
des Reinhard Heydrich gehörte**. Als Heydrich-Nachlaß wurde
dagegen ein im Dezember 1942 überwiegender Betrag von 62 $00
Mark bezeichnet, den Frau Heydrich beim Verkauf ihres Berliner
Grundstücks in Berlin-Zehlendorf (Staufzeile 14) nach dem Tode
Reinhard Heydrichs von einem Mann namens Horst Walter er¬
halten hatte. 62 806,20 Mark waren im Dezember auf das Konto
(Nr. 400) überwiesen worden. Neben diesem Konto hatte Lina
Heydrich vier Konten für ihre Kinder, ein Girokonto (Nr. 6 500)
und ein Konto Ordinario (Nr. 6 732) unterhalten. Auf dem Konto
Nr. 6 $00 befanden suh per $. 11. 1942 1 $90 493,10 Kronen
(1$9 049,31 Mark), auf dem Konto Nr. 6 782 623 022,80 Kronen
m
(62 302,28 Mark). Am 17. 11. 1942 beauftragte Lina Heydrich die
Bank, die auf ihrem Konto Nr, 6 782 befindlichen 62 302,28 Mark
und 100 000 Mark von ihrem Konto Nr. 6 300 auf ihr „Gehalts¬
konto “ Nr. 400 zu überweisen. Ob allerdings die seit dem 3. 12.
1942 auf dem Konto 400 auftauchenden 100 000 Mark tatsächlich
auch vom Konto Nr. 6 300 stammten, konnte das Gericht nicht
eindeutig feststellen; denn es fand sich bei den Akten auch ein
entsprechender Auftrag an die Dresdner Bank, die diesen Betrag
möglicherweise überwiesen hätr Während des Gerichtsverfahrens
gab Lina Heydrich an, vom SS-Gruppenführer Kurt Daluege, dem
Chef des Hauptamts Ordnungspolizei, am 18. 1. 1943 68 198,46
Mark und von der Adjutantur der Sicherheitspolizei der SS (SD)
am 19. 2. 1943 13 000 Mark erhalten zu haben, die sie „nicht
zum Nachlaß t( ihres „verstorbenen Ehemannes'“ gehörend, bezeich-
nete. Das Gericht konnte ihre Behauptungen weder beweisen noch
widerlegen. Spruchkammer Berlin, Az.: Sprka 114/39, S. 42 ff.
204
Hitler
Gremzkom-
msiariate
Foto- und Dokumenten-Nachweis:
Folgende Unterlagen wurden von Lina Hevdridi zur Verfügung gestellt:
Schreiben von Reinhard Hevdridi an Lina vom IS. 12. 30 (S. 32 a bis 32 d)
Schreiben von Reinhard Hevdridi an seine Schwiegereltern vom 3. 1. 31
(S. 32 c bis 32 h)
Schreiben von Reinhard Heydndh an seine Schwiegereltern vom II. S. 31
(S. 32 i bis 32 1)
Schreiben von Reinhard Heydrich an seine Schwiegermutter vom 22. S. 31
(S. 32 m bis 32 p)
Schreiben von Reinhard Heydrich an sine Schwiegereltern vom 6, 1. 32
(S, 32 q bis 32 t)
Testament Reinhard Heydrichs vom 1.9.39 (S. 40 a bis 40 f)
Dienstleistungszeugnis Reinhard Heydrichs vom 30.4.31 (S. 32 v)
Schreiben Heydrichs an Joachim von Ribbentrop vom 24,6.40 (S. 32 w)
Urkunde der Beförderung Heydrichs zum SS-Obergruppenfiihrer ur.d der Er¬
nennung zum General der Polizei vom 24.9.41 ($. 32 x)
Minutenprogramm für die Trauerfeicrlichkoiten für Hevdridi in Prag vom
7.6.42 <S. 136 b)
Schreiben an SS-Oberstuf. Heckenstaller vom 25. 6. 42 (S. 56 d)
Schreiben an SS-Oberstuf. Heckenstaller vom 26. 6. 42 (S. 56 c)
Schreiben von Heinrich Himmler an Lina Heydrich vom 7. 8.43 (S. 72 c)
Schreiben von Heinrich Himmler an Lina Heydrich vom 22.1.45 (S. 72 d)
Hochzeitsfoto von Lina und Reinhard Heydrich (Titelfoto und S. 56 b)
Foto Lina Heydrich
Bruno Heydrich, Reinhard Heydrichs Vater (S. 32 u) Foto Lina Heydrich
Foto Himmler/Hey dridr (S. 72 b) Axel Springer Vcrlag/UIsrem GmbH
Reinhard Heydrich als angehender Seekadett (S. 40 g) Axel Springer Verlag/
Ullstein GmbH
207
Der hervorragende Fechter Reinhard HeydriA (S* 40 h) Axel Springer Ver¬
lag/Ullstein GmbH
Familie Heydrieh (5. 48 a) Foto Lina Heydrieh
Polizeichef im 3. Reich, SS-Obergruppenführer HeydriA während eines Be-
suAes in Italien mit Mussolini, Himmler, Daluege, SS-General Wolff (S, 48 c)
Foto Lina HeydriA
SS-Gruppenführer HeydriA, Oberführer Nebe und Don Jose Finat Conde de
Mayalde im ReiAskriminalpolizeiamt, 1940. (S. 48 d) Foto Lina HeydriA
HeydriAs Witwe als Zeugin vor der SpruAkammer (S. 136 c) Keystone Presse¬
dienst
HeydriA neben Adolf Hitler (S* 72 a) Axel Springer Verlag/Ullstein GmbH
10 Fotos (S. 48 b, 56 a, 120 b bis 120 h, 136 a; entnommen aus „The AssassL
nation of HeydriA“ von Miroslav Ivanov (Hart-Davis, MacGibbon Ltd*
London)
Ort des Attentats: ZeiAnung aus „Das III. ReiA“ (Nr, 3/1975) S. 120 a
201
Personen-Register
Bach, Sebastian 114
Backe, Herbert 87, 88, 106
Barowa, Lida 140
Benesch, Eduard 117,121,201
Bently, Robert 112, 122
Best, Werner 86, 131
Best, S. Payne 179, 180, 181, 182
Beutel 163
Bloch-Bauer, Karl 112
Blomberg, Werner von 52
Böhme, Horst 5
Bormann, Martin 85, 167, 178
Brandstätter, Erich 80
Bruns 129
Böhler 185, 195
Bülow, Hans von 16
Canaris, Brigitte 177
Canaris, Erika 63
Canaris, Eva 17 ?
Canaris, Wilhelm 24, 52, 62, 63, 64,
65, 66, 67, 68, 94, 176, 177, 178
Churchill, Winston 121, 201
Ciano, Galazzo, Graf 65
Coler, Edith von 29
Copper 179
Crinis, Ulli de 80, 86
Crinis, Max de 79, 80, 81, 178
Daluege, Kurt 72, 131, 132, 204
Darr6, Richard Walter 87, 88
Diedc 5, 116
Diel 47
Dietrich, Sepp 28
Dietz, Kate 144
Drescher 141
Dulles, Alan 59
Eberstein, Baron von 22
Eberstein, Karl von 25, 26, 163
Eichmann, Adolf 185
Eigruber, August 133
Elser, Georg 182
Epp, Ritter von 39
Etrich, Victoria 27, 28, 32
Fest, Joachim 96
Fischer 126
Franco, Bahamonde Francisco 64
Frank, Karl Hermann 117
Franz 179
Freisler, Roland 185
Freund, Michael 161
Frick, Wilhelm 167
Funk, Walter 167
Gabcik, Josef 115, 116, 118
Gebhardt, Karl 116, 133
Gerhardt 5
Globocnik, Odilio 198
Goebbels, Josef 5, 49, 51, 52, 88,
140, 167, 168
Göring, Emmi 90
Gering, Hermann 37, 45, 46, 47, 88,
89, 90, 91, 97, 105, 106, 110, 113,
168, 170, 172
Grynspan, Herschel 50, 164
Gurtner, Franz 167
Hadia, Emil 5, 117
Hartnagel 78
Held, Heinrich 39
Hel, Rudolf 37, 72
Hcydrich, Bruno 12, 15, 17, 18, 31,
114
Heydrich. Elisabeth 15
Heydrich, Ernestine 32
Heydrich, Heider 95, 132, 135, 136,
156
Heydrich, Heinz 30, 134
Heydrich, Kar! Julius 15
Heydrich, Klaus 44, 45, 49, 95, 147
209
Heydrich, Maria 18, 29
Heydrich, Marte 141, 142, 143, 155,
156
Heydrich, Silke 77, 156
Hildebrandt, Ridiard 28, 29, 30, 109
Himmler, Hedwig 202
Himmler, Heinrich 6, 26, 27, 29, 30,
33, 35, 36, 37, 39, 40, 45, 46, 47,
50, 54, 55, 58, 60, 61, 62, 66, 69,
70, 71, 72, 82, 83, 85, 87, 88, 98,
105, 109, 110, III, 112, 113, 114,
116, 117, 119, 126, 127, 130, 131,
135, 136, 173, 175, 178, 180, 181,
182,202
Himmler, Helge 202
Himmler, Marga 58, 130
Himmler, Nanette 202
Hindenburg, Paul von 21, 37
Hiss, Thüde 13
Hitler, Adolf 5, 6, 15, 27, 28, 29,
33, 36, 37, 38, 39, 47, 48, 52, 53,
54, 61, 64, 71, 72, 82, 83, 84, 85,
87, 88, 97, 101, 105, 106, 108, 113,
115, 140, 168, 169, 170, 171, 179,
180, 181, 182, 183, 196, 200
Hohlbaum 5, 116, 123, 138
Höflich 40
Höhne, Heinz 178
Hoops 70
Horn, Tammo van 148, 149
Horninger 26, 27
Hunger, Lisa 142
Kaltenbrunner, Ernst 81, 82, 83, 97,
123
Karajan, Herbert von 80
Kernen, Felix 62
Klein 62
Klop 179,181
Klopfer, SS-Oberführer 185
Knaus 5
Koch, Präsident 39
Koch, Ilse 73
Koeppen, Adolf 89
Körner 90
Krantz, Elisabeth 12, 17, 18
Krantz, Hilde 80
Krantz, Moritz 18
Kritzinger, Ministerialdirektor 185
Kubis, Jan 115, 116, 118
Lammers, Heinrich 110
Ledburs 112
Leibbrandt, Reidisamtsleiter 185
Leuwerik, Ruth 34
Lewy 40
Ley, Robert 113
Lindner, Ernestine 15, 16
Lobbes, Stellvertreter Nebes 182
Lucht 136
Luther, Unterstaatssekretär 185, 191
Manstein, Erü von 9
Martin, Polizeipräsident 180
Masaryk, Jan 121
Massmann 156
Mautsch, Elisabeth 32
Meyer, Gauleiter 185, 195
Mohamed, Canaris-Diener 66, 67
Moser, Hans 82
Moulln, Du 33
Miller, SS-Gruppenf ihrer 128, 167,
182, 185
Mussolini, Benito 64, 65, 132
Naujodcs 181, 114
Hebe, Arthur 73, 182
Neumann, Staatssekretär 185, 195
Neurath, Constantin von 98, 99,
101, 108
Nolte, Frau von 132
Oberg 47
Olbrich 125
Olderog 145
Osten, Hans von 120
Osten, Jürgen von 6, 145
Osten, Mathilde 145
Paget, Ronald T. 201
Paulsen 57
Pciper, Sigurd 141
Plötz, Achim 55
210
Pomme 89, 107
Pommerenk 10, 11
Rademacher, Franz 173
Rail 50
Rail, Lise 55, 109, 113
Rath, Ernst von 50, 164, 165
Redwitz, von 46
Rehm 23
Ringhoffer, Hans von 121, 122, 123,
127
Rippentrop, Joachim von 180
Rohm, Ernst 35, 36, 37, 39, 48, 69
Rosemeyer, Bernd 54
Rosenbaum 42
Rosenberg, Afred 113, 173
Sachs, Willy 50
Sauckel, Fritz 113
Sauerbrudi, Ferdinand 79, 80, 81
Schacht, Hjalmar 98
Schellenberg, Walter 75, 76, 79, 80,
86, 177, 178, 179, ISO, 181, 182
Schemmel 179
Schilling 129, 136
Schimmelmann* Lindenberg, von 132
Schleicher, Kurt von 49
Schmidt 67
Sdiöngarth 185
Schütter 156
Schwerin von Krosigk, Lutz 167
Seidl-Ditmarsch 39
Snadjr, Vladimir 199
Speer, Albert 51, 84, 85, 106, 133
Stalin, Josef 182, 183
Stallburg, Riese von 112
Stevens 179, 180, 181, 182
Stevenson, Robert Louis 86
Streckenbach, Bruno 55
Streicher, Julius 140
Studcart, Wilhelm 88, 185, 194
Stützei 40
Süss, Gustav Robert 15, 31, 32
Süss, Sarah 31, 32
Todt, Fritz 84
Tudiatschewski, Michael 182, 183
Vaclik, Josef 115
Waag, Erika 176
Wagner, Richard 6
Wagner, Winniefried 115
Waldeck und Pyrmont, Prinz von
151
Walter, Horst 203
Wirth, Christian 198
Wolff, Frieda 58, 139, 140, 141
Wolff, Karl 59, 130, 131, 132
Wülfert 46
Wüllner 16
Zenetti, Leopold von 125, 147, 148,
149, 150
21!
Im gleichen Verlag ist erschienen:
MEIN SCHÜLER HITLER
Das Tagebuch seines Lehrers Paul Devrient
Bearbeitet und herausgegeben von Werner Maser
300 Saiten mit zahlreichen Fotos und bisher unveröffentlichten
Dokumenten, Leinen, 32.— DM.
DIE WELT:
„Hitler-Forscher Werner Maser wartet mit einer kleinen Sensation
auf. Unter dem Titel „Mein Schüler Hitler" gibt Maser das Tage¬
buch des Hitler-Lehrers Paul Devrient heraus, das den Historikern
bislang nicht zugänglich gewesen ist. Der 1973 verstorbene
Opernsinger reiste 1932 mit Hitler durch mehr als 100 deutsche
Städte und gab ihm in Hotelzimmern, in Gastwirtschatten und auf
Trockenböden Schauspiel- und Rhetorikunterricht. Später machte
er sich deswegen Vorwürfe, weil er glaubte, sein Unterricht könn¬
te dem Diktator zur Machtergreifung geholfen haben. Das Tage¬
buch hielt er bis zu seinem Tod geheim."
DIE ZEIT:
„Es ist also wohl nicht so weit her mit dem Wahrheitsgehalt der
Legenden, Hitlers Weg zur Macht sei mit Millionenspenden der
Industrie geebnet worden. Der Dialog aus dem Jahr 1932 ist sehr
aufschlußreich, sozusagen eine Kulissenrarität. Hitler-Forscher
Werner Maser fand die Gesprächsaufzeichnung im Tagebuch des
1973 verstorbenen Opernsängers Paul Devrient, der dem Partei¬
chef 1932 Rhetorikunterricht gegeben ... hatte. Der wichtige Fund
aus den Jahren des unaufhaltsamen Aufstiegs Adolf Hitlers kam
gerade noch zurecht ..."